Donnerstag, 18. April 2024

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Mobilität und Klimaschutz
„Es ist ein Versagen des Verkehrsministers“

Mit dem Zwischenergebnis der Expertenkommisson zum Klimaschutz im Verkehr lasse sich nicht arbeiten, sagte die SPD-Politikerin Nina Scheer im Dlf. Es sei zu vage, um daraus etwas Brauchbares abzuleiten. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) habe dies so provoziert.

Nina Scheer im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.03.2019
Nina Scheer (SPD) spricht in der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages (26.8.2018).
Nina Scheer (SPD) will mehr Klimaschutz im Verkehr (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
Jasper Barenberg: Eines ist sicher: Beim Thema Verkehr muss noch viel passieren, um die Ziele im Klimaschutz zu erreichen. Denn der Ausstoß von Treibhausgasen ist seit 1990 nicht etwa zurückgegangen, sondern im Gegenteil zuletzt sogar angestiegen. Gut 40 Prozent muss in den nächsten gut zehn Jahren vermieden oder eingespart werden. Das entspricht rund 70 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Dazu hat sich die Koalition verpflichtet. Doch als die einberufenen Fachleute nach stundenlangen Verhandlungen auseinandergingen, da konnten sie das Ziel nicht erreichen. Es fehlen noch immer zwischen 16 und 26 Millionen Tonnen.
Am Telefon ist die SPD-Politikerin Nina Scheer, Mitglied unter anderem im Umweltausschuss des Bundestages. Schönen guten Morgen, Frau Scheer.
Nina Scheer: Guten Morgen.
Scheuer habe dieses Zwischenergebnis provoziert
Barenberg: Die Regierungskommission schafft es nicht, ein umfassendes Konzept vorzulegen. Wie dürftig ist dieses Zwischenergebnis?
Scheer: Ja, es ist ernüchternd, zumal mit Blick auf die gesteckten Ziele für 2019 im Kontext Klimaschutzgesetz, aber auch der langen Diskussion, die wir auch im Verkehrsbereich die letzten Monate schon in anderen Zusammenhängen hatten, wie man da zu einem gesundheits- und umweltverträglichen Verkehrssystem kommt, wo man schon erwarten müsste, dass eine extra hierfür eingesetzte Kommission dann auch Ergebnisse vorlegt, mit denen dann auch der Gesetzgeber gut hantieren kann.
Barenberg: Jetzt steht der Minister, steht Andreas Scheuer mit fast leeren Händen da? Oder wie würden Sie es beschreiben?
Scheer: Ja, es ist zu ungefähr, als dass man daraus mit Blick auf die Ziele etwas Brauchbares ablesen könnte und ableiten könnte. Man muss ja auch sehen: Wenn es Ziele sind oder wenn es Ergebnisse sind, die so eine große Lücke zu den gesteckten Zielen lassen, dann ist es auch schwierig, überhaupt in die Umsetzung zu gehen, weil man dann zwangsläufig Maßgaben gesetzlich fixieren würde, die mit Blick auf Vertrauensschutz dann schwer wieder korrigierbar wären.
Man kann eigentlich mit so etwas nicht arbeiten, und das muss er wissen. Deswegen ist es ein Versagen des Ministers, dass er so etwas provoziert hat, so ein Zwischenergebnis provoziert hat, wohl wissend – er ist ja schließlich selbst Politiker -, dass mit so etwas nicht in die Umsetzung geschritten werden kann.
Barenberg: Was meinen Sie denn, wenn Sie sagen, der Bundesminister, Andreas Scheuer hat dieses Ergebnis provoziert?
Scheer: Es ist bekannt – ich war nun ja nicht selbst mit in der Kommission; insofern muss ich mich auf das stützen, was die Teilnehmer berichten -, aber es ist ja nun bekannt, dass er diverse Maßnahmen von vornherein nicht mit als Inhalt eines möglichen Kompromisses oder eines möglichen Einigungsprozesses hat gelten lassen wollen.
