Elke Durak: Wovor habt ihr Angst, will der türkische Ministerpräsident von den Deutschen wissen und hat seine Forderung wiederholt, in Deutschland sollte es türkische Schulen geben, wenigstens solche mit Türkisch und Deutsch als Unterrichtssprache. Assimilation sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, auch das hat er gestern in Ankara wiederholt und hierzulande wird gefragt, was will er von uns, und sollen wir die EU-Beitrittsverhandlungen nicht besser gleich lassen. Die meisten der in Deutschland lebenden Türken sind Muslime. Einer der sie vertretenden Dachorganisationen ist der Zentralrat der Muslime in Deutschland mit knapp 20 Mitgliedsorganisationen, und dessen Generalsekretär Aiman Mazyek habe ich am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Mazyek!
Aiman Mazyek: Einen schönen guten Morgen, Frau Durak!
Durak: Als Mitbegründer der Grünhelme dürften Sie eine Vorstellung davon haben, was Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Gehört das, was Ministerpräsident Erdogan offensichtlich hier in Deutschland vermutet und Assimilation nennt, dazu?
Mazyek: Ehrlich gesagt, wenn ich sein Berater gewesen wäre, hätte ich ihm davon abgeraten, diese Wortwahl zu wählen. Aber in der Sache hat er doch etwas angestoßen, was das Befinden der Muslime und der Türken wiedergibt. Sie möchten sich integrieren, sie möchten ein Teil dieser Gesellschaft sein, aber sie möchten sich nicht assimilieren, auflösen, ihre Kultur, Religion sozusagen abgeben. Ich glaub, Erdogan hat auf der anderen Seite auch sich als den großen Kümmerer für die Türken und für die Muslime hier geriert. Er trifft sozusagen ihren Nerv, auch hier Herzen und nervt vielleicht hiesige Politiker, die sich so ein bisschen beleidigt brüskiert abwenden und fragen sich, ja, aber warum vertrauen sich die Türken nicht uns an. Warum haben sie keinen Glauben in die deutsche Politik? Und ich glaube, das ist das, was momentan diese Aufregung auch ausmacht.
Durak: Herr Mazyek, ich gebe ihn Brief und Siegel, mit diesen Worten werden nicht nur Politiker geärgert, das kann man sich vorstellen. Welcher Deutsche verlangt die völlige Aufgabe der türkischen Identität von den Türken, also die Assimilation? Kennen Sie einen?
Mazyek: Ich glaube nicht, dass es darum geht, was verlangt wird. Hier läuft ja vieles auch auf der emotionalen Ebene ab. Ich denke, das ist das, was gefühlt wird. Da kann man sich streiten, ob das objektivierbar ist. Aber gefühlt wird Folgendes, die Türken, die Muslime fühlen sich nicht ernst genommen, sie fühlen sich verunsichert, auch gerade nach diesem Brandanschlag [vgl. Anmerkung am Textende] in Ludwigshafen. Sie haben Angst, sie haben das Gefühl, dass ihre Sorgen und Ängste nicht ernst genommen werden. Die Aussage von der Bundeskanzlerin Merkel, die jetzt eben oder gestern gesagt hat, ich bin die Bundeskanzlerin aller Menschen hier, Türken und Deutsche, die finde ich sehr, sehr gut. Sie kommt ein bisschen spät, sie hätte gerade vor Ludwigshafen kommen müssen, um auch deutlich zu machen, wir sind eine Gemeinschaft, wir gehören hier zusammen. Diese Signale, die sind kaum da. Und jetzt ärgert man sich plötzlich, dass einer kommt aus der Türkei als eine Art Schutzmacht.
Durak: Es ist nicht irgendeiner, Herr Mazyek, der da aus der Türkei kommt.
Mazyek: Nein, er ist der Präsident der Türken oder der Türkei, besser gesagt, und sich als Schutzmacht hier geriert.
Durak: Darf er das?
Mazyek: Ich glaube, diese Beleidigung ist ein Stück weit, ja, wie soll ich sagen, gekünstelt. Man muss fragen, was hat man, was hat Politik, was hat auch, vor allen Dingen, was haben die deutschen Parteien an Politik für diese Menschen getan. Und da ist nicht so viel.
Durak: Herr Mazyek, darf der türkische Ministerpräsident hier in Deutschland so auftreten? Stellen sich vor, die Bundeskanzlerin täte das in der Türkei.
