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Schlussphase des NSU-Prozesses
Aufklärung ohne Ende

Bankraube, Bombenattentate und Mord: Diese Taten werden dem "Nationalsozialistischen Untergrund" zur Last gelegt. Seit über vier Jahren muss sich Beate Zschäpe als Hauptangeklagte vor Gericht verantworten. Die Beweisaufnahme steht jetzt kurz vor dem Abschluss – aber noch immer sind viele Fragen offen.

Von Ina Krauß | 16.07.2017
    Das Namensschild der Angeklagten Zschäpe, steht am 08.12.2015 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München
    Das Namensschild der Angeklagten Zschäpe steht am 08.12.2015 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München. (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    Seit mehr als 370 Verhandlungstagen beobachten wir Journalisten diese Szene im Saal A101 des Münchner Oberlandesgerichts. Mal aufmerksam, mal nur aus den Augenwinkeln. Wie Beate Zschäpe durch eine Tür direkt neben der Richterbank den Saal betritt, eine Stofftasche in der Hand, wie sie die wenigen Schritte zu ihrem Platz geht, sich mittlerweile nicht mehr wie in den ersten zwei Jahren des Prozesses wegdreht, wenn Kameras im Saal sind, sondern sich inzwischen offen zeigt, sich dann zu dem Anwalt ihres Vertrauens hinunterbeugt, dem jungen Mathias Grasel, neben ihm auf der Anklagebank Platz nimmt und ihren Laptop auspackt. Zweimal im Monat zeichnen Kameraleute und Fotografen diese immer wiederkehrende Szene auf.
    Es besteht auch nach vier Jahren kein Zweifel: Beate Zschäpe ist die Hauptperson im NSU-Prozess, das Gesicht dieses Mammutverfahrens. Angeklagt wegen Mittäterschaft an zehn Morden, versuchtem Mord in 26 Fällen, zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen, wegen Bildung der terroristischen Vereinigung NSU und außerdem wegen schwerer Brandstiftung. Die Anklage geht davon aus, dass Zschäpe neben den beiden verstorbenen Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gleichberechtigtes Mitglied des NSU gewesen ist. Seit Frühjahr 2013 wird im Saal A 101 verhandelt und immer noch geht es um die Frage, welche Rolle sie in dem Trio spielte.
    Prozess vor dem Ende der Beweisaufnahme
    Jetzt steht das Ende der Beweisaufnahme unmittelbar bevor, bald beginnen die Plädoyers der Bundesanwaltschaft. Werden die drei Vertreter des Generalbundesanwalts das Gericht überzeugen können, dass Zschäpe Mittäterin an den zehn Morden und den anderen Straftaten des NSU war? Oder brachte die Beweisaufnahme Anhaltspunkte dafür, dass sie die Taten nicht wollte und bloß fremdbestimmte Mitläuferin war?
    Die Angeklagte Beate Zschäpe sitzt am 05.07.2016 im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München (Bayern).
    Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe. (dpa / picture alliance / Tobias Hase)
    Auch die mutmaßlichen Unterstützer des NSU lassen sich jeden Verhandlungstag beobachten, wie sie den Gerichtssaal betreten. Nach Beate Zschäpe - fast wie in ihrem Schatten - betritt Ralf Wohlleben den Gerichtssaal, auch er sitzt in Untersuchungshaft und wird deshalb wie Zschäpe aus dem streng bewachten Sicherheitsbereich des Gerichts eingelassen. Der ehemalige NPD-Spitzenfunktionär aus Thüringen gilt als wichtiger Helfer des NSU-Trios, genau wie Carsten S., der als Dritter durch die Saaltür tritt, begleitet von Personenschützern. Er steht unter Zeugenschutz.
    Wohlleben und Carsten S. sollen dem Trio die wichtigste Mordwaffe besorgt und geliefert haben. Wohlleben bestreitet die Vorwürfe, Carsten S., der sich vor vielen Jahren aus der Szene gelöst hat, legte dagegen ein umfangreiches Geständnis ab und belastete Wohlleben dabei schwer. Zwei weitere angeklagte mutmaßliche NSU-Unterstützer können den Gerichtssaal ganz normal betreten, sie befinden sich auf freiem Fuß. Der bekennende Neonazi André E. und Holger G., der sagt, er sei schon vor Jahren aus der Szene ausgestiegen. Beide sollen das Trio logistisch unterstützt haben.
