Freitag, 26. April 2024

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Mordfall Susanna F.
"Probleme dieser Politik werden offenbar"

Der Fall der ermordeten Susanna F. errege so viel Aufmerksamkeit, weil er für viele Menschen für eine "gescheiterte Politik" stehe, sagte die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen im Dlf. Unter den Flüchtlingen seien eben viele junge Männer, "die mit dem Leben in unserer Gesellschaft nicht klarkommen".

Gisela Friedrichsen im Gespräch mit Rainer Brandes | 08.06.2018
    08.06.2018, Hessen, Wiesbaden: Kerzen, eine Engelsfigur und persönliche Trauerbekundungen liegen in der Nähe des Leichenfundortes von Susanna F. Die 14-jährige wurde Opfer eines Sexualdeliktes. Der mutmaßliche Täter hat sich in sein Heimatland Irak abgesetzt. (KEIN AUSSCHNITT) Foto: Boris Roessler/dpa | Verwendung weltweit
    Kerzen, eine Engelsfigur und persönliche Trauerbekundungen liegen in der Nähe des Leichenfundortes von Susanna F. Die 14-jährige wurde Opfer eines Sexualdeliktes. (dpa/Boris Roessler)
    Rainer Brandes: Wenn es sich bei dem Tatverdächtigen nicht um einen abgelehnten Asylbewerber handelte, würden überregionale Medien dann überhaupt darüber berichten?
    Gisela Friedrichsen: In diesem Fall glaube ich, dass schon eine Berichterstattung stattgefunden hätte, denn dieses Mädchen war 14 Tage verschwunden, die Mutter hat auf eigene Faust in den sozialen Medien, also zum Beispiel bei Facebook, nach ihr gesucht und da ziemlich viel Aufmerksamkeit erregt. Dann hat man da bei Wiesbaden eine Leiche gefunden, eine weibliche. Dann war die Frage: Ist das möglicherweise dieses Mädchen? Dann ist sie identifiziert worden, dann hat man festgestellt, sie ist vergewaltigt worden. Das alles, meine ich, hätte schon durchaus Potenzial gehabt für eine überregionale Berichterstattung - unabhängig jetzt vom Tatverdächtigen.
    Brandes: Und trotzdem hat dieser Fall journalistisch ja erst so richtig Fahrt aufgenommen, nachdem also klar war, da gab es zunächst zwei Tatverdächtige, jetzt nur noch einen - aber beide waren Asylbewerber. Und da nahm es plötzlich Fahrt auf, sehen Sie da einen Zusammenhang?
    "Probleme werden offenbar - und das kann man den Menschen eigentlich nicht verdenken"
    Friedrichsen: Na ja, man kann diesen Zusammenhang natürlich nicht von der Hand weisen, aus dem einen Grund, weil solche Tötungen in der letzten Zeit vermehrt vorgekommen sind. Sie sind gewissermaßen - oder sie werden von vielen Leuten so verstanden - symptomatisch für eine gescheiterte Politik, durch die viele Menschen ins Land gekommen sind, unkontrolliert, die hierbleiben, obwohl sie abgelehnt wurden als Asylbewerber, und trotzdem hat es keine Handhabe, sie gleich zurückzuschicken.
    Und es sind unter diesen Leuten eben doch viele junge Männer, die mit dem Leben in unserer Gesellschaft, mit der Freizügigkeit, mit der Rolle der Frau, auch mit unserer Haltung gegenüber Juden, und so weiter nicht klarkommen. Da helfen keine Integrationsbemühungen, sondern diese jungen Männer halten sich fest an ihren traditionellen Werten, die nicht übereinstimmen mit unseren Werten. Und das kulminiert dann in gewisser Weise in solchen Taten, da wird das Ganze dann so richtig, also dieses Scheitern oder diese Probleme mit dieser Politik, die werden da offenbar - und das kann man den Menschen eigentlich nicht verdenken.
    Polizisten ermitteln in Wiesbaden nach dem Gewaltverbrechen an der 14-jährigen Susanna aus Mainz
