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Münster
Vorzeigeprojekt zur Flüchtlingsbetreuung stößt an seine Grenzen

Die Flüchtlingsbetreuung in Münster gilt deutschlandweit als vorbildlich: dezentrale Unterbringung in relativ kleinen Gruppen, die Betreuung liegt fast ausnahmslos in städtischer Hand. Aber in der aktuellen Situation stößt auch Münster an seine Grenzen.

Von Moritz Küpper | 10.08.2015
    Fahrräder stehen Münster (Nordrhein-Westfalen) vor der Städtischen Flüchtlingseinrichtung Hoppengarten vor einem Eingang.
    Flüchtlingseinrichtung in Münster: Die Unterbringung in kleinen Einheiten kann nicht mehr gewährleistet werden. (picture alliance / dpa / Caroline Seidel)
    - "Hallo George, na.
    - "Hallo."
    - "Können wir reinkommen?"
    - "Ja."
    Ein Einfamilienhaus im Westen Münsters. Der kleine George, er kommt so gerade an die Türklinke heran und öffnet die Tür. Sozialarbeiterin Gitta Kock zeigt das Haus. Denn das Einfamilienhaus, in dem George mit seiner Schwester und seiner Mutter lebt, es ist kein normales Haus, sondern eine Interimsunterkunft für Flüchtlinge. Gitta Kock spricht mit George arabisch:
    - "Der ist erst seit zwei Monaten in der Kita oder drei und er sagt, er hat mich schon verstanden."
    - "Willst Du nach oben gehen?"
    - "Wir gehen gleich auch nach oben, Süßer. Das ist so, wie praktisch unser Standpunkt auch. Hier wohnt eine Familie, dreiköpfig. Weiß gar nicht, warum sie sich gerade verkriechen ... "
    Über zehn Namen stehen am Klingelschild. Jetzt, im Eingangsbereich, sind alle weißen Zimmertüren verschlossen. Das Haus Nummer 81, durch das Gitta Kock gerade führt, es ist eines von vielen in einer Siedlung aus Steinhäusern. Große grüne Rasenflächen, davor dann ein breiter Gehweg.
    "Wir sind hier an der Von-Esmarch-Straße. Das sind ehemalige Briten-Wohnhäuser."
    50 Personen pro Einheit
    Dagmar Arnkens-Homann ist verantwortlich für die Unterbringung hier, sie ist die Sozialamtsleiterin in Münster. Eigentlich ist die Siedlung um die Von-Esmarch-Straße nicht das Konzept, für das Dagmar Arnkens-Homann, vor allem aber die Stadt Münster steht – und mittlerweile auch bekannt ist:
    "Also, die Stadt Münster hat ja ein Konzept, dass darauf beruht, dass wir die Flüchtlinge nicht zentral, in großen Einheiten unterbringen, so wie andere Kommunen: 300 bis 400, oft an Randgebieten der Stadt, sondern wir haben ja eine integriertes Flüchtlingskonzept. Das bedeutet: kleine Einheiten, immer zu 50 Personen."
    Arnkens-Homann sitzt mittlerweile am Tisch in Haus Nummer 63. Erdgeschoss, der Raum für den Sprachunterricht. 50 Personen. Es ist diese Zahl, die Münster als Ziel ausgerufen hatte, auf die man stolz war und ist – und auf die sich das Konzept wohl am ehesten runterbrechen lässt:
    "Bis 50, das finde ich eigentlich eine optimale Größe, weil die Integrationsleistungen viel besser sind."
    Ursprung entstanden durch Flüchtlinge während des Jugoslawien-Kriegs
    Bei insgesamt 300.000 Einwohnern in Münster sei Integration nur zu gewährleisten, wenn die Flüchtlinge auf die einzelnen Stadtteile verteilt werden:
    "Der Ursprung des Konzepts war es, dass nach dem Jugoslawien-Krieg, dadurch, dass die Flüchtlinge dann wieder zurückgegangen sind in ihre Heimat, diese großen Unterkünfte, die wir bislang auch hatten, die waren auch oft in einem sehr schlechten Zustand, sehr marode. Also, man hat die aufgegeben. Gleichzeitig hat die Stadt sich aber darauf einstellen wollen und hat es auch getan und sich überlegt, was ist, wenn die nächsten Flüchtlinge, wenn irgendwo wieder Kriege entstehen. Und so ist dieses Konzept eigentlich entstanden, dass wir gesagt haben, wir bauen in einzelnen Stadtteilen, einzelne Häuser."
    Ein weitere Baustein des Konzepts: Bei allen Standorten wurde die Anbindung an die Infrastruktur überprüft, sprich: Gibt es eine öffentliche Verkehrsanbindung? Schule? Kita? Wie ist das Konfliktpotenzial in der Gegend?
    Münster braucht weitere Kapazitäten
    Doch: Die aktuellen Flüchtlingszahlen überfordern auch die Stadt Münster und ihr Modell. In einem Mediationsverfahren und Diskussionen innerhalb der Verwaltung wurden zwar weitere 27 Standorte auf ihre Tauglichkeit untersucht, von denen nun auch elf ausgewählt sind, doch eine Herrichtung braucht Zeit, weshalb nun unter anderem die Siedlung hier im Westen der Stadt benutzt wird.
    Bis zur vergangenen Woche lag die Zahl der unterzubringenden Flüchtlinge insgesamt bei bereits bei 2300. Die Stadt hatte regulären Platz für 600. Doch unabhängig von diesen Kapazitäten, sozusagen der Hardware, braucht die Stadt bei der Software, der Integration, Hilfe von den Ehrenamtlichen.
    Wie in allen Kommunen, gibt es auch in Münster aktuell eine Belastungsprobe: Das "Konzept ist krisenfest – noch", kommentierte die örtliche Zeitung, die "Westfälischen Nachrichten", bereits im Oktober des vergangenen Jahres. Und mahnte mehr Gelder und Unterstützung von Land und Bund an. Es ist ein Hilferuf, der aktuell aus jeder Kommune kommen könnte, denn auch das "Modell Münster", mit seinen kleinen Gruppen, dem engen Kontakt und der gelebten Integration ist an seinen Grenzen:
    "Wir wollen da wieder hin. Das ist der Grundgedanke. Das Konzept soll Bestandteil werden für die Zukunft, aber bis dahin ist es noch mal ein anderer Weg."
    Doch: Wann, wo und wie, der endet, das weiß auch Sozialamtsleiterin Arnkens-Homann nicht. Momentan zumindest.