    Dass der NSU-Prozess sich in der Schlussphase befindet, machte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl bereits vor Wochen deutlich. Für den Senat seien alle wichtigen Fragen geklärt, sagte er und erinnerte an das Beschleunigungsgebot, das verlangt, das so zügig wie möglich verhandelt wird, wenn Angeklagte in U-Haft sind. Auch viele Prozessbeteiligte hoffen darauf, dass die Beweisaufnahme geschlossen wird. Es wurden bereits mehr als 800 Zeugen und Sachverständige gehört.
    Nur noch Nebenkriegsschauplätze?
    Zuletzt, kritisiert Rechtsanwältin Seda Basay, drehte sich der Prozess nur noch um Nebenkriegsschauplätze, wie sie es ausdrückt.
    "Hier sind Menschen gestorben, hier sind Menschen hingerichtet worden, und irgendwie dreht sich das in den letzten zwei Jahren nur noch um die Befindlichkeiten der Angeklagten und man will einfach nichts mehr hören. Und irgendwann wollen auch meine Mandanten einen Abschluss finden."
    Basay, eine junge deutsch-türkische Anwältin mit langen dunkelbraunen Locken, vertritt Adile Şimşek, die Witwe des im Jahr 2000 ermordeten Blumenhändlers Enver Şimşek. Diese erste Bluttat der sogenannten Ceska-Serie ist wie eine Blaupause für alle weiteren Morde, die dem NSU zugerechnet werden. Die Täter schossen ihren Opfern aus nächster Nähe in den Kopf, teils direkt ins Gesicht. Für die Mordserie an neun Migranten benutzten sie immer dieselbe Pistole der Marke Česká. Die Polizistin Michèle Kiesewetter wurde mit einer anderen Waffe erschossen. Längst gilt als sicher: Die Morde wurden von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübt. Das Motiv: Ausländerhass und Hass auf den Staat.
    Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe vor, den Rückzugsraum für die Mörder organisiert zu haben, sie damit also aktiv unterstützt und die Taten auch gewollt zu haben. Damit wäre sie mitschuldig an den Morden, so als hätte sie selbst geschossen.
    Klar ist: Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess versucht seit rund eineinhalb Jahren zu retten, was zu retten ist. Sie versuchte sich von ihren Pflichtverteidigern Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl zu trennen, die ihr geraten hatten, im Prozess zu schweigen. Ohne Erfolg. Schließlich setzte sie durch, dass mit dem jungen Mathias Grasel ein vierter Pflichtverteidiger dazu kam. Ein juristisches Greenhorn ohne Erfahrung in vergleichbaren Verfahren und als Strafverteidiger ein Berufsanfänger. Zur Unterstützung stieg noch dessen Kanzleikollege Hermann Borchert als Wahlverteidiger in den NSU-Prozess ein. Er hatte Zschäpe zuvor mehrfach in der U-Haft besucht und gilt als Architekt ihrer neuen Verteidigungsstrategie.
    Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess Beate Zschäpe mit ihrem Verteidiger Mathias Grasel.
    Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess Beate Zschäpe mit ihrem Verteidiger Mathias Grasel. (dpa / picture alliance / dedimag.de)
    Grasel und Borchert bereiteten eine schriftliche Aussage vor. Zschäpe bestreitet darin die Vorwürfe der Anklage, will von den Taten ihrer beiden Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt immer erst im Nachhinein erfahren und diese missbilligt haben. Sie beantwortet in den folgenden Monaten Fragen des Gerichts, die Fragen der Opfer und ihrer Angehörigen aber nicht.
    "Eine demütige Haltung merkt man bei ihr überhaupt nicht"
    An einem heißen Sommertag im Juni 2017 sitzt Adile Şimşek in der Kanzlei ihrer Anwältin im hessischen Friedberg auf einem roten Sofa und berichtet von ihren Eindrücken aus dem NSU-Prozess. Die Witwe von Enver Şimşek reiste mehrmals persönlich nach München, an Verhandlungstagen die ihr wichtig erschienen. Zuletzt war sie im Dezember 2015 da, an dem Tag, an dem Beate Zschäpe ihre Aussage verlesen ließ. Familie Şimşek hatte große Erwartungen an diese Aussage.
    "Die wichtigste Frage war, wie sind sie auf meinen Mann gekommen, warum haben sie ihn zuerst meinen Mann erschossen, wie hat das Ganze angefangen? Das waren die Fragen, die mich am meisten interessiert hat und die nicht beantwortet wurden."
