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Muslimische Schüler in Polen
"Ich wurde angespuckt - die Polizei hat nicht geholfen"

Zehn Tage war eine Schüler-AG mit mehrheitlich muslimischen Jugendlichen in Polen unterwegs, um sich über die Vernichtung der Juden während der Nazizeit zu informieren und über das Leid, das der polnischen Bevölkerung in dieser Zeit angetan wurde. Am Ende wurden sie selbst beschimpft, bespuckt und bedroht.

Von Claudia van Laak | 26.06.2017
    Eine Frau mit Kopftuch steht an einer Straße
    Schülerinnen der Berliner "AG Erinnern", die als Muslime erkannt wurden, bekamen in Polen Hass zu spüren. (dpa / picture alliance)
    AG Erinnern – so heißt die Arbeitsgemeinschaft an der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule in Berlin-Moabit. Seit zwei Jahren beschäftigen sich die Oberstufenschüler neben ihrem Unterricht mit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Sie waren mit ihrer Lehrerin Sabeth Schmidthals in Israel, im Jahr danach auf den Spuren jüdischer Exilanten in Spanien und Frankreich unterwegs.
    "Also man kann sagen, dass es Schüler sind, die sehr aktiv sind, und gerade entgegen der normalen Meinung, Jugendliche interessieren sich nicht für das Thema, und muslimische sowieso nicht, kann ich genau das Gegenteil sagen, die Motivation ist hoch."
    Gerade ist der Bus mit den 20 Schülerinnen und Schülern – mehrheitlich Muslime – auf den Parkplatz neben der Schule eingebogen. Sie kommen zurück aus Polen – haben dort die Vernichtungslager Treblinka und Majdanek besucht, waren in Warschau, Lublin und Lodz. Für die meisten war es der erste – und wohl auch der vorerst letzte Besuch in Polen:
    "Ich wurde auf der Straße einfach von einem Mann angespuckt, und dann ist der Mann weggerannt, und die Polizisten haben nicht geholfen."
    Die Polizisten haben gegrinst - und nicht geholfen
    "Wir haben auch ein Grinsen in den Gesichtern der Polizisten gesehen und ein Pole hat uns erklärt, dass uns die Polizisten nicht helfen wollten."
    Seydanur trägt ein Kopftuch, auf sie und die anderen drei Mädchen in der Gruppe, die ebenfalls Kopftuch tragen und so als Muslime kenntlich sind, entlud sich der Hass in erster Linie. Es blieb nicht bei einem Vorfall, erzählen Laethicia, Isra und Bukra, die von einem Sicherheitsdienst eines Kaufhauses verwiesen wurde, weil sie am Telefon mit ihrem Bruder auf Persisch sprach.
    "Und danach sind sie dann zu mir gekommen und haben gesagt, können Sie rausgehen, Sie stören unsere Mitmenschen. Und ich meinte dann, warum denn? Nur weil ich persisch spreche und eine Ausländerin bin? Ja."
    "Dann wurden wir, also ich und eine Freundin von mir, wurden auch direkt beschimpft."
    "Und dann kam einfach so eine Frau, hat dann gerufen, geht weg und hat über mich und meine Kamera ihr Trinken geschüttet, und hat gesagt, verschwindet."
    "Mit so etwas habe ich nicht gerechnet"
    "Das war echt schade, weil wir sind für die gekommen, um uns nach ihrer Geschichte zu erkundigen, mit so etwas habe ich nicht gerechnet."
    Auf einem Markt in Lublin wird den Schülerinnen und Schülern der Kauf von Wasser verweigert – sie seien keine Polen. Bukra wird auf der Straße von einem Mann mit einem Messer bedroht:
    "Er ist auf mich schnell zugekommen, ich dachte, er will etwas fragen, aber er ist auf mich gerannt, hat ein Messer gezogen oder eine Gabel oder etwas Ähnliches, dann bin ich schnell zum Hotel zurückgerannt."
    "Der Schock saß sehr tief, dadurch, dass wir so etwas gar nicht erwartet haben, vor allem nicht von einem Mitglied der EU", ergänzt Mert.
    "Nie wieder - es war kein Spaß"
    Die Arbeitsgemeinschaft Erinnern an der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule wird von der NS-Gedenkstätte "Haus der Wannseekonferenz" unterstützt. Als Direktor Hans-Christian Jasch von den antimuslimischen Vorfällen in Polen hört, eilt er zum Bus, um die Schülerinnen und Schüler in Berlin zu empfangen.
    "Ich bin besonders geschockt, dass das den Jugendlichen passiert ist, die uns ja auch anvertraut sind für diese Reise und gerade auf einer Reise, wo sie sich mit diesem Thema beschäftigen. Das ist natürlich besonders traurig."
    Die Gedenkstätte wird sich jetzt sofort mit seinen polnischen Partnern zusammensetzen und die Vorfälle auswerten – Direktor Jasch will ebenfalls einen Brief an den polnischen Botschafter in Berlin schreiben. Ihn ärgert besonders, dass die Polizei den Jugendlichen in mindestens einem Fall offensichtlich nicht geholfen hat.
    "So ein Verhalten gegenüber Jugendlichen kann so nicht hingenommen werden, dem muss deutlich widersprochen werden."
    Mert, Omar, Seydanur, Isra, Buket und die anderen sind froh, wieder in Berlin zu sein. Nach Polen: sobald nicht wieder.
    "Nie wieder – es war kein Spaß. Vielleicht an die Grenze, aber ich weiß nicht."