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Mursis Rede "eher konfrontativ, drohend"

Der ägyptische Präsident Mursi wies in seiner Rede die Schuld an der Gewalteskalation der Opposition zu, sagt Roland Meinardus Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung Kairo. Die Reaktionen aus den Oppositionskreisen seien nicht wohlwollend. Es müsse damit gerechnet werden, dass die Proteste weitergehen.

Roland Meinardus im Gespräch mit Silvia Engels | 07.12.2012
    Silvia Engels: In Ägypten ist diese Nacht offenbar etwas ruhiger verlaufen als die vorangegangene. Einige Anhänger und viele Gegner von Präsident Mursi waren lautstark auf den Straßen, doch die Gewalt eskalierte nicht so extrem wie in der Nacht zum Donnerstag. Da starben sieben Menschen bei Auseinandersetzungen. Die lang erwartete Fernsehansprache des Präsidenten am Abend hat allerdings manche Hoffnung enttäuscht.

    Die Rede von Präsident Mursi griff gestern Abend mein Kollege Peter Kapern im Gespräch mit Roland Meinardus auf. Er ist der Leiter des Regionalbüros Ägypten der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Er fragte ihn, wie er den Tonfall Mursis bewertete.

    Roland Meinardus: Man muss dazu sagen, man hatte eine Rede erwartet, die ein gewisses Entgegenkommen erkennen lässt, nachdem es in den letzten Stunden und Tagen zu einer beispiellosen Eskalation und einer Polarisierung in Ägypten gekommen war. Aber Herr Mursi präsentierte sich dem Publikum eher konfrontativ, drohend, nicht konziliant und mit dem Vorwurf, dass es ausländische Kräfte sind, die sich wieder in ägyptische Dinge einmischen. Er hat die alte Verschwörungstheorie wieder bemüht, dass bezahlte Provokateure am Werk seien, hinter der Gewalt stünden. Er sprach wörtlich von versteckten Händen, und das ist eine Sprache, die die Ägypter noch sehr, sehr gut kennen von dem Regime Mubarak. Was auffällig war auch: Er übte keine Kritik etwa an den Schlägertrupps der Muslimbrüder, die ja nun auch wohl dokumentiert sind, sondern wies die Schuld an der Eskalation der Gewalt einseitig der Opposition zu, und insofern verwundert es nicht, dass das Echo in den sozialen Medien, die ersten Reaktionen aus den Kreisen der Opposition keine wohlwollenden sind.

    Peter Kapern: Wie fallen diese Reaktionen aus und welchen sozialen Medien entnehmen Sie diese Reaktionen?

    Meinardus: Ja in Ägypten wird sehr intensiv mit Twitter gearbeitet. Die führenden Politiker, die Oppositionspolitiker, aber auch die Aktivisten in ihrem Umkreis, die gebrauchen Twitter. Und sehr häufig war der Vergleich dort, das hatten wir schon bei Mubarak gehört, und das ist schon eine Geschichte, die sich seit einigen Tagen jetzt dort breitmacht, der Vergleich des aktuellen Präsidenten mit seinem Vorgänger. Das ist sicherlich nicht sehr schmeichelhaft für Herrn Mursi, der sicherlich ein anderes Tattoo hat und auch eine andere Legitimität als Mubarak. Wir dürfen nicht vergessen: Er wurde von einer Mehrheit der Ägypter vor etwa einem halben Jahr gewählt.

    Kapern: Nun hat er der Opposition ja immerhin ein Treffen am kommenden Samstag angeboten. Das ist in Ihren Augen also nicht mehr als ein vergiftetes Angebot?

    Meinardus: Ja man muss die politische Ausgangslage im Auge haben. Die Opposition hat drei Dinge gefordert: erstens eine Rücknahme des Ermächtigungsdekrets, zweitens eine Aussetzung des Referendums und drittens eine Neubesetzung der verfassungsgebenden Versammlung. In diesen Punkten ist er der Opposition nicht entgegengekommen. Er hat an dem Samstag zu einem mittäglichen Treffen eingeladen. Gleichzeitig findet aber schon in den ägyptischen Auslandsvertretungen, unter anderem auch in Deutschland, das Referendum statt, die Auslandsägypter werden sich daran beteiligen. Insofern schafft die Regierung hier vollendete Tatsachen, und das ist sicherlich kein gutes Zeichen für ein Gespräch mit einem offenen Ausgang.

    Kapern: Nun hat er doch auch angedeutet eine Einschränkung dieses kritisierten Ermächtigungsdekrets. Ist das keine substanzielle Änderung, die er da angedeutet hat?

    Meinardus: Ja so wie ich das verstehe, dieses Ermächtigungsdekret hat sieben Artikel, und einer der Giftzähne ist dieser Artikel sechs, der sagt, dass er, um die Revolution zu schützen, eigenmächtig Entscheidungen treffen darf, ohne jegliche Kontrolle von irgendjemand anders. Das ist eine sehr imperiale Handhabe, die wirklich sehr, sehr ungewöhnlich ist. Und nun konkretisierte der Präsident, das beziehe sich nur auf sogenannte Souveränitätsfragen, Fragen von Krieg und Frieden. Das ist eine Interpretation, die vor einigen Tagen schon der Justizminister hier in einem Gespräch gemacht hat. Insofern substanziell nichts Neues.

    Kapern: Ziehen wir einen Strich drunter: Das war nicht die Botschaft, die die Opposition erwartet oder erhofft hatte. Welches Szenario sehen Sie jetzt für die kommenden Tage?

    Meinardus: Nein, sicherlich nicht. Sicherlich nicht der Präsident, der der Präsident aller Ägypter sein wollte. Wir müssen damit rechnen, dass die Opposition die Straßenproteste fortsetzt. Wir müssen letztendlich auch befürchten, dass es dort zu Auseinandersetzungen mit Anhängern von Mursi kommen wird, obwohl Herr Mursi gesagt hat, er wird das nicht dulden, er will Stabilität einführen. Aber in dieser Aussage ist er nicht glaubwürdig, denn es ist ziemlich eindeutig für viele Ägypter, dass die Gewalt von den Islamisten ausgegangen ist, und wenn er sie jetzt durch Verschweigen schützt, dann ist das kein gutes Zeichen für die Neutralität des Staatsapparates und des Staatspräsidenten. Insofern ist zu befürchten, dass es weiter zu Protesten kommen wird, die im schlimmsten Falle auch eskalieren werden.

    Kapern: Kann unter diesen Bedingungen in Ägypten überhaupt ein Verfassungsreferendum, das ja Mursi konsequent durchziehen will, überhaupt stattfinden?

    Meinardus: Ja das ist halt die große Frage. Möglicherweise kann es stattfinden, möglicherweise können Fakten geschaffen werden. Ob dieses Verfassungsreferendum eine Verfassung hervorbringt, die legitim ist, das ist die große Frage, und das ist halt die Sorge, die viele Menschen hier haben, dass das neue, das demokratische Ägypten einen Neustart betreibt mit einer Verfassung, die nur von einer gewissen Gruppe der Bevölkerung akzeptiert und anerkannt wird, und das ist sicherlich kein guter Start.

    Engels: Das Gespräch zwischen Roland Meinardus, dem Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Ägypten.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.