Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

München
NSU-Prozess geht in die Schlussphase

Nach vier Jahren Verhandlung beginnen heute die Plädoyers im NSU-Prozess. Den Anfang macht die Bundesanwaltschaft, deren Plädoyer rund 22 Stunden dauern wird. Die Anwälte der Opfer-Familien stehen der Rolle der Bundesanwaltschaft jedoch kritisch gegenüber.

Von Ina Krauß | 19.07.2017
    NSU-Prozess am 24.01.2017 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München.
    Der NSU-Prozess im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München. (picture alliance / Peter Kneffel/dpa)
    Die Bundesanwaltschaft stand schon länger in den Startlöchern, feilte an ihrem Schlussvortrag. Denn das Ende der Beweisaufnahme war seit geraumer Zeit absehbar. Und so kann Bundesanwalt Herbert Diemer mit seinem Team sofort loslegen. Rund 22 Stunden wird das Plädoyer der Bundesanwaltschaft dauern. Die Anklage ist komplex, erläutert Bundesanwalt Herbert Diemer:
    "Es ist ja ein reiner Indizienprozess, wir haben keinen einzigen Tatzeugen und da müssen eben die ganzen Indizien, die einzelnen Beweise müssen gewürdigt werden, müssen in miteinander in Beziehung gesetzt werden, zusammengesetzt werden wie ein Puzzle."
    Bundesanwalt Herbert Diemer
    Bundesanwalt Herbert Diemer (dpa/picture alliance/Andreas Gebert)
    Aus Sicht der Bundesanwaltschaft ist die über vierjährige Beweisaufnahme gut gelaufen. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk sagte Diemer vor wenigen Tagen, dass er die Ermittlungsergebnisse der Bundesanwaltschaft im Wesentlichen bestätigt sieht. Ins Detail ging er aber nicht. Die Anklage geht davon aus, dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe gleichberechtigtes Mitglied im Terror-Trio NSU gewesen ist. Dem rechtsextremen NSU werden unter anderem zehn Morde und zwei Bombenanschläge mit über 30 Verletzten zugerechnet. Die Morde und Attentate wurden von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübt.
    Ringen um Frage von Zschäpes Glaubwürdigkeit
    Doch die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe vor, den Rückzugsraum für Mundlos und Böhnhardt organisiert und die Taten auch gewollt zu haben. Somit gilt sie als Mittäterin. Zschäpe bestreitet dies. Sie will immer erst im Nachhinein von den Morden und Bombenanschlägen erfahren haben. Doch vielen Prozessbeteiligten erscheint diese Version wenig nachvollziehbar. Bis zuletzt wurde im NSU-Prozess um die Frage von Zschäpes Glaubwürdigkeit gerungen, schließlich stellte aber auch die Verteidigung keine Beweisanträge mehr. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte in den letzten Tagen und Wochen Druck gemacht. Gerichtssprecher Florian Gliwitzky:
    "Es ist sicher richtig, dass ein Gericht darauf achten muss, dass mit zunehmender Dauer des Verfahrens der Beschleunigungsgrundsatz eingehalten wird und dass das Verfahren auch nach rechtsstaatlichen Prinzipien zu Ende geführt wird und so ist es sicher ein wichtiger und notwendiger Schritt, dass das Verfahren jetzt in die nächste Phase kommt."
    Obwohl schon lange erwartet, kam das Ende der Beweisaufnahme gestern für viele Prozessbeteiligte dann doch überraschend schnell. Im NSU-Prozess sind über 90 Opfer und Angehörige von Opfern als Nebenkläger zugelassen. Sie sind aber selten persönlich anwesend, sondern werden von über 60 Anwälten vertreten. Die Opfer-Familien müssen nun sehr kurzfristig anreisen, erklärt Seda Basay. Sie vertritt die Familie des ersten Mordopfers des NSU, des Blumenhändlers Enver Simsek:
    "Unsere Mandanten sind ja berufstätig und können nicht sofort Urlaub nehmen und den Plädoyers beiwohnen das ist jetzt ein bisschen unglücklich, andererseits verstehe ich auch das Gericht, dass hier ein bisschen Druck gemacht wird um endlich zum Ende zu kommen und mit den Plädoyers zu beginnen."
    "NSU ist aus unserer Sicht größere Terrororganisaton gewesen"
    Adile Simsek, die Witwe des ermordeten Enver Simsek, wird heute persönlich kommen, um den Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft zu hören. Doch es ist klar, die Nebenkläger stehen der Rolle der Bundesanwaltschaft in diesem Verfahren kritisch gegenüber. Wichtige Fragen bleiben für die Opferfamilien offen, erklärt Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer:
    "Die Bundesanwaltschaft geht, das ist aus den bisherigen Stellungnahmen klar hervorgegangen, davon aus, dass der NSU eine sehr kleine abgegrenzte Gruppe mit sehr wenigen Helfern und Unterstützern war, also der NSU ist aus unserer Sicht eine viel größere Terrororganisation gewesen, als es der Generalbundesanwalt ja recht bequem auch mit seiner These behauptet."
    Doch noch hat die Bundesanwaltschaft nicht gesprochen. Insgesamt vier Tage wird sie für ihr Plädoyer vermutlich brauchen. Es geht dabei nicht nur um Beate Zschäpe. Neben ihr sind vier mutmaßliche Unterstützer des NSU angeklagt. Allen voran Ralf Wohlleben und Carsten S.. Sie sollen die Haupt-Mordwaffe des NSU besorgt haben. Wohlleben, ein ehemaliger Spitzenfunktionär der NPD in Thüringen, bestreitet den Vorwurf. Carsten S., der sich bereits vor Jahren von der rechtsextremen Szene gelöst hat, legte ein umfangreiches Geständnis ab. Er befindet sich im Zeugenschutz. Sein Anwalt Jacob Hösl sagt, auch sein Mandant sei froh, dass mit dem Beginn der Plädoyers nun ein Ende im NSU-Prozess absehbar ist.