Mazyek: Meine Imaginationsfähigkeiten haben da Grenzen, und zwar einfach deswegen, weil es kaum knapp zwei Millionen Deutsche in der Türkei gibt. Noch mal, wenn ich sein Berater gewesen wäre, ich hätte eine andere Wortwahl gewählt. Aber der Ministerpräsident hat ja auch auf der anderen Seite deutlich gemacht, dass es hier darum geht, wenn man hier Wurzeln fasst, dass man die deutsche Sprache erlernt, dass man sich hier integriert. Er hat, wie gesagt noch einmal, auf die Gefühlslage hingewiesen, die viele Menschen hier haben mit Migrationshintergrund, dass sie sich hier einem Assimilationsdruck ausgesetzt sehen. Das kann man durchaus kritisieren, dass das vielleicht objektivierbar nicht ist auf der anderen Seite, das ist das Gefühl. Und dieses Gefühl, diese Herzenssprache, die sprach er und hat damit den Nerv getroffen.
Durak: Wollen wir uns, Herr Mazyek, mal den zwischenmenschlichen Beziehungen zuwenden zwischen Türken und Deutschen. Wenn die Türken, die meisten Türken oder viele Türken, so sehr viel Angst haben in Deutschland, eine imaginäre, ein Gefühl mehr oder weniger, was haben sie selbst dafür getan, davon wegzukommen? Haben Sie den Deutschen das gesagt, oder ziehen sie sich nicht eher zurück in Stadtgebiete und bleiben unter sich?
Mazyek: Ich habe auch so Schwierigkeiten mit sie und er. Schauen Sie, zeit meines Lebens setzte ich mich für die Integration, für die Völkerverständigung, für den Austausch ein. Meine Biographie spricht dafür, dass ich hier mich als ein Teil dieser Gesellschaft verstehe und hier immer wieder plädiere, gerade auch unter meinen Bundesgenossen, hier als ein Teil sich zu verstehen, hier Wurzeln zu schlagen und dergleichen mehr. Da sprechen Sie einen an, der durch seine Aktivitäten, durch seine Arbeit das tagtäglich macht. Und ich denke, ich bin auch kein Unikat, sondern es machen viele andere Menschen mit Migrationshintergrund, ohne, Muslime und so weiter in diesem Lande und verstehen sich als einen Teil dieser Gesellschaft. Man muss die deutsche Sprache sprechen. Es gehört einfach dazu, sich entsprechend auch anzupassen, aber eben nicht so anzupassen, dass ich meine Kultur, meine Religion aufgeben muss. Wir sollten diese Ängste ernst nehmen. Wir sollten sie nicht abtun als welche, die ...
Durak: Herr Mazyek, wenn wir sie abtun würden, würden wir nicht heute dieses Gespräch führen und viele andere auch hier bei uns im Deutschlandfunk. Aber nur auf ein Gefühl hin soll reagiert werden, denn, Herr Mazyek, wir haben ja eben miteinander besprochen, so richtig kennen Sie auch keinen, der die Assimilation im besprochenen Sinne fordert, sondern Sie sprachen von einem gewissen Gefühl. Das ist doch ein ziemlicher Unterschied?
Mazyek: Ich glaube nicht, dass wir von einem Gefühl sprechen. Schauen Sie, diese Menschen, die hier leben seit 30, 35 Jahren, ich hatte gestern noch die Möglichkeit gehabt, mit einem führenden Funktionär eines Migrantenverbandes zu sprechen und da sagt er, er ist richtig enttäuscht, ja geradezu wütend. Er sagt, ich habe 35 Jahre lang hier gearbeitet, hier in die Sozialkassen eingezahlt und so weiter, und ich hab das Gefühl, dass das nicht mein Land ist, dass ich immer noch fremd in diesem Land bin. Und ich glaube, es fehlt ein Stück weit auch an einer Art Kultur der Anerkennung. Schauen Sie, die Parteien regen sich jetzt darüber auf, dass Erdogan als Schutzmacht hier nach Deutschland kommt. Die Frage ist, wie viel Bundestagsabgeordnete haben wir mit Migrationshintergrund. Wie vielen Menschen haben sich die Parteien auch entsprechend auch geöffnet, für Migranten, für Türken, für Muslime? Und da sehen wir doch, dass eine ganze Menge noch zu tun ist. Es geht mir nicht hier um Pingpong-Spiel oder mit dem Finger auf andere zu zeigen. Aber ich denke, Mehrheitsgesellschaft, auch gerade die Eliten, die in führenden Positionen sind, sie haben eine Pflicht, auch Signale, Symbole, auch Politik zu machen für diese Menschen. Und da ist einfach in den vergangenen Jahren zu wenig gemacht worden. Es ist auch ein Stück weit, was hier gezeigt wird, ein Integrationsdefizit, was hier offensichtlich ist.
