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Muslimische Gemeinde in Köln
"Für uns ist das eine Schande"

Die sexuellen Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof an Silvester haben der Flüchtlingsdebatte eine deutliche Schärfe gegeben. Wie gehen Nordafrikaner und Araber in Deutschland damit um? Ein Großteil von ihnen lebt schon seit Jahrzehnten in Deutschland - zum Beispiel im Marokkanischen Viertel in Köln. Viele sind entsetzt.

Von Oliver Ramme | 20.01.2016
    Man sieht den Kölner Hauptbahnhof tagsüber, im Vordergrund ein Polizeiauto.
    Der Kölner Hauptbahnhof tagsüber, im Vordergrund ein Polizeiauto. (picture-alliance / dpa / Oliver Berg)
    Der Muezzin ruft zum Gebet. Der Aufruf kommt vom Tonbandgerät hier im schlichten Gebetsraum. Türkiser Velours-Teppich. Niedrige Decken, Neonröhren und ein paar weißgetünchte Betonsäulen. Hier war früher ein Supermarkt. Heute ist es die Moschee der Marokkanischen Gemeinde Köln. Männer in langen Gewändern und mit Kappe auf dem Kopf, treten in den Gebetsraum.
    Es ist gleich 17 Uhr. Auch der Gemeindevorsitzende Mohamed Al-Jannayi schaut beim Abendgebet vorbei.
    "Wir hier in der Gemeinde haben die Ereignisse mit Sorge verfolgt. Wir sind entsetzt und traurig. Und so etwas von Menschen, die aus Nordafrika kommen: Das betrifft uns sehr. Für uns ist das eine Schande."
    Die Silvesterereignisse von Köln haben hier - mitten im Marokkanischen Viertel - niemanden unberührt gelassen. Al-Jannayi, Marokkaner, seit 1982 in Köln, bringt die Spekulationen auf den Punkt.
    "Diese Menschen haben mit Religion wenig zu tun, sie beten auch nicht. Die haben auch keinen Kontakt zu anständigen Menschen. Die sind sich selbst eine Familie. An diese Kriminellen. Dadurch ist es für uns schwer an sie heranzukommen."
    Regelmäßig ist auch der KFZ-Händler Feker Maraibi in der Moschee. Er stammt aus Tunesien. Über die Monate hat er in dem Viertel beunruhigende Beobachtungen gemacht.
    "Man hat das gemerkt, dass viele Nordafrikaner hier waren. Ich habe das am 31. Dezember nicht mitbekommen, dass es diesen Eingriff gegeben hat. Aber ich habe immer gedacht, irgendwas stimmt hier nicht. Die sind viele, arbeitslos mit Taschen, Rucksäcken und einer kriminellen Ausstrahlung."
    Das sogenannte Marokkanische Viertel liegt im Kölner Stadtteil Humboldt-Gremberg. Das Viertel besteht im Grunde aus nur einer Straße: der Taunus-Straße. Ein paar hundert Meter lang, viel Altbaubestand. Läden, Kioske, Imbisse und Bäckereien, die fest in Marokkanischer Hand sind. Hier in der Taunus-Straße sollen sich diese Männer mit Rucksäcken und krimineller Ausstrahlung herumgetrieben haben. Sie sind weg, zumindest heute.
    Großrazzia in Düsseldorf
    In Düsseldorf wurden bei einer Großrazzia vor ein paar Tagen 40 Nordafrikaner im sogenannten Maghreb-Viertel festgenommen. Im Fokus der Ermittler waren Menschen ohne gültige Papiere. Diese Razzia wurde in der Taunus-Straße aufmerksam verfolgt.
    "Ob die einen Ausweis haben oder nicht? Das finde ich sehr gut. Um die guten von den Bösen zu trennen. Die verstecken sich da."
    Fatima steht hinter der Glasvitrine ihres Imbisses. Die Arme verschränkt. Die Kapuze ihres Kunstfellmantels über ihr Kopftuch gezogen. Es ist kalt im Landen.
    Fatima ist seit über zehn Jahren hier, hat schon mehrere Läden aufgebaut. Die Empörung über die Geschehnisse der Silvesternacht ist ihr anzumerken. Der Staat müsse jetzt hart durchgreifen. Auch gegen jene, die das Aufenthaltsrecht missbrauchen und ausnutzen.
    "Die wollen nichts machen, okay, klauen und Drogen verkaufen. Der deutschen Polizei wünsche ich viel Kraft. Ich finde, die Leute die hier nichts zu tun haben sollen in ihre Heimat zurück."
    Bei den meisten Gesprächen hier wird deutlich: Die alt eingesessenen Migranten wirken deutscher als so mancher Deutsche. Vor allem wenn es ums Thema Abschiebung von Kriminellen geht. Argwöhnisch werden auch neue Migranten beäugt, vor allem wenn sie aus der gleichen Heimat kommen. So ist ein Marokkaner nicht gleich Marokkaner. Gleiches gilt für Libyer oder Algerier.
    Der Bahnhofsvorplatz des Kölner Hauptbahnhofs am vergangenen Wochenende. Mehrere hundert – vor allem Syrer – demonstrieren gegen Sexismus. Mitorganisiert wird die Veranstaltung vom de 27-jährigen syrischen Aktivisten und Journalisten Sakher al Mohamad.
    "Es gibt Kriminelle in jedem Land und jeder Gesellschaft. Aber die Leute, die das hier gemacht haben, haben den schutzsuchenden Flüchtlingen großen Schaden zugefügt. Wir müssen jetzt alle zusammenstehen und diese Kriminellen finden und der Polizei helfen. Denn diese Kriminellen sind nicht nur für uns, sondern für die gesamte Gesellschaft gefährlich."
    Sakher hat nach den Silvester-Ereignissen spontan eine Facebook-Gruppe gegründet. Wohl ahnend, dass die Stimmung im Land gegenüber Flüchtlingen kippen könnte. Das sieht auch der syrische Betriebswirt Roger Naanaa so. Auch er ist - wie Sakher - erst seit vier Monaten in der Domstadt.
    "Wir haben von Anfang an von den negativen Effekten gesprochen. Und es gibt natürlich der Pegida einen riesen Auftrieb, gegen Flüchtlinge zu demonstrieren. Deswegen stehen wir hier auch. Wir sind gegen Sexismus und gegen Rassismus. Wir sind gegen das, was hier passiert ist!"
    "Die sollen ihre gerechte Strafe bekommen und ab nach Hause"
    Zurück im Marokkanischen Viertel in Köln. Es wird gebetet. Und nach dem Besuch in der Moschee wird weiter diskutiert. Auch unter jenen, die sich keine Sorge um Aufenthaltsrecht und Abschiebung machen müssen.
    "Wie gesagt Syrer, die demonstriert haben, sind uns auch ähnlich. Man kann nicht nach Gesichtern urteilen. Solange die Polizei nicht die Identität dieser Menschen hat, darf man nicht das Urteil über jemanden sprechen. Egal wer's war: Die sollen ihre gerechte Strafe bekommen und ab nach Hause. Fertig."
    Spekulationen über mögliche Täter und ein Generalverdacht gegen alle Männer mit dunklen Haaren und Bart drückt die Stimmung. Dieser Mann - der nicht mit Namen genannt werden will - bringt es vielleicht am besten auf den Punkt:
    "Es ist natürlich doof wenn die deutsche Gesellschaft uns mit in den Dreck zieht. Eine schlechte Tomate macht die ganze Kiste kaputt, oder?"