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Möglicher Corona-Hilfsfonds
"Ein Stück weit mehr Solidarität, als bisher gezeigt wurde"

Katarina Barley (SPD) begrüßt den deutsch-französischen Vorschlag für einen Corona-Hilfsfonds der EU. Wirtschaftlich besonders betroffene Länder dürften nicht immer weiter in eine Krise rutschen, sagte die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments im Dlf. Davon profitiere auch Deutschland langfristig.

Katarina Barley im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 19.05.2020
Die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Katarina Barley, Bundesjustizministerin, spricht auf einer Bühne auf der Marketing-Fachmesse "Online Marketing Rockstars" (OMR) in den Messehallen.
Es könne nicht einigen wenigen EU-Ländern gut gehen, wenn es vielen schlecht gehe, so Katarina Barley (SPD) ( Georg Wendt/dpa)
Zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein europäisches Programm im Umfang von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen. Dazu solle es der EU-Kommission erlaubt werden, an den Finanzmärkten Kredite im Namen der EU aufzunehmen - das Geld müsse später über mehrere Jahre aus den EU-Haushalten zurückgezahlt werden. Aus diesem zeitlich befristeten Aufbau-Fonds könnten dann die am stärksten von der Coronakrise betroffenen Regionen und Sektoren Geld erhalten.
German Chancellor Angela Merkel listens during a joint press conference with French President Emmanuel Macron, who attends via video link, at the Chancellery in Berlin, Germany, on May 18, 2020 on the effects of the novel coronavirus COVID-19 pandemic. Kay NIETFELD / POOL / AFP
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Es sei gut, dass sich mit dem deutsch-französischen Vorschlag etwas bewege, sagte die SPD-Politikerin und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Katarina Barley im Dlf. Es sei jedoch nicht mehr so, wie es vor einigen Jahren noch gewesen sei, dass die anderen EU-Länder auch nachziehen würden, wenn Deutschland und Frankreich einen Vorschlag machten.
Anders als Eurobonds sei der vorgeschlagene Corona-Hilfsfonds zeitlich und inhaltlich begrenzt und ausdrücklich ein Notprogramm. Der Schuldenberg wirtschaftlich besonders betroffener Länder dürfe nicht weiter wachsen, damit diese nicht immer weiter in eine Krise rutschten.
"Deutschland profitiert von der Struktur der EU"
Mit dem Vorschlag eines Aufbau-Fonds habe man habe Lehren aus vergangenen Krisen gezogen, denn Kredite seien keine langfristige Lösung, so Barley. Das sehe man am Beispiel Italien: Das Land komme wegen der enormen Zinslasten nicht raus aus seinen Staatsverlusten - ähnlich wie die deutschen Kommunen mit ihren Altschulden. "Da kann man sparen so viel man will, da kommt man dann nicht mehr auf die Füße."
Es könne nicht einigen wenigen EU-Ländern gut gehen, wenn es vielen schlecht gehe, sagte die SPD-Politikerin. Deutschland profitiere von der Struktur der EU und die EU sei sehr stark von den deutschen Bedürfnissen geprägt. Es gehe nun nicht um Wiedergutmachung sondern um das "Teilen von den Vorteilen, die man hat".
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Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Frau Barley, was halten Sie von diesem Plan von Merkel und Macron?
Katarina Barley: Es ist erst mal ein guter Schritt, dass sich was bewegt, denn die Fronten waren ja sehr verhärtet in den letzten Wochen, und dass jetzt diese beiden großen Länder Einigkeit demonstrieren und auch einen Schritt zugehen auf die Länder, die am meisten betroffen sind von der Krise, das ist wirklich gut. Allerdings muss man sagen, es ist nicht mehr so wie vor einigen Jahren noch, wenn Deutschland und Frankreich sagen, so können wir uns das vorstellen, dann wird es auch so gemacht. Da liegt noch ein ordentliches Stück Wegstrecke vor uns.
Armbrüster: Können Sie verstehen, warum dieses ganze Geld verschenkt werden soll? Warum sollen es die Länder, die es brauchen, nicht irgendwann zurückzahlen?
Barley: Ja, das ist eine Lehre aus vergangenen Krisen, weil sich gezeigt hat, dass Kredite kurzfristig helfen, aber langfristig diesen Ländern nicht ermöglichen, auf die Füße zu kommen. Italien ist ein gutes Beispiel. Seit der Finanzkrise gibt Italien weniger aus als es einnimmt. Aber trotzdem kommt es nicht raus aus seiner Staatsverschuldung, weil diese enormen Zinslasten aus vergangenen Zeiten noch auf dem Staat lasten. Das kann man ein ganz klein bisschen vielleicht vergleichen mit Kommunen in Deutschland, die besonders in einer schwierigen Lage sind. Da sind es die Altschulden, die so sehr drücken. Da kann man sparen so viel man will im aktuellen Haushalt; da kommt man dann nicht mehr auf die Füße.
