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Motivation, Selbstwertgefühl, Work-Life-Balance

Die EARLI 2013 gilt als wichtigste europäische Tagung in der empirischen Bildungsforschung. Alle zwei Jahre wird sie in einer anderen europäischen Stadt ausgerichtet, dieses Jahr zum ersten Mal in Deutschland.

Von Susanne Lettenbauer | 28.08.2013
    Verantwortungsbewusstes Lehren und nachhaltiges Lernen - das sind die Schwerpunktthemen in diesem Jahr auf der EARLI 2013. Verantwortungsbewusstes Lehren - das beginnt für Organisator Manfred Prenzel bei der Rolle des Lehrers als Lernberater. Lehrer als Coaches, die eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung positiv steuern können und müssen. Vor allem angehende Lehrkräfte leiden heute oft unter dem Praxisschock der ersten Wochen, weiß der Bildungsforscher. Lehrer nutzen deshalb mittlerweile bewusst Videoaufzeichnungen im eigenen Unterricht, um einen professionellen Blick für das Zusammenspiel mit den Schülern zu bekommen. So erkennen sie oft schneller die ersten Anzeichen von Demotivation der Schüler, sagt Nina Brassler von der Uni Bielefeld. Die Lösung:

    "Zu ermutigen, dass man etwas kann. Schülern auch ein Kompetenzerleben zu ermöglichen, das ist ein Punkt. Ein anderer Punkt ist so was wie Autonomie erleben. Wir haben ja auch was gehört über selbst moderiertes Lernen, also auch über verschiedene Regulationsstufen. Je intrinsischer ich motiviert bin, das heißt ich mehr ich das aus eigenem Interesse mache und nicht weil jemand anderes das von mir erwartet, um so motivierter bin ich und umso besser sind die Effekte und das ist etwas, wo die Lehrkräfte ansetzen können."

    Unaufmerksamkeit muss gar nicht immer am Lerninhalt liegen, hat eine in München vorgestellte Studie der Uni Bielefeld ergeben. Referentin Brassler:

    "Was wir herausgefunden haben in dieser Studie war eben, dass wir zum einen diesen Effekt gefunden haben, dass Schüler während einer Studiumshandlung trotzdem beeinträchtigt waren durch Handlungsalternativen aus der Freizeit. Wir haben dann auch herausgefunden, dass diejenigen, die sich stark beim Studium beeinträchtigt fühlen durch die Freizeitalternative, dass die schlechter angepasst sind was das Akademische angeht, also die haben mehr Schwierigkeiten im akademischen Bereich."

    Verantwortungsbewusstes Lehren heißt da, auch bei Schülern bereits eine Work-Life-Balance zu schaffen. Ein Ansatz, dem man an französischen Schulen verstärkt mit innerschulischen Freizeitaktivitäten gerecht werden will. Lernen muss ein Schüler trotzdem noch, betont Wolfgang Schnotz von der Uni Koblenz-Landau, Professor für Allgemeine und Pädagogische Psychologie:

    "Also ich glaube nicht, dass man jetzt den Stein der Weisen gefunden hat, mit dem das jetzt alles plötzlich gelöst werden kann, aber man hat die Perspektive erweitert. Also man sieht jetzt nicht mehr nur die Schwierigkeit des Mathematiklernens selbst, sondern auch die Schwierigkeit, die der einzelne Mensch damit hat, nämlich emotional. Was geschieht, wenn jemand kontinuierlich Probleme hat in der Mathematik, was geschieht mit dem Selbstwertgefühl. Wir haben das Beispiel eines chilenischen Jungen gesehen, der nach Katalonien auswandert mit den Eltern und sich dann plötzlich von einem guten Mathematiker allmählich in einen schlechten Mathematiker verwandelt."

    Motivation, Selbstwertgefühl, Work-Life-Balance - das sind nicht nur die Stichworte für verantwortungsvolles Lehren, sondern auch für nachhaltiges Lernen. Genau da müsse man ansetzen bei der Lehrerbildung, sagt PISA-Experte Manfred Prenzel. Lehrer als Motivationstrainer, die komplizierte Lerninhalte wie in der Mathematik in praxisnahe Aufgaben verpacken:

    "Nachhaltiges Lernen heißt unter anderem eben, dass junge Menschen, sei es in der Schule oder in anderen Bildungseinrichtungen die Sachverhalte tiefer verstehen, dass sie das, was sie gelernt haben anwenden können, dass sie darauf aufbauen können und eben nicht nur vordergründig für die nächste Prüfung lernen."

    Natürlich geht es bei dem hochrangigen Treffen auch um die neue PISA-Studie, die Ende des Jahres erwartet wird. EARLI-Organisator Manfred Prenzel kennt sich da besonders gut aus. Er ist verantwortlich für die Durchführung und Auswertung der PISA-Studie. Mit Blick auf Europa gibt es einige Überraschungen:

    "Dass Schweden sich deutlich verschlechtert hat, auf der anderen Seite Finnland immer noch sehr stark, und dass es in Norwegen langsam besser wird und das bei gleichen Schulsystemen, was zur Relativierung der Einschätzung der Schulstruktur dann beiträgt."

    Das Kopieren von Schulstrukturen anderer Länder ist also nicht die Lösung, die man sich unter Bildungsforschern zur Verbesserung der PISA-Ergebnisse erhofft hatte. Trotz Defiziten steht Deutschland im Vergleich ganz gut da, so Prenzel:

    "Also es gab eigentlich neben Deutschland nicht sehr viele Staaten, die sich positiv entwickelt haben, das waren nur noch Portugal und Polen, die eine starke Entwicklung gemacht haben."

    Wie genau die Ergebnisse aussehen, dazu sagt Prenzel derzeit noch nichts. Man kann gespannt sein.


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