    Die Bundesanwaltschaft geht in ihrer Anklage davon aus, dass der NSU seine Opfer zufällig auswählte. Eine These, die viele Opferfamilien bis heute bezweifeln. Sie vermuten, dass der NSU lokale Unterstützer hatte. Von Zschäpe erhofften sich die Angehörigen Täterwissen. Aber diese bestreitet, in die Mordpläne von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhard eingebunden gewesen zu sein.
    "Ich glaube da kein Wort von, sie hat lange Zeit mit ihnen im Untergrund gelebt, sie hätte zur Polizei gehen können, sie hätte vieles verhindern können und dass sie sich jetzt rausredet, das ist alles gelogen, dass sie das nicht wusste. Also wenn man so eng mit jemandem zusammenlebt, ich kann mir das nicht vorstellen."
    Adile Şimşek haben sich die Eindrücke aus dem Gerichtssaal tief eingeprägt. Zum Beispiel, wie Zschäpe am ersten Verhandlungstag im dunklen Hosenanzug auftrat, wie sie mit ihren Verteidigern scherzte und wirkte, als genieße sie die öffentliche Aufmerksamkeit, während die Angehörigen der Opfer auf Aufklärung hofften.
    "Sie zeigt keine Reue, das merkt man, sie isst ihre Bonbons. Wenn jemand wirklich Reue spüren würde, würde sie sich anders geben, eine demütigere Haltung einnehmen, und das merkt man bei ihr überhaupt nicht."
    Emotionsarm, egozentrisch und manipulativ
    Auch der psychiatrische Sachverständige kann in Zschäpes Erklärungen und ihrem Verhalten keine echte Reue erkennen. Professor Henning Saß wurde vom Gericht bestellt, ein Gutachten über Beate Zschäpe zu verfassen. An vielen Verhandlungstagen verfolgte der schlanke, grauhaarige Professor den NSU-Prozess persönlich, saß in Anzug und Krawatte an seinem Tisch mit Blick auf die Anklagebank. Nur wenige Meter von Beate Zschäpe entfernt beobachtete er sie aus nächster Nähe, hörte Zeugen, studierte Akten. Nach dreieinhalb Jahren Prozess kam er zu dem Schluss: Beate Zschäpe ist voll schuldfähig. Er bescheinigte ihr einen Mangel an Einfühlungsvermögen, beschrieb sie als emotionsarm, egozentrisch und manipulativ. Sie neige dazu, die Verantwortung anderen zuzuschieben. Außerdem hält er sie weiter für gefährlich. Es gebe nach der Aufdeckung des NSU "kaum Hinweise für eine Erschütterung über das Geschehen", so der Psychiater wörtlich in seinem Gutachten. Warum prallt sie derart am Gutachter ab? Es hat einen einfachen Grund, erklärt Nebenklage-Anwalt Thomas Bliwier.
    "Es ist ein großer Unterschied, ob jetzt ein Angeklagter selber spricht und sich befragen lässt, oder ob ich dieses Procedere habe, mit einer schriftlichen Erklärung, Nachfragen dann fünf Wochen später - das entwertet natürlich auch die Glaubhaftigkeit dieser Angaben. Das ist offenkundig eine Verteidigererklärung, das ist zulässig, das kann man so machen, aber das Risiko ist eben dabei, dass es widerlegt wird durch andere Zeugen und Teile der Beweisaufnahme."
    Thomas Bliwier vertritt die Familie von Halit Yozgat, der 2006 in seinem Internet-Café in Kassel erschossen wurde. Dessen Mutter Ayşe hatte sich im Prozess direkt an Beate Zschäpe gewandt und in einem bewegenden Statement "von Dame zu Dame" gesprochen. Frau Yozgat bat Zschäpe, sie möge doch zur Aufklärung beitragen.
    Die Eltern des ermordeten Halit Yozgat, Ayse und Ismael, sitzen am 06.04.2016 bei der Gedenkfeier zehn Jahre nach der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel (Hessen).
    Die Eltern des ermordeten Halit Yozgat, Ayse und Ismael, bei der Gedenkfeier zehn Jahre nach der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel. (picture alliance/ dpa / Swen Pförtner)
    Doch Zschäpe räumte später lediglich ein, was ohnehin bekannt war und durch zahlreiche Indizien als belegt galt: Dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Morde begingen, hatten bereits die Beobachtungen von Zeugen bestätigt, die an mehreren Tatorten zwei Männer auf Fahrrädern beobachtet hatten, die Mundlos und Böhnhardt ähnelten. Außerdem bekannten die beiden sich posthum in dem sogenannten "Paulchen-Panther-Video" zu den Taten des NSU. Diese Bekenner-DVD, in der die Opfer auf zynische Weise verhöhnt werden und Fotos von den Tatorten verwendet wurden, verschickte Beate Zschäpe unmittelbar nach dem Tod der beiden Uwes insgesamt 15 mal. Sie gibt das zu, bestreitet aber, den Inhalt gekannt zu haben.