Barenberg: Das Tempolimit, das allgemeine Tempolimit zum Beispiel.
Scheer: Das ist zum Beispiel etwas, aber auch, wie man mit einer Elektromobilitätsquote umgehen könnte. So eine feste Quote hat er ja auch nicht haben wollen. Und auch die Frage, wie man mit den klimaschädlichen Subventionen umgeht, ist ja auch im Verkehrssektor eine ganz entscheidende Angelegenheit.
Das Stichwort Denkverbote ist auch gefallen, etwa von meinem Kollegen Matthias Miersch. Das kann natürlich nicht sein, dass ein Minister, der eine Pflicht zu erfüllen hat, per Regierungsauftrag, dann sich durch ein Ausklammern von Maßnahmen von vornherein eigentlich in so eine Sackgasse bewegt.
"Er führt mit dieser Argumentation aufs Glatteis"
Barenberg: Nun hat der Verkehrsminister ja vorab gesagt und diese Linie immer wieder mal wiederholt, es soll keine Verbote, keine Einschränkungen, keine Verteuerungen geben. Stattdessen liegt die Lösung doch in Anreizen, in Förderung und Innovation. – Was ist daran falsch?
Scheer: Er führt mit dieser Argumentation aufs Glatteis, weil es natürlich im politischen Kontext mit einem gut funktionierenden Maßnahmenpaket immer um eine geschickte Kombination aller Instrumente gehen muss. Wenn man sagt, man macht zum Beispiel eine CO2-Bepreisung oder eine Schadstoffbepreisung, dann hört sich das für die einen vielleicht als Verbot an.
Für die anderen ist es aber der Anreiz und auch eine brauchbare Grundlage – damit ist die Industrie angesprochen -, auf einen verlässlichen Markt bauen zu können. Denn dann ist klar, welche Dinge auch morgen noch abgefragt werden auf dem Markt. Es ist der Anreizcharakter von Dingen, die leicht als Verbot verschimpft werden. Der wird dann immer, ich denke mal, bewusst unter den Teppich gekehrt, um sinnvolle Maßnahmen zu diskreditieren.
Barenberg: Das heißt auch, Frau Scheer: Wenn es darauf ankommt und wir die Ziele erreichen wollen, wozu sich die Bundesregierung verpflichtet hat, dann wird es Gewinner geben, aber auch Verlierer?
Scheer: Ja gut! Aufgabe der Politik ist nicht, die Menschen zu Verlierern werden zu lassen, sondern es können ausgediente Technologien, die sich umwelt- und gesundheitsspezifisch nicht bewährt haben, die können zu Verlierern werden. Alle Beteiligten, die Industrie natürlich insbesondere angesprochen, tun gut daran, sich genau darauf vorzubereiten, dass sie als Industrieteilnehmer, als Wirtschaftsteilnehmer nicht zu Verlierern werden, sondern sich darauf einstellen.
Das kann ja auch mit guten Maßnahmenpaketen so gelingen, dass man mit Übergangszeiten, mit einer klar angekündigten Maßgabe, die dann im Jahr X kommt, sich darauf so vorbereiten kann, dass dann tatsächlich die Verwerfungen nicht eintreten, die dann im Vorfeld heraufbeschworen werden.
Barenberg: Dann sagen Sie doch mal, welche von den noch strittigen Punkten Sie favorisieren würden? Beispielsweise den Kauf von kleinen, effizienten Autos zu fördern und den Kauf von Spritschluckern zu bestrafen?
Scheer: Ja, das ist auf jeden Fall ein Punkt. – Was heißt bestrafen? Man muss einfach einen Anreiz so setzen, dass es einfach nicht mehr lohnenswert ist für die Industrie, die Spritschlucker zu verkaufen, sondern auf andere Mobilität zu setzen. Dann muss gar nicht das Wort "Verbot" her, sondern das kann über ein Abgaben-, ein Steuerabgabensystem so gestaltet werden, dass im Fokus der Anreiz für andere Fahrzeuge steht. Das muss im Mittelpunkt stehen.