Durak: Wer ist daran Schuld? Wer trägt mit Schuld?
Mazyek: Wir müssen alle dran arbeiten. Es gibt sicherlich Hardliner und Fundis, die gerne diese Situation jetzt ausnutzen möchten und sagen, schaut her, es hat überhaupt keinen Sinn hier in dieser Gesellschaft sich anzustrengen, sich einzubringen und zieht euch zurück. Das ist vor allen Dingen Wasser auf den Mühlen dieser Fundis. Aber dann gibt es so viele gelungene Integrationsbeispiele. Übrigens sprechen wir von Integration gar nicht, wenn es funktioniert. Integration ist stets ein Problemthema. Da, wo es funktioniert, da, wo es läuft, würden wir gar nicht von Integration sprechen. Daran sehen Sie auch, dass die ganze Diskussion eine Schieflage hat. Wir müssen uns alle an die Nase packen. Wir müssen alle gucken, dass wir unsere Hausaufgaben machen. Ich denke, durch den Besuch von Erdogan wurde auch deutlich, dass die Politik hier, dass die Parteien hier sich wesentlich stärker für Türken, für Muslime in unserem Land öffnen müssen und öffnen sollen, dann würden wir wahrscheinlich auch die restlichen eine Millionen Türken, die mit dem türkischen Pass hier versehen sind, möglicherweise dazu bewegen, deutsche Bürger zu werden und sich hier dann auch, nicht nur aufgrund ihres Passes, sondern auch aufgrund ihrer ...
Durak: Stichwort Hausaufgaben, Herr Mazyek, und ich möchte wieder zu den normalen Menschen zurück und nicht nur bei der Politik stecken bleiben. Türkische Schulen in Deutschland, türkische Hochschulen, der Vorschlag von Ministerpräsident von Erdogan. Was halten Sie davon?
Mazyek: Ich fand den Zeitpunkt seiner Aussage unglücklich. Aber er hat etwas gesagt, was wahrscheinlich jeder Staatsmann sagen würde. Man stelle sich vor, Sarkozy macht einen Deutschlandbesuch und spricht zu den Franzosen. Er würde auch nicht sagen, gibt Eure Sprache und dergleichen auf. Wir als Deutsche, wir haben unsere Goethe-Institute weltweit, und ich denke, als eine Kulturnation wie die Deutschen oder auch die Türken ist es ganz legitim, dass man in seiner Sprache frönt, seiner Kultur frönt und darauf sich einlässt. Es ist auch ein Stück weit Völkerverständigung, solche Sprachzentren.
Durak: Aber es gibt schon einen Unterschied zwischen Goethe-Institut und den Schulen, Herr Mazyek, die Herr Erdogan will?
Mazyek: Ich fand den Zeitpunkt nicht glücklich, weil wir wissen alle, Sprache ist der Schlüssel zur Integration, und die Signale, die durch so eine Aussage ausströmten, waren natürlich die, nach dem Motto, hier wird möglicherweise eine Abkapselung vorangetrieben. Aber ich glaube, dem war nicht so. Es ging ja auch nicht um eine türkische Schule, wo alles auf türkisch ist, sondern es ging, wie wir es auch haben, deutsche Gymnasien in der Türkei. Da wird ganz normal Türkisch gelehrt und alle anderen Fächer auch, einschließlich eben die deutsche Sprache. Und Ähnliches hat Herr Erdogan für hier, für Deutschland gewollt und hat dann auch angeboten, dass dort entsprechend Lehrer und so weiter entsendet worden sind. Ich glaube, es ist ein völlig legitimer Vorschlag einer Kulturnation, und es gibt im Übrigen in Deutschland schon eine ganze Reihe von türkischen Gymnasien. Dort wird auch deutsch gesprochen, Deutsch gelehrt.
Durak: Vor allem deutsch.
Mazyek: Biologie und so weiter, wie die anderen Fächer auch.
Durak: Danke schön, Aiman Mazyek, Generalsekretär der Zentralrats der Muslime in Deutschland. Danke fürs Gespräch!