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"EU stark von den deutschen Bedürfnissen geprägt"
Armbrüster: Und ähnlich wie in Deutschland könnte es dann auch auf EU-Ebene passieren, dass wir ab jetzt alle paar Jahre Geldgeschenke aus Brüssel zum Beispiel nach Rom schicken?
Barley: Na ja, was heißt Geldgeschenke. Deutschland profitiert von der Struktur der Europäischen Union, wie wir sie jetzt haben. Das ist ja nun hoffentlich weithin bekannt. Es profitiert zum Beispiel von der Struktur, dass die Europäische Zentralbank Europa nur als Ganzes betrachten darf und nicht auf die Unterschiedlichkeiten der Länder unterschiedlich eingehen kann. Da drückt Deutschland beispielsweise bei der Inflation immer den Schnitt ganz extrem und so ist die Europäische Union auch sehr stark von den deutschen Bedürfnissen geprägt, um es mal so zu formulieren, jetzt mal von den Handelsbilanzen ganz abgesehen.
Armbrüster: Das heißt, die Deutschen können hier in dieser Krise einiges wieder gutmachen? Ist es das, was Sie sagen?
Barley: Nein, es geht nicht um wieder gutmachen, weil es ist nichts, was man Deutschland vorwirft, sondern man muss sich klar darüber sein, dass von der Struktur der Europäischen Union Deutschland enorm profitiert. Das sehen wir ja auch. Nicht umsonst entwickelt sich Europa so, wie es sich entwickelt. Und dass man etwas teilt von den Vorteilen, die man selber hat, das ist ein Teil des Gedankens schon lange und das war ja immer auch ein Teil dieses Bonds-Gedanken, der jetzt für einen ganz kleinen Bereich zeitlich limitiert einmal umgesetzt wird.
Barley: Man hat aus der Finanzkrise gelernt
Armbrüster: Das ist ein interessanter Gedanke. Wenn wir da mal in die Details dieses Plans einsteigen können: Wenn das Ganze so kommt, dann bekommt die EU-Kommission hier ihr eigenes Anleiheprogramm. Ist das ein Türöffner für gemeinsame Eurobonds?
Barley: Was wenig bekannt ist: So etwas Ähnliches hat es schon mal gegeben, nämlich in den 70er-Jahren. Das nannte sich Umweltanleihen damals und war zu Zeiten der Ölkrise.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Armbrüster: Allerdings in sehr kleiner Form, nicht im Umfang von 500 Milliarden Euro nach heutiger Rechnung, wenn ich das richtig gelesen habe.
Barley: Damals war die EU auch noch deutlich kleiner. Insofern macht das allein deswegen schon Sinn. Und die Ausmaße dieser Krise – Sie haben es ja in dem Beitrag beschrieben – sind bisher mit nichts vergleichbar. Aber der Mechanismus ist so ähnlich, den gab es schon mal. Es ist kein Tabubruch in dem Sinne. Und es ist auch ganz wichtig, dass damit ja keine Altschulden bedient werden dürfen, sondern es dürfen nur solche Maßnahmen finanziert werden, die jetzt wegen Corona nötig geworden sind, dass dieser Schuldenberg, der dann bleiben würde und dauerhaft die Länder weiter belasten würde, dass der nicht auch noch weiter wächst.
Wir haben ja zum Beispiel gesehen, dass wohl nicht zufällig Länder wie Italien und Spanien deswegen so heftig getroffen worden sind von dieser Krise, weil die in den Zeiten nach der Finanzkrise ihr Gesundheitssystem ja auch stark runterfahren mussten wegen der Sparvorgaben. So eine Krise zieht ja dann immer auch Konsequenzen nach sich und da hat man draus gelernt.
Barley: Ländern helfen, mit einer Wirtschaftskrise klarzukommen
Armbrüster: Frau Barley, aber es ist ja so – ich glaube, das kann man festhalten: Die EU bricht hier oder würde hier brechen mit einem Prinzip, nämlich ein eigenes Anleiheprogramm der Kommission, ein eigener EU-Haushalt auf EU-Anleihepump finanziert. Kann das richtig sein?
Barley: Es ist in dieser Krise, in dieser Zeit ist es richtig. Wir sehen, dass diese Länder sonst immer weiter in krisenhafte Szenarien reinrutschen. Wir haben jetzt eine Art Sofortprogramm mit den Maßnahmen aus dem ESM, mit den Maßnahmen der EZB, auch mit dem Sure-Programm, was unserem Kurzarbeitergeld angelehnt ist, indirekt natürlich nur über die Länder. Aber wenn wir in die Wirtschaftskrise geraten, die abzusehen ist, dann müssen wir den anderen Ländern ein Stück weit dabei helfen, damit klarzukommen, weil sonst auch unser Erfolgsmodell natürlich gefährdet ist.