"Er muss schleunigst ein Ergebnis vorlegen"
Barenberg: Das wäre auch Ziel, wenn es um eine feste Quote für Elektroautos gehen würde? Das ist ja auch ein Vorschlag, über den noch keine Einigkeit erzielt wurde.
Scheer: Ja, das hatte ich vorhin schon erwähnt. Das ist auch ein Element. Aber das alleine, denke ich, wird schwer reichen, weil es, denke ich mal, schwer sein wird, eine so starre Quote, eine doch sehr starr daherkommende Quote so aufzulegen, dass tatsächlich die Flexibilität, die ein Markt braucht, auch in der Vielfalt, der Technologievielfalt, die so eine Verkehrswende braucht, dann ans Ziel zu kommen.
Man sollte auf jeden Fall auch in die Richtung einer Bepreisung von Schadstoffen gehen. Auch das ist ein Lenkungseffekt und gut für all die Technologien, die dann profitieren, und dann auch deren Nutzer, die davon dann profitieren. Letztendlich müssen wir auch als Wirtschaftsnation sehen: Wenn wir weiterhin die Hände in den Schoß legen, dann werden diese Technologien woanders entwickelt, und das kann eine Industrienation mit 800.000 Arbeitsplätzen allein in diesem Segment sich schlicht nicht leisten.
Vielleicht noch mal kurz diesen Zusatz - das ist nämlich auch ein Störfeuer, was leicht in Richtung Mobilitätswende immer genannt wird -, dass die Elektromobilität ein Jobkiller sei. Da muss man auch entschieden widersprechen. Wir haben erst mal eine Verengung auf den Begriff der reinen batteriebetriebenen Elektromobilität.
Man muss immer dazu sagen, dass dazu auch Wasserstoff gehört. Die Elektrolyse, Wasserstoffgewinnung ist auch Elektromobilität. Da ist mitnichten davon auszugehen, dass so viele Arbeitsplätze verloren gehen würden, wie es jetzt bei der batteriebezogenen Elektromobilität immer unterstellt wird. Da muss man auch ein bisschen ehrlicher die Debatte führen. Das kommt in Richtung Arbeitsplatzentwicklung gnadenlos zu kurz.
Und man muss auch schauen, dass Arbeitsplätze, die auf der einen Seite möglicherweise dennoch verloren gehen sollten, dass die auf anderen Stellen gebraucht werden. Wir haben einen massiven Ausbaubedarf an Speicher- und Flexibilitätstechnologien in allen Segmenten der Energiewende.
Die Fachkräfte werden überall gebraucht. Im Kontext Energiewende gibt es genügend Betätigungsfelder. Das muss aber Politik so lenken, dass tatsächlich weder die Arbeitnehmer, noch die Nutzer zu den Verlierern werden, sondern einfach wichtige und zielführende Signale ausgehen und Maßgaben in die Wege geleitet werden, damit die Industrie sich auf diesen Weg begibt.
Barenberg: Zum Schluss, Frau Scheer: Sie sitzen zusammen mit der Union in einer Koalition. Was muss der Minister, was muss Andreas Scheuer jetzt liefern, um noch die Kurve zu kriegen?
Scheer: Er muss schleunigst ein Ergebnis vorlegen. Es wurde jetzt einfach Zwischenergebnis genannt. Ich denke, eine letzte Chance hätte er, indem er wirklich ein Ergebnis vorlegt, aber das muss schnell passieren. Und dann muss auch ein Verständnis von Kommissionsarbeit an den Tisch, wonach wirklich die Zielvorgaben gelten und nicht das, was man als irgendeinen seichten Kompromiss sich vielleicht von ministerieller Seite wünscht. Das kann nicht Zweck der Übung gewesen sein. Das diskreditiert auch alle Kommissionsarbeiten, auf die sich eine Regierung verständigt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.