Anmerkung: Aiman Mazyek hat nach Rückfrage im Anschluss an das live ausgestrahlte Interview gegenüber dem Deutschlandfunk versichert, das Wort "Brandanschlag" sei ein bedauerlicher sprachlicher Lapsus gewesen. Tatsächlich habe er "Brandunfall" sagen wollen.
Aiman Mazyek: Einen schönen guten Morgen, Frau Durak!
Durak: Als Mitbegründer der Grünhelme dürften Sie eine Vorstellung davon haben, was Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Gehört das, was Ministerpräsident Erdogan offensichtlich hier in Deutschland vermutet und Assimilation nennt, dazu?
Mazyek: Ehrlich gesagt, wenn ich sein Berater gewesen wäre, hätte ich ihm davon abgeraten, diese Wortwahl zu wählen. Aber in der Sache hat er doch etwas angestoßen, was das Befinden der Muslime und der Türken wiedergibt. Sie möchten sich integrieren, sie möchten ein Teil dieser Gesellschaft sein, aber sie möchten sich nicht assimilieren, auflösen, ihre Kultur, Religion sozusagen abgeben. Ich glaub, Erdogan hat auf der anderen Seite auch sich als den großen Kümmerer für die Türken und für die Muslime hier geriert. Er trifft sozusagen ihren Nerv, auch hier Herzen und nervt vielleicht hiesige Politiker, die sich so ein bisschen beleidigt brüskiert abwenden und fragen sich, ja, aber warum vertrauen sich die Türken nicht uns an. Warum haben sie keinen Glauben in die deutsche Politik? Und ich glaube, das ist das, was momentan diese Aufregung auch ausmacht.
Durak: Herr Mazyek, ich gebe ihn Brief und Siegel, mit diesen Worten werden nicht nur Politiker geärgert, das kann man sich vorstellen. Welcher Deutsche verlangt die völlige Aufgabe der türkischen Identität von den Türken, also die Assimilation? Kennen Sie einen?
Mazyek: Ich glaube nicht, dass es darum geht, was verlangt wird. Hier läuft ja vieles auch auf der emotionalen Ebene ab. Ich denke, das ist das, was gefühlt wird. Da kann man sich streiten, ob das objektivierbar ist. Aber gefühlt wird Folgendes, die Türken, die Muslime fühlen sich nicht ernst genommen, sie fühlen sich verunsichert, auch gerade nach diesem Brandanschlag [vgl. Anmerkung am Textende] in Ludwigshafen. Sie haben Angst, sie haben das Gefühl, dass ihre Sorgen und Ängste nicht ernst genommen werden. Die Aussage von der Bundeskanzlerin Merkel, die jetzt eben oder gestern gesagt hat, ich bin die Bundeskanzlerin aller Menschen hier, Türken und Deutsche, die finde ich sehr, sehr gut. Sie kommt ein bisschen spät, sie hätte gerade vor Ludwigshafen kommen müssen, um auch deutlich zu machen, wir sind eine Gemeinschaft, wir gehören hier zusammen. Diese Signale, die sind kaum da. Und jetzt ärgert man sich plötzlich, dass einer kommt aus der Türkei als eine Art Schutzmacht.
Durak: Es ist nicht irgendeiner, Herr Mazyek, der da aus der Türkei kommt.
Mazyek: Nein, er ist der Präsident der Türken oder der Türkei, besser gesagt, und sich als Schutzmacht hier geriert.
Durak: Darf er das?
Mazyek: Ich glaube, diese Beleidigung ist ein Stück weit, ja, wie soll ich sagen, gekünstelt. Man muss fragen, was hat man, was hat Politik, was hat auch, vor allen Dingen, was haben die deutschen Parteien an Politik für diese Menschen getan. Und da ist nicht so viel.
Durak: Herr Mazyek, darf der türkische Ministerpräsident hier in Deutschland so auftreten? Stellen sich vor, die Bundeskanzlerin täte das in der Türkei.
