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Mitgliederbefragung
Kopftuchdebatte spaltet Berliner SPD

Das Neutralitätsgesetz soll nicht überarbeitet werden: Das gab gestern die Berliner Innenverwaltung bekannt. Die SPD hat nun in einer Befragung zum kommenden Wahlprogramm ihre Mitglieder aufgefordert, zum Tragen eines Kopftuches im Staatsdienst Stellung zu nehmen. Doch bei diesem Thema scheint die Partei gespalten.

Von Kemal Hür | 28.10.2015
    Eine Schülerin mit Kopftuch aus der Türkei meldet sich im Unterricht am 10.06.2013 in Oberhausen (Nordrhein-Westfalen)
    Die Mitglieder der SPD haben bis zum 6. November Zeit, die Kopftuchfrage für sich zu beantworten. Die Ergebnisse werden auf dem Landesparteitag am 16. November vorgestellt. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    "Soll die religiöse Neutralität in hoheitlichen Bereichen des Staates beibehalten werden, sodass zum Beispiel auch Lehrerinnen, Richterinnen und Polizistinnen weiterhin kein Kopftuch tragen dürfen?"
    Die Neutralität beibehalten und gleichzeitig das Kopftuch verbieten! Diese Frage dürfe in der Mitgliederbefragung in dieser Form nicht gestellt werden, sagt die Sprecherin des Arbeitskreises Muslime in der SPD, Lydia Nofal:
    "Ich finde diese Frage wirklich sehr kritikwürdig. Wenn ich jetzt hier mit Nein stimme, weil ich für die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes bin, würde das ja beinhalten, dass ich sage, ich bin gegen die Neutralität des Staates. Aber ich bin für die Neutralität des Staates. Ich bin nur dafür, dass die Neutralität anders verstanden wird als der Parteivorstand sie versteht."
    Spitze der Berliner SPD steht hinter Kopftuchverbot
    Die Spitze der Berliner SPD erklärte, sie würde diese Frage geschlossen mit einem Ja beantworten. Der Parteivorsitzende, der Fraktionsvorsitzende und der Regierende Bürgermeister halten am Berliner Neutralitätsgesetz fest. Damit würde das Tragen nicht nur eines Kopftuchs, sondern auch anderer religiöser Symbole wie einer Kippa oder eines Kreuzes im Staatsdienst weiterhin verboten bleiben.
    Dieses Verbot ist im Neutralitätsgesetz von 2005 für Beamtinnen und Beamten sowie für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen festgeschrieben. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem letzten Beschluss im Frühjahr das pauschale Kopftuchverbot für verfassungswidrig erklärt und die Länder aufgefordert, ihre Schulgesetze anzupassen.
    Uneinigkeit über die Deutung der Neutralität
    Berlins Innensenator Frank Henkel von der CDU gab gestern bekannt, das Berliner Neutralitätsgesetz werde nicht überarbeitet werden. Dieser Aufforderung müsse Berlin nicht nachkommen, sagt auch Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller von der SPD:
    "Wir haben ja auch nicht ein entsprechendes Schulgesetz formuliert, sondern wir haben ein Neutralitätsgesetz formuliert. Es geht um Neutralität in staatlichen Einrichtungen. Es geht um Neutralität des Staates, der generell nicht mit religiösen Symbolen in staatlichen Einrichtungen arbeiten soll. Und ich glaube, dass das ein hohes Gut ist, was wir uns erarbeitet haben – diese Neutralität -, und daran würde ich auch gerne festhalten."
    Dass der Staat sich gegenüber Religionen neutral verhalten soll, darüber besteht in der SPD weitgehend Einigkeit. Nur in der Deutung der Neutralität sind sich nicht alle einig. Der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh etwa macht kein Geheimnis daraus, dass er trotz staatlicher Neutralität Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs erlauben würde. Ähnlich sieht es auch der Bundesvorsitzende der Arbeitsgruppe Migration und Vielfalt, Aziz Bozkurt. Er werde sich bei dieser Frage enthalten, weil er für die Neutralität des Staates sei, aber ein pauschales Kopftuchverbot ablehne:
    "Ich finde, man sollte den Weg schon öffnen, im Schuldienst ein Kopftuch zu erlauben bei Lehrerinnen. Es geht um drei, vier Personen in Berlin, also schwachsinnige Diskussion, wenn wir uns die Zahlen mal angucken. Und zweitens geht's für mich als Sozialdemokrat um Gerechtigkeit, um Teilhabechancen, um Aufstiegschancen. Und gerade Frauen den Aufstieg zu verwehren, finde ich völlig fatal als Symbolik der Sozialdemokratie."
    Kopftuchfrage wird ins Wahlprogramm aufgenommen
    Bozkurt und die Sprecherin des muslimischen Arbeitskreises Nofal kritisieren den SPD-Landesvorsitzenden Jan Stöß in dieser Frage scharf. Stöß hatte argumentiert, das Kopftuch für eine Lehrerin sei genauso abzulehnen wie eine Kippa für einen jüdischen Lehrer; denn muslimische Schüler könnten damit ein Problem haben. Bozkurt sagt, die gelebte Vielfalt in Berlin müsse den Schülern nicht vorenthalten, sondern auch in den Klassen vorgelebt werden. Stöß sagte, er würde in der Mitgliederbefragung für die Neutralität und gegen das Kopftuch stimmen:
    "Aber ich respektiere selbstverständlich auch, wenn Leute sagen, wir sind davon überzeugt, dass wir mehr Religion und Weltanschauung zulassen sollten. Deshalb sage ich meine Meinung, aber schreibe damit auch niemandem vor, wie er abzustimmen hat."
    Mit der Entscheidung des Innensenators, das Neutralitätsgesetz nicht zu ändern, hat sich die Frage zunächst zwar erledigt. Aber die 17.000 SPD-Mitglieder haben diese Frage bereits auf ihren Abstimmungsbögen. Das Ergebnis wird am 16. November bekannt gegeben. Und es wird nächstes Jahr ins Wahlprogramm aufgenommen. Dazu hat sich die Partei verpflichtet – egal, wie das Ergebnis ausfällt.