    Es lässt sich nicht nachweisen, dass sie an der Herstellung des Bekennervideos beteiligt war, auch hat die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass sie an einem der Tatorte war oder direkt an den Morden beteiligt gewesen wäre. Ihre Darstellung der ahnungslosen Mitläuferin trägt dennoch nicht, betont Nebenanklage-Anwältin Doris Dierbach.
    Fragwürdiges Gegengutachten
    "Sie behauptet ja sie sei das zarte zurückhaltende unterdrückte weibliche Wesen gewesen, was zuhause defensiv darauf gewartet habe, dass die Männer wieder nach Hause kommen. Das ist nicht nur nicht glaubhaft auf dem Hintergrund dessen, was wir von Zeugen, und zwar durchaus ihr wohlmeinenden Zeugen gehört haben, die sie ja durchgängig beschreiben als eine ganz taffe, selbstbewusste, selbstbestimmte Person, die sich nichts vorschreiben lässt, die sich nicht unterdrücken lässt, die sich auch in keiner Weise Dinge vormachen lässt, die so nicht richtig sind. Insofern gibt es wirklich niemanden, der diese Angaben von Beate Zschäpe auch nur im Ansatz bestätigt."
    Außer einen: Professor Joachim Bauer. Der Psychiater wurde von Zschäpes neuen Anwälten beauftragt ein Gegengutachten anzufertigen. Er besuchte Zschäpe acht Mal in der Untersuchungshaft und sprach 16 Stunden lang mit ihr. Er erfuhr von Zschäpe, dass sie im Untergrund mehrfach von ihrem Partner Uwe Böhnhardt körperlich misshandelt wurde. Dass sie sich dennoch nicht von ihm lösen konnte.
    Nach Ansicht von Professor Bauer leidet Zschäpe unter einer dependenten, also abhängigen Persönlichkeitsstörung. Der Autor mehrerer populärwissenschaftlicher Bücher und Spezialist für Psychosomatik erwies sich allerdings als wenig professionell. Zum Gespräch mit der Probandin wollte Bauer Pralinen in die JVA Stadelheim mitbringen. Auch sonst schien ihm die neutrale Distanz zu fehlen. In einer E-Mail an die Presse sprach er im Zusammenhang mit dem Prozess von einer Hexenverbrennung. Das Gericht gab einem Befangenheitsantrag mehrerer Nebenkläger statt. Das Gutachten ist damit wertlos. Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel und Hermann Borchert lehnen jede Stellungnahme gegenüber der Presse ab.
    Sie sind auch in den Pausen nicht auf dem Vorplatz des Münchner Justizzentrums zu sehen. Hier treffen sich Verteidiger, die Vertreter der Bundesanwaltschaft, Nebenklageanwälte, Journalisten in den Prozesspausen auf eine Zigarette oder um das Geschehen im Gerichtssaal zu besprechen. Stammgäste in der Raucherecke sind Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, Zschäpes sogenannte Alt-Verteidiger.
    Autonome Terrorzelle oder eingebettet in rechtsextremistische Szene?
    Die Anwälte sind an diesem Tag genervt, der Vorsitzende Richter hat kurzfristig zwei Verhandlungstage abgesetzt, wie so oft in letzter Zeit. Doch das sind die kleineren Übel dieses Verfahrens. Das viel größere Problem ist, dass ihre Mandantin die drei zu Statisten degradiert hat. Das prominente Mandat ist den Dreien längst zur unangenehmen Pflicht geworden. Wolfgang Heer verhehlt das nicht.
    "Die Situation der Verteidigung insgesamt ist natürlich problematisch, das ist kein Geheimnis. Frau Zschäpe hat selbst vorgetragen, dass sie seit langer Zeit eine Kommunikation mit Frau Sturm, Herrn Stahl und mir ablehnt, dies macht es natürlich schwer für jeden Verteidiger. Der Vorsitzende hat uns sozusagen zwangsverpflichtet an diesem Prozess weiter teilzunehmen, wir üben die Verteidigung so gut aus, wie wir dies noch können."