Mazyek: Meine Imaginationsfähigkeiten haben da Grenzen, und zwar einfach deswegen, weil es kaum knapp zwei Millionen Deutsche in der Türkei gibt. Noch mal, wenn ich sein Berater gewesen wäre, ich hätte eine andere Wortwahl gewählt. Aber der Ministerpräsident hat ja auch auf der anderen Seite deutlich gemacht, dass es hier darum geht, wenn man hier Wurzeln fasst, dass man die deutsche Sprache erlernt, dass man sich hier integriert. Er hat, wie gesagt noch einmal, auf die Gefühlslage hingewiesen, die viele Menschen hier haben mit Migrationshintergrund, dass sie sich hier einem Assimilationsdruck ausgesetzt sehen. Das kann man durchaus kritisieren, dass das vielleicht objektivierbar nicht ist auf der anderen Seite, das ist das Gefühl. Und dieses Gefühl, diese Herzenssprache, die sprach er und hat damit den Nerv getroffen.
Durak: Wollen wir uns, Herr Mazyek, mal den zwischenmenschlichen Beziehungen zuwenden zwischen Türken und Deutschen. Wenn die Türken, die meisten Türken oder viele Türken, so sehr viel Angst haben in Deutschland, eine imaginäre, ein Gefühl mehr oder weniger, was haben sie selbst dafür getan, davon wegzukommen? Haben Sie den Deutschen das gesagt, oder ziehen sie sich nicht eher zurück in Stadtgebiete und bleiben unter sich?
Mazyek: Ich habe auch so Schwierigkeiten mit sie und er. Schauen Sie, zeit meines Lebens setzte ich mich für die Integration, für die Völkerverständigung, für den Austausch ein. Meine Biographie spricht dafür, dass ich hier mich als ein Teil dieser Gesellschaft verstehe und hier immer wieder plädiere, gerade auch unter meinen Bundesgenossen, hier als ein Teil sich zu verstehen, hier Wurzeln zu schlagen und dergleichen mehr. Da sprechen Sie einen an, der durch seine Aktivitäten, durch seine Arbeit das tagtäglich macht. Und ich denke, ich bin auch kein Unikat, sondern es machen viele andere Menschen mit Migrationshintergrund, ohne, Muslime und so weiter in diesem Lande und verstehen sich als einen Teil dieser Gesellschaft. Man muss die deutsche Sprache sprechen. Es gehört einfach dazu, sich entsprechend auch anzupassen, aber eben nicht so anzupassen, dass ich meine Kultur, meine Religion aufgeben muss. Wir sollten diese Ängste ernst nehmen. Wir sollten sie nicht abtun als welche, die ...
Durak: Herr Mazyek, wenn wir sie abtun würden, würden wir nicht heute dieses Gespräch führen und viele andere auch hier bei uns im Deutschlandfunk. Aber nur auf ein Gefühl hin soll reagiert werden, denn, Herr Mazyek, wir haben ja eben miteinander besprochen, so richtig kennen Sie auch keinen, der die Assimilation im besprochenen Sinne fordert, sondern Sie sprachen von einem gewissen Gefühl. Das ist doch ein ziemlicher Unterschied?
Mazyek: Ich glaube nicht, dass wir von einem Gefühl sprechen. Schauen Sie, diese Menschen, die hier leben seit 30, 35 Jahren, ich hatte gestern noch die Möglichkeit gehabt, mit einem führenden Funktionär eines Migrantenverbandes zu sprechen und da sagt er, er ist richtig enttäuscht, ja geradezu wütend. Er sagt, ich habe 35 Jahre lang hier gearbeitet, hier in die Sozialkassen eingezahlt und so weiter, und ich hab das Gefühl, dass das nicht mein Land ist, dass ich immer noch fremd in diesem Land bin. Und ich glaube, es fehlt ein Stück weit auch an einer Art Kultur der Anerkennung. Schauen Sie, die Parteien regen sich jetzt darüber auf, dass Erdogan als Schutzmacht hier nach Deutschland kommt. Die Frage ist, wie viel Bundestagsabgeordnete haben wir mit Migrationshintergrund. Wie vielen Menschen haben sich die Parteien auch entsprechend auch geöffnet, für Migranten, für Türken, für Muslime? Und da sehen wir doch, dass eine ganze Menge noch zu tun ist. Es geht mir nicht hier um Pingpong-Spiel oder mit dem Finger auf andere zu zeigen. Aber ich denke, Mehrheitsgesellschaft, auch gerade die Eliten, die in führenden Positionen sind, sie haben eine Pflicht, auch Signale, Symbole, auch Politik zu machen für diese Menschen. Und da ist einfach in den vergangenen Jahren zu wenig gemacht worden. Es ist auch ein Stück weit, was hier gezeigt wird, ein Integrationsdefizit, was hier offensichtlich ist.
