Dienstag, 07. Mai 2024

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Museum in Utrecht
Die Wunder-Hotline

Ein Museum in Utrecht musste seine Ausstellung über Wunder aufgrund des Coronavirus schließen. Doch wenn man das Museum anruft, kann man sich von Wundern berichten lassen. Oder auch selbst von Wundern erzählen. Eine gute Gelegenheit, um sich zu wundern.

Von Ada von der Decken | 17.04.2020
Illustration von einem Mann, der einsam vor einem Sternenhimmel steht und auf sein hell erleuchtetes Telefon blickt.
Wer beim Museum im ehemaligen Kloster Catharijneconvent in Utrecht anruft, kann sich von Wundern erzählen lassen (imago / Ikon Images / Gary Waters)
Telefonansage auf Niederländisch. Mehrere Optionen stehen zur Auswahl: Drückt man die eins, hört man etwa die Geschichte von Simone, einer Mitarbeiterin des Museums:
Sie und ihr Mann überlebten 2004 knapp den Tsunami in Thailand, und am selben Abend habe Simone festgestellt, dass sie schwanger ist. Für das Paar ein einschneidendes Erlebnis, ihr persönliches Wunder.
Drückt man die Wahltaste drei, fordert einen die freundliche Telefonstimme dazu auf, selbst von einem Wunder zu berichten. Wie diese Idee entstand, erzählt uns Rosa van der Wielen vom Museum Catharijneconvent – natürlich ebenfalls am Telefon:
"Anfangs war das nur als spielerische Ergänzung gedacht, um die Ausstellung bekannt zu machen. Aber seit die Corona-Krise die Welt erfasst hat, hat es natürlich eine ganz neue Bedeutung bekommen. Ja, im Moment warten wir doch gewissermaßen alle auf ein Wunder. Also, etwas Spielerisches ist plötzlich zu etwas sehr Ernstem geworden."
Wunder im Kunstwerk
Ende Februar hat die Ausstellung nach zwei Jahren Vorbereitung im ehemaligen Kloster Catharijneconvent eröffnet. Unter dem Titel: "Allemaal wonderen" - zu deutsch "Alle Wunder" - geht sie das Thema aus mehreren Blickwinkeln an. Ein Schwerpunkt: wie Künstler Wunder in ihren Werken verarbeiten. Eine Videoinstallation zeigt die Performance-Künstlerin Marina Abramović - scheinbar frei schwebend zwischen Töpfen und Pfannen in einer Küche. In Anlehnung an die Überlieferung von Teresa von Ávila, die zu solchem Schweben im Stande gewesen sein soll - dank eines Wunders.
Ein Kernstück außerdem: ein Werk Rembrandts, das zeigt, wie Lazarus durch Jesus von den Toten auferweckt wird, so Rosa van der Wielen:
"Wenn Künstler Wunder darstellen wollen, müssen sie etwas abbilden, was sie selbst nicht gesehen haben. Sie müssen dafür ihre gesamte Vorstellungskraft einsetzen. Es muss für die Betrachter schließlich sowohl nachvollziehbar als auch interessant dargestellt sein."
Große Bedeutung in vielen Religionen
Es sind auch die Kleidungsstücke jener Kinder ausgestellt, denen Anfang der 1930er Jahre im belgischen Beauraing die heilige Maria erschienen sein soll. Für die katholische Kirche spielen Wunder eine bedeutende Rolle. Heilig- oder Seligsprechungen werden nur vorgenommen, wenn die Kirche auch Wunder feststellen konnte, sofern es sich nicht um einen Märtyrer handelt. Und was ein Wunder ist, dafür gibt es strenge Kriterien - gewissermaßen eine katholische Wunder-Verwaltung.
Auch in anderen Religionen haben Wunder ihren festen Platz. In der evangelischen Kirche allerdings sieht man sie deutlich skeptischer als bei den Katholiken. Anruf bei Elisabeth Gräb-Schmidt. Sie ist Professorin für evangelische Theologie an der Universität Tübingen und befasst sich auch mit Wundern:
"Die haben ja ein sehr schlechtes Standing, wenn man sie einfach integrieren möchte in einen philosophischen Zusammenhang, und darum geht es mir. Also die Wunder im Grunde - das sprachfähig zu machen, worum es in religiöser Sichtweise, was mit dem Ausdruck Wunder gefasst wird."
Wunder aus protestantischer Sicht
Für die Theologin Gräb-Schmidt sind Wunder keineswegs faule Zaubertricks und haben auch nichts mit Esoterik oder Aberglaube zu tun. Wunder seien hingegen eine sehr persönliche und subjektive Erfahrungswirklichkeit. Gräb-Schmidt nutzt daher eine sehr weite Definition für Wunder:
"Weil man immer an Grenzen stößt - und dass diese Grenzen einen nicht überwältigen, sondern dass die einen immer wieder aufbrechen lassen zu neuen Ufern. Auch wenn man scheitert, also auch wenn alles darniederliegt und dann trotzdem weitermacht. Das würde ich als Kern einer Auffassung beschreiben, die tatsächlich auch mit dem Wunder rechnet. Und wo etwas möglich ist, was eigentlich nach der jetzigen Wahrnehmung unmöglich scheint. Da hat das Wunder seinen Ort. Also Wunder als die Wirklichkeit des Möglichen, könnte man es beschreiben. Oder als Einsprengsel in eine Alltagswirklichkeit, die ausweglos erscheint."
Also zum Beispiel, wenn sich die Menschen in der Corona-Krise nicht unterkriegen lassen, sondern durchhalten und wieder aufstehen. Im Museum Catharijneconvent in Utrecht wünscht man sich, bald wieder öffnen zu können. Bis Ende August sollte die Wunder-Ausstellung planmäßig noch laufen, und die Macher wollen noch einige Besucher ins Staunen versetzen. Bis dahin bleibt nur der Anruf bei der Wunder-Hotline.