    Eine Kombo aus Reproduktionen der Ostthüringer Zeitung aus dem Jahr 1998 zeigt Fahndungsbilder von Beate Zschäpe (v.l.), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
    Eine Collage aus Reproduktionen der Ostthüringer Zeitung aus dem Jahr 1998 zeigt Fahndungsbilder von Beate Zschäpe (v.l.), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. (picture alliance / dpa / Frank Doebert / Ostthüringer Zeitung)
    Bundesanwalt Dr. Herbert Diemer äußert sich in dieser Phase des Verfahrens nur sehr zurückhaltend. Doch es ist klar, er und sein Team sehen sich bestätigt.
    "Es ist in der Tat so, dass sich die Ermittlungsergebnisse, die wir dem Gericht mit der Anklageschrift unterbreitet haben, in der Beweisaufnahme widergespiegelt haben, aber eine endgültige Bewertung können wir erst nach endgültigem Abschluss der Hauptverhandlung vornehmen. Alles andere wäre auch unprofessionell."
    Die Bundesanwaltschaft geht in ihrer Anklage beim NSU von einer Terrorzelle aus, die weitgehend autonom und losgelöst von der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene operierte. Diese These wird von vielen Vertretern der Nebenklage bezweifelt. Antonia von der Behrens versuchte gemeinsam mit Kollegen in zahlreichen Beweisanträgen zu belegen, dass der NSU in eine größere Struktur eingebettet war.
    "Unser Ziel war ganz klar, das, was in der Anklage gefehlt hat, herauszuarbeiten. Einmal der Punkt: wie groß war das Unterstützernetzwerk des NSU eigentlich? Herauszuarbeiten, dass es eine Struktur war, die den NSU unterstützt hat und nicht Einzelpersonen. Das war das eine Ziel. Das andere Ziel war, die staatliche Mitverantwortung herauszuarbeiten, nämlich dass es aus unserer Sicht möglich gewesen wäre, mit den Informationen, die damals vorhanden waren, die drei aufzuspüren und festzunehmen, bevor die Taten eigentlich begangen werden. Und das haben wir immer wieder versucht, mit Anträgen aber auch indem wir Zeugen, Neonazi-Zeugen oder Verfassungsschützer intensiv befragt haben."
    Viele offene Fragen
    Das Gericht konzentrierte sich zuletzt ganz auf die Klärung der Tat- und Schuldfrage. Die Frage nach Helfern sei dafür letztendlich nicht relevant. Auch eine Mitverantwortung des Staates wollte der Senat nicht feststellen. Juristisch sei diese nur gegeben, wenn der Staat an der Genese der Taten mitgewirkt habe. Auch eine weitere Frage wird wohl am Ende dieses Verfahrens offen bleiben. Die nach der Rolle des hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme.
    Der Beamte und V-Mann-Führer war am Tatort, als Halit Yozgat in dem Kasseler Internet-Café erschossen wurde. Sechs Mal war er im NSU-Prozess geladen und wurde intensiv befragt. Seine Darstellung, er sei nur zufällig am Tatort gewesen und habe von dem Mord nichts mitbekommen, erscheint vielen fragwürdig, vor allem der betroffenen Familie Yozgat und ihren Anwälten. Doch das Gericht erklärte schließlich, der Verfassungsschutzbeamte Temme sei glaubwürdig.
    Der Laden, in dem Halit Yozgat am 6.4.2006 von den NSU-Mördern erschossen wurde.
    Der Laden, in dem Halit Yozgat am 6.4.2006 von den NSU-Mördern erschossen wurde. (dpa / Florian Schuh)
    Es gibt viele offene Fragen rund um den NSU, die im Prozess nicht aufgeklärt werden konnten. Das Trio führte fast 14 Jahre im Untergrund ein ganz normales Leben, mit Urlauben und Nachbarschaftskontakten. Praktisch unter den Augen der Öffentlichkeit. Wie das geschehen konnte, obwohl Ermittler ihnen vor dem Untertauchen direkt auf den Fersen waren und sie auch danach Kontakt mit V-Leuten des Verfassungsschutzes hatten, ist ein Rätsel, das der NSU-Prozess ebenso wenig klären konnte wie diverse Untersuchungsausschüsse.
    Das ärgert Adile Şimşek, die sich noch gut an das Versprechen erinnern kann, das Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr und den anderen Opfern kurz nach der Selbstenttarnung des NSU gab. Das der umfassenden Aufklärung.
    "Für uns hat dieses Strafverfahren nichts gebracht, Frau Merkel hat das Versprechen gegeben dass sie alles aufklären wird und dieses Versprechen ist nicht eingehalten worden."