    Polizisten ermitteln in Wiesbaden nach dem Gewaltverbrechen an der 14-jährigen Susanna F. aus Mainz (Arne Dedert/dpa )
    Brandes: Und trotzdem stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt sollten Medien die Herkunft dieser Tatverdächtigen öffentlich bekannt machen. Hier in diesem Fall war es ja zum Beispiel so, dass es anfangs noch einen anderen Tatverdächtigen gab, ein türkischer Staatsbürger, der jetzt aber wieder freigelassen worden ist, weil kein dringender Tatverdacht mehr bestand. Würden Sie sagen, da sind die Medien zu weit gegangen, als sie schon darüber berichtet haben, dass auch das ein türkischer Asylbewerber gewesen ist?
    "Journalisten haben die Verpflichtung, der Öffentlichkeit zu sagen, auf wen der Tatverdacht fällt"
    Friedrichsen: Na ja, es bestand ein gewisser Tatverdacht, man hat immerhin seinen Namen nicht genannt. Im Gegensatz zu dem wirklich ganz schwer Tatverdächtigen, dessen Namen ja zum Teil, wie ich gesehen habe in manchen Zeitungen, sogar vollständig genannt wird. Ich persönlich bin dagegen, dass man Namen oder dass man die Herkunft verschweigt, solange es sich um doch gravierende Taten handelt. Also bei Kleinkriminalität ist es völlig belanglos, ob das ein Deutscher ist oder ein Schweizer oder Iraker, das ist völlig gleichgültig.
    Aber bei solchen schweren Kapitalverbrechen, da haben auch die Journalisten, finde ich, die Verpflichtung, der Öffentlichkeit zu sagen, um wen es sich handelt, auf den der Tatverdacht fällt. Sonst ziehen wir uns nämlich allzu leicht wieder den Vorwurf der Lügenpresse vor und dass wir ja nicht die Wahrheit sagten und so weiter, und das führt dann zu einer Situation, die ich noch viel unangenehmer finde, als wenn man ganz nüchtern in jedem dieser Fall, egal wer es gewesen ist, dazu sagt, um wen es sich handelt.
    Gisela Friedrichsen, gilt als die bekannteste Gerichtsreporterin in Deutschland.
    Gisela Friedrichsen, gilt als die bekannteste Gerichtsreporterin in Deutschland. (picture alliance/dpa - Karlheinz Schindler)
    Brandes: Aber das ist ja eine neue Entwicklung und noch bis vor einigen Jahren war auch der Pressekodex, also die Selbstverpflichtung aller Journalisten da viel strikter mit der Nennung ethnischer Herkunft. Das ist jetzt einfacher geworden, sobald ein öffentliches Interesse vorliegt, kann der Name genannt werden. Und wir haben uns angewöhnt, dass das öffentliche Interesse vorliegt, sobald der Tatverdächtige ein Flüchtling ist. Sehen Sie da nicht die Gefahr, dass in der Bevölkerung zu Unrecht der Eindruck entstehen könnte, Flüchtlinge sind Kriminelle?
    Friedrichsen: Wenn bei einem deutschen Tatverdächtigen das ganz genau so gehandhabt wird - und so ist es ja der Fall -, sehe ich das eigentlich nicht. Wenn dieser Mensch jetzt ein Deutscher gewesen wäre, dann wäre auch in der Berichterstattung gestanden, ein deutscher Staatsbürger oder, was weiß ich, einer aus Wiesbaden oder aus Mainz oder aus woher auch immer ist verdächtig und ist flüchtig.
    Diese politische Correctness, die dazu führt, dass man als Journalist mit drei Scheren im Kopf arbeitet und immer denkt, ja darf man das denn sagen oder ziehe ich mir damit vielleicht den Vorwurf der Pauschalisierung oder der Diskriminierung, also das geht mir langsam ziemlich auf den Geist, das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Ich möchte als Journalist die Dinge, die passieren, die Fakten, die auf dem Tisch liegen, die möchte ich auch nennen dürfen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.