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Musterfeststellungsklage gegen VW
"Unkompliziert für Verbraucher, komplex für Juristen"

Die Musterfeststellungklage ist ein neues Instrument. Juristen müssten in dem Prozess gegen VW Pionierarbeit leisten, sagte Anwalt und Klägervertreter Marco Rogert im Dlf. Dennoch könne das Verfahren durchaus nach zwölf Monaten erledigt sein.

Marco Rogert im Gespräch mit Jasper Barenberg | 30.09.2019
Aktenordner stehen vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände gegen VW in der Stadthalle in Braunschweig
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und der ADAC treten ab heute in Braunschweig gemeinsam als Kläger gegen den VW-Konzern auf, um für weit mehr als 440.000 Kunden Schadenersatz zu erstreiten (picture alliance/ dpa/ Sina Schuldt)
Jasper Barenberg: Ist es für geschädigte Kunden nicht besser, sich einem so mächtigen und auch durchaus hartleibigen Gegner wie dem VW-Konzern im Dieselskandal gemeinsam zu stellen? Auch diese Hoffnung hatte die Koalition in Berlin, als sie vor einem Jahr die sogenannte Musterfeststellungsklage aus der Taufe hob, und so treten der Bundesverband der Verbraucherzentralen und der ADAC heute in Braunschweig gemeinsam als Kläger auf, um für weit mehr als 440.000 Kunden Schadenersatz zu erstreiten. Damit wird in jedem Fall Rechtsgeschichte geschrieben. Ob es aber der beste Weg für die betroffenen VW-Kunden ist, das ist durchaus umstritten.
Am Telefon ist Marco Rogert, Rechtsanwalt und Professor für Wirtschaftsrecht. Für den Bundesverband der Verbraucherzentralen wird er ab heute über den Schadenersatz für die VW-Kunden verhandeln. Schönen guten Morgen, Herr Rogert.
Marco Rogert: Guten Morgen, Herr Barenberg.
"Oberlandesgerichte auf Seiten der Geschädigten"
Barenberg: Für und im Namen der Verbraucherverbände argumentieren Sie ja, dass VW seine Kunden vorsätzlich betrogen und geschädigt hat. Wir haben das gerade im Beitrag auch gehört. Aus Sicht von Volkswagen dagegen ist überhaupt kein Schaden entstanden. Was macht Sie zuversichtlich, dass Sie diese Auseinandersetzung gewinnen können?
Rogert: Die Argumentation der Gegenseite ist uns ja nicht neu. Wir haben nach den tausenden Einzelverfahren ja das Thema durchexerziert. Da haben wir zu einem großen Prozentsatz bereits landgerichtlich Recht bekommen. Auch die Oