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Mitgliederzahlen DOSB
Mit Mannschaftsspirit und Pragmatik durch die Krisen

Jährlich erhebt der Deutsche Olympische Sportbund sportartenübergreifend Mitgliederzahlen. Besonders spannend sind die letzten beiden Jahre: Sie zeigen, wie viel Einfluss die Pandemie auf die Vereine genommen hat.

Von Sabine Lerche | 23.10.2022
Kinder und Jugendliche des TSV Reinbek trainieren zusammen die japanische Kampfkunst Aikido.
Kinder trainieren Aikido (dpa/picture alliance/Ulrich Perrey)
„Mitgliederrückgang vorerst gestoppt“, meldete der Deutsche Olympische Sportbund DOSB vor knapp zwei Wochen. Da hatte der DOSB gerade seine aktuelle Mitgliederstatistik veröffentlicht. Der organisierte Sport kann trotz Corona wieder ein Plus von knapp 47.000 Vereinsmitgliedschaften verzeichnen. Ein Wachstum von 0,17 Prozent.
Im ersten Corona-Jahr hatte es bei den Vereinen 800.000 Austritte gegeben. Das zweite Corona-Jahr 2021 scheint der Sport besser überstanden zu haben. Ein kleiner Verband steht prozentual an der Spitze der Mitgliederzuwächse im olympischen Bereich: Der Deutsche Rugby-Verband. Zwar gibt es nur gut 1.000 Mitgliedschaften mehr als im Vorjahr, bedeutet für den kleinen Verband aber ein Plus von sieben Prozent.
Manuel Wilhelm, Vorstand Leistungssport beim Deutschen Rugby-Verband, führt es vor allem auf ein pragmatisches Corona-Management zurück: „Weil wir sehr früh versucht haben, so viel, wie eben vertretbar war, zu ermöglichen und uns wirklich tagesaktuell damit beschäftigt haben, was geht und was geht nicht. Natürlich haben wir - wie viele andere auch - versucht, digitale Formate aufzubauen mit einem eigenen YouTube-Kanal, mit Trainingsvideos für Kinder. Also da haben wir sehr, sehr viel gemacht.“

Familiäre Strukturen wirken Austritten entgegen

Auch der Deutsche Hockeybund DHB hat während der Pandemie auf eine enge Bindung und viel Unterstützung aller Verbandsmitglieder gesetzt - von den Fachverbänden bis zum einzelnen Mitglied im Verein. In der aktuellen Mitgliederstatistik verzeichnet Hockey einen Zuwachs von sechs Prozent. Maren Boyé, Direktorin für Sportentwicklung beim DHB, glaubt: „Dass gerade der mannschaftliche Spirit und das doch im Hockey sehr, sehr gepflegte familiäre Zusammensein eine sehr große Hilfe waren. Also neben den Konzepten und Maßnahmen und Kampagnen, die wir auf den Weg gebracht haben, hat uns ganz deutlich geholfen, dass wir immer auch sagen konnten: Unsere Hockey-Familie hat funktioniert und zwar in der ganzen Zeit.“
Feldhockey-Showtraining beim  1. Hanauer THC
Auch beim Hockey hielten sich die Austrittszahlen in Grenzen (imago / Patrick Scheiber / Patrick Scheiber / Goebel)
Das Wachstum im letzten Jahr sei aber kein Ausreißer, sondern eine Fortführung aus den letzten 30 Jahren, so Boyé: „Wir sind tatsächlich im stetigen Anstieg, mal um kleinere Prozentpunkte, mal um etwas größere Prozentpunkte. Wir können zusätzlich positiv darauf schauen, dass wir eine Sportart sind, die beide Geschlechter anspricht und die in Ende der 90er noch eher männlich und im Jugendbereich auch eher die Jungs angesprochen hatte. Dort haben wir mit Kampagnen das Ganze angetrieben, den Mädchen, den jungen und auch den älteren Frauen die Sportart auch zu eröffnen als eine attraktive Sportart.“
Nach knapp 30 Jahren ist heute ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis im Jugendbereich erreicht und Hockey mit insgesamt 90.000 Mitgliedschaften im Mittelfeld der Mitgliederstatistik angekommen.

Vergleiche zwischen den Fachverbänden kaum möglich

Durch die unterschiedliche Größe der Fachverbände ist es schwierig, die Zuwächse und Abgänge miteinander zu vergleichen. Die Auswirkungen der Pandemie fallen bei den großen Verbänden wie Fußball mit sieben Millionen und Turnen mit mehr als viereinhalb Millionen Mitgliedschaften weniger ins Gewicht. Der Fußball verzeichnete im vergangenen Jahr mehr als 100.000 neue Mitgliedschaften. Klingt viel, ist relativ betrachtet aber lediglich 1,5 Prozent. Bei kleinen Verbänden ist es genau umgekehrt. So steigen die Mitgliedschaften im Bob- und Schlittensportverband im letzten Jahr um fünf Prozent. Und das war vor den zahlreichen Goldmedaillen bei den Olympischen Winterspielen von Peking.
Für Verbandsvorstand André Sander hat dieser Anstieg um etwa 300 Mitglieder keine große Bedeutung: „Wir sind ein relativ kleiner Verband und wenn wir jetzt dann Austritt oder Eintritt an Mitgliedern im dreistelligen Bereich haben, dann haben wir gleich einen relativ hohen prozentualen Zuwachs oder Abgang. In den letzten Jahren war es immer so, dass wir zwischen fünf und zehn Prozent Rückgang oder Zuwachs hatten. Wenn man sich jetzt die Schwankungen im Altersbereich anschaut, das ist auch wenig systematisch. Also da ist keine wirkliche Struktur zu erkennen, das hat einfach unterschiedliche Ursachen.“

Nur eine Momentaufnahme?

Wie viel Bedeutung haben dann die jährlich vom DOSB erhobenen Zahlen überhaupt? Wie ist es einzuschätzen, dass der Anteil der weiblichen Mitgliedschaften sinkt, während es bei den Männern einen Anstieg gibt? Auch wurde zum ersten Mal die Geschlechterkategorie „divers“ erhoben. Der DOSB als Dachverband wollte sich noch nicht äußern. Man befinde sich noch in einer tiefergehenden Analyse und könne dazu derzeit kein Interview geben, hieß es auf Anfrage des Deutschlandfunks.
Aktuell kommen zusätzlich zur Corona-Pandemie auch die steigenden Energiekosten auf die Vereine zu. Manuel Wilhelm vom Deutschen Rugby-Verband hofft auf die Loyalität der Mitglieder: „Weil wir unseren Mitgliedsbeitrag für erwachsene Mitglieder tatsächlich fast verdoppelt haben, weil dieses ganze Management und die zahlreichen Krisen in den letzten drei Jahren dazu führen, dass es trotzdem ein massives Finanzierungsproblem im Verband gibt. Und dem müssen wir natürlich als Verband irgendwie begegnen und unser einziges Korrektiv waren da die Mitgliedsbeiträge, die wir empfindlich erhöht haben, und es reicht noch nicht!“
Bisher hätten die Rugby-Mitglieder auch bei höheren Kosten mitgezogen. Wie es in diesem Jahr sein wird, kann Wilhelm schlecht einschätzen. Nicht auszuschließen, dass der Zuwachs der Mitgliedschaften nur eine Momentaufnahme ist.