Durak: Wer ist daran Schuld? Wer trägt mit Schuld?
Mazyek: Wir müssen alle dran arbeiten. Es gibt sicherlich Hardliner und Fundis, die gerne diese Situation jetzt ausnutzen möchten und sagen, schaut her, es hat überhaupt keinen Sinn hier in dieser Gesellschaft sich anzustrengen, sich einzubringen und zieht euch zurück. Das ist vor allen Dingen Wasser auf den Mühlen dieser Fundis. Aber dann gibt es so viele gelungene Integrationsbeispiele. Übrigens sprechen wir von Integration gar nicht, wenn es funktioniert. Integration ist stets ein Problemthema. Da, wo es funktioniert, da, wo es läuft, würden wir gar nicht von Integration sprechen. Daran sehen Sie auch, dass die ganze Diskussion eine Schieflage hat. Wir müssen uns alle an die Nase packen. Wir müssen alle gucken, dass wir unsere Hausaufgaben machen. Ich denke, durch den Besuch von Erdogan wurde auch deutlich, dass die Politik hier, dass die Parteien hier sich wesentlich stärker für Türken, für Muslime in unserem Land öffnen müssen und öffnen sollen, dann würden wir wahrscheinlich auch die restlichen eine Millionen Türken, die mit dem türkischen Pass hier versehen sind, möglicherweise dazu bewegen, deutsche Bürger zu werden und sich hier dann auch, nicht nur aufgrund ihres Passes, sondern auch aufgrund ihrer ...
Durak: Stichwort Hausaufgaben, Herr Mazyek, und ich möchte wieder zu den normalen Menschen zurück und nicht nur bei der Politik stecken bleiben. Türkische Schulen in Deutschland, türkische Hochschulen, der Vorschlag von Ministerpräsident von Erdogan. Was halten Sie davon?
Mazyek: Ich fand den Zeitpunkt seiner Aussage unglücklich. Aber er hat etwas gesagt, was wahrscheinlich jeder Staatsmann sagen würde. Man stelle sich vor, Sarkozy macht einen Deutschlandbesuch und spricht zu den Franzosen. Er würde auch nicht sagen, gibt Eure Sprache und dergleichen auf. Wir als Deutsche, wir haben unsere Goethe-Institute weltweit, und ich denke, als eine Kulturnation wie die Deutschen oder auch die Türken ist es ganz legitim, dass man in seiner Sprache frönt, seiner Kultur frönt und darauf sich einlässt. Es ist auch ein Stück weit Völkerverständigung, solche Sprachzentren.
Durak: Aber es gibt schon einen Unterschied zwischen Goethe-Institut und den Schulen, Herr Mazyek, die Herr Erdogan will?
Mazyek: Ich fand den Zeitpunkt nicht glücklich, weil wir wissen alle, Sprache ist der Schlüssel zur Integration, und die Signale, die durch so eine Aussage ausströmten, waren natürlich die, nach dem Motto, hier wird möglicherweise eine Abkapselung vorangetrieben. Aber ich glaube, dem war nicht so. Es ging ja auch nicht um eine türkische Schule, wo alles auf türkisch ist, sondern es ging, wie wir es auch haben, deutsche Gymnasien in der Türkei. Da wird ganz normal Türkisch gelehrt und alle anderen Fächer auch, einschließlich eben die deutsche Sprache. Und Ähnliches hat Herr Erdogan für hier, für Deutschland gewollt und hat dann auch angeboten, dass dort entsprechend Lehrer und so weiter entsendet worden sind. Ich glaube, es ist ein völlig legitimer Vorschlag einer Kulturnation, und es gibt im Übrigen in Deutschland schon eine ganze Reihe von türkischen Gymnasien. Dort wird auch deutsch gesprochen, Deutsch gelehrt.
Durak: Vor allem deutsch.
Mazyek: Biologie und so weiter, wie die anderen Fächer auch.
Durak: Danke schön, Aiman Mazyek, Generalsekretär der Zentralrats der Muslime in Deutschland. Danke fürs Gespräch!
Anmerkung: Aiman Mazyek hat nach Rückfrage im Anschluss an das live ausgestrahlte Interview gegenüber dem Deutschlandfunk versichert, das Wort "Brandanschlag" sei ein bedauerlicher sprachlicher Lapsus gewesen. Tatsächlich habe er "Brandunfall" sagen wollen.