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Montenegro
Zehn Jahre nach der Unabhängigkeit

Ob das Leben nach der Unabhängigkeit von Serbien in Montenegro besser geworden ist, darüber ist man in dem kleinen Land auf dem Balkan geteilter Meinung. Einige loben Wirtschaftsaufschwung und Nato-Beitritt andere beklagen einen massiven Anstieg der Korruption im Land.

Von Stephan Ozsváth | 03.06.2016
    Flagge Montenegro
    Vor zehn Jahren wurde in Montenegro über die Unabhängigkeit abgestimmt. (imago/ITAR-TASS)
    Dragoljub Zizic präsentiert mit Stolz das Video, das ihn vor 10 Jahren zeigt. Es ist die Nacht des Referendums. 45.000 Stimmen mehr als nötig. Montenegro wird in dieser Nacht unabhängig, befreit sich aus der Umklammerung Belgrads.
    "Imamo Drzavu" - wir haben einen Staat, rufen die Menschen damals fahnenschwenkend. Und sie singen das Lied, das heute die Nationalhymne Montenegros ist.
    Dragoljub trägt in jener Nacht eine Zweiliterflasche Champagner – die leere Flasche hat er heute noch. Unsummen würden ihm dafür angeboten, sagt er. Wie sieht er die Dinge heute - zehn Jahre nach der rauschenden Nacht des Referendums ?
    "Seit der Unabhängigkeit ist alles besser geworden: in der Wirtschaft, im Tourismus. Wir werden Nato-Mitglied und werden schnell in die EU kommen. Mit Serbien zusammen hätten wir das alles nicht geschafft.
    "Milo, Milo"
    "Milo, Milo" rufen die Menschen damals, nach dem gewonnenen Referendum. Denn wichtige Triebfeder der Unabhängigkeit war ein Mann: Milo Djukanovic. Er führt Montenegro auch in die Nato und in die EU. Seit einem Vierteljahrhundert steht er an der Spitze des kleinen Adriastaates mit gerade mal 650.000 Einwohnern - mal als Regierungschef, mal als Präsident.
    "Wenn wir realistisch zurückblicken, wie wir gestartet sind, auch die Rahmenbedingungen der letzten zehn Jahre, die schwere Wirtschaftskrise, bin ich der Meinung, dass wir da sind, wo wir auch hinkommen konnten - mit ernsthafter Arbeit und dem Fleiß eines jeden."
    Dragoljub, der Mann mit der Champagnerflasche, ist bis heute ein treuer Anhänger Djukanovics, früher hat Dragoljub als Kellner auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet, erzählt er. Heute organisiert er Trainingscamps für Sportvereine, vor allem im Fußball.
    Ganz anders als Dragoljub sieht das Andrija Mandic, der Serbe führt die Opposition gegen Djukanovic an. Und er war damals gegen die Unabhängigkeit.
    "Die schlimmsten Vorahnungen, die wir als Block für den Erhalt des gemeinsamen Staates mit Serbien hatten, sind wahr geworden. Wir haben damals gesagt: Es wird ein Privatstaat entstehen, in dem eine Gruppe das Sagen haben wird, und der stark kriminalisiert sein wird. Die Mafia hatte auch vorher schon großen Einfluss. Aber mit der Unabhängigkeit bekam sie ihren eigenen Staat."
    Immer wieder hat es Vorwürfe gegen Djukanovic und seinen Clan gegeben. Zigarettenschmuggel, Kontakte zur Mafia, Angriffe auf Journalisten – die Liste ist lang. Djukanovic blieb ein Unberührbarer. Vuk Maras von der Anti-Korruptions-Bewegung MANS meint.
    "Das Hauptproblem ist, dass die Regierungspartei DPS keinen Unterschied zwischen Partei und Staat macht. Weil sie so lange an der Macht sind, glauben sie, sie können alle Ressourcen für ihr Privatvergnügen nutzen. So haben Djukanovic und die Leute, die ihn umgeben, unvorstellbare Reichtümer angehäuft. Und es geht nicht nur darum, an der Macht zu bleiben, sondern sich der Justiz zu entziehen und frei zu bleiben."
    Dass Djukanovic sich so lange an der Macht halten kann, sei auch die Schuld der internationalen Gemeinschaft, glaubt die "Bürgerallianz", eine Nichtregierungsorganisation in der Hauptstadt Podgorica. Für vermeintliche Stabilität drücke man beide Augen zu, heißt es dort. Institutionen seien schwach, die Justiz nicht unabhängig. Auch wirtschaftlich stagniert es. Die meisten Staatsbetriebe wurden zwar privatisiert – aber ohne Effekt auf die Staatskasse: Die Staatsverschuldung liegt bei 70 Prozent. Dieser Serbe aus Podgorica ist enttäuscht.
    "Das Schlimmste ist, dass es keine Perspektive gibt. Es herrscht totale Korruption. Wenn du nicht schmieren kannst oder keine Beziehungen zur Regierungs-Partei hast, gehst Du unter. Das ist für mich das größte Problem. Ich sage nicht, dass es vor der Unabhängigkeit gut lief, auch damals war es schlecht, aber jetzt ist es viel schlechter."
    Auch diese Frau spürt keinen Unterschied zu vorher.
    "Wir leben nicht besser. Alles ist so wie vor der Unabhängigkeit. Vielleicht geht es bestimmten Einzelnen besser, aber uns kleinen Leuten kaum."