Armbrüster: Das heißt, wäre dann auch der Weg frei für Eurobonds?
Barley: Nein! Das ist ein Programm, was zeitlich begrenzt ist und auch inhaltlich begrenzt ist. Es ist ausdrücklich ein Notprogramm und darauf legen ja nun alle Länder großen Wert, und es ist ja auch noch lange nicht ausgemacht, ob es tatsächlich so kommt. Aber es ist ein Stück weit mehr Solidarität, als es bisher gezeigt worden ist.
EZB-Urteil hat "Ländern wie Polen und Ungarn Tür und Tor öffnet"
Armbrüster: Frau Barley, was außerdem an diesem Vorschlag auffällt und sofort ins Auge springt: Die Europäische Zentralbank wird dafür überhaupt nicht benötigt. Ist dieser Vorschlag deshalb auch eine Antwort auf das Urteil aus Karlsruhe zu den Anleihekäufen der EZB?
Barley: Wie das Ganze jetzt rechtlich einzuschätzen ist, da wird man sicherlich noch ein, zwei Tage drüber brüten. Ich glaube aber, dass es damit zu tun hat, dass die EZB ja bereits massiv in die Wiederaufbauprogramme eingebunden ist. Das ist jetzt ein anderes Programm, ein anderer Ansatz, und das war von Anfang an die Strategie der Europäischen Union.
Andreas Voßkuhle, Vorsitzender des Zweiten Senats beim Bundesverfassungsgericht, setzt nach der Urteilsverkündung des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu milliardenschweren Staatsanleihenkäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) am 05.05.2020 seine Kopfbedeckung auf.
EZB-Urteil des Verfassungsgerichts:
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank hat Schockwellen ausgelöst, die noch lange spürbar sein werden. Während das Urteil unter Ökonomen umstritten ist, kämpft die EU bereits gegen seine politischen Folgen an.
Armbrüster: Verzeihen Sie, Frau Barley, wenn ich Sie da unterbrechen muss. Die EZB sieht ja ganz offenbar deutlich, dass diese Anleihekäufe zumindest in Karlsruhe nicht auf ein positives Echo stoßen.
Barley: Karlsruhe hat in dem Urteil angemahnt, dass die Europäische Zentralbank besser begründen muss, warum sie diese Entscheidung getroffen hat. Das ist das Ergebnis dieses hoch umstrittenen Urteils. Das Problem dieses Urteils liegt ja nicht in der praktischen Konsequenz, sondern darin, dass es Ländern wie Polen und Ungarn Tür und Tor öffnet, jetzt selber noch mal einen eigenen Maßstab auf EuGH-Urteile zu legen.
Das ist das eigentliche Problem und, dass sie an der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank rütteln. Aber inhaltlich, was dabei rausgekommen ist, ist nur: Die Europäische Zentralbank muss besser begründen und der Europäische Gerichtshof muss seine Entscheidung über die Kontrolle der Europäischen Zentralbank besser begründen. Das ist im Grunde genommen inhaltlich alles, was im Bundesverfassungsgerichtsurteil steht. Insofern glaube ich nicht, dass das jetzt der entscheidende Grund war.
Armbrüster: Sie haben schon einige kritische Staaten angesprochen. Jetzt hat auch dieser aktuelle Plan schon einige Kritiker auf den Plan gerufen. Was würden Sie jetzt als Befürworter solchen Ländern wie zum Beispiel Österreich oder den Niederlanden sagen, die schon jetzt gesagt haben, wir machen bei dieser Initiative so zumindest nicht mit?
Barley: Es gibt die alte Erkenntnis, dass es nicht einigen wenigen Ländern in der Europäischen Union gut gehen kann, wenn es vielen anderen schlecht geht. Das wissen diese Länder eigentlich auch. Gerade wenn ich die Niederlande nehme, die ich wirklich sehr, sehr schätze – mein Lebensgefährte ist Niederländer -, ein tolles Land; aber die haben mit ihren Steuersparmodellen auch dazu beigetragen, dass große italienische Unternehmen, traditionsreiche Unternehmen wie Fiat oder Benetton nicht mehr in Italien ihre Steuern zahlen, sondern jetzt in den Niederlanden. Solidarität kann man auf viele Arten buchstabieren und wenn wir uns einig sind, dass wir miteinander verflochten sind, dann müssen wir Solidarität miteinander üben, und zwar welche, die auch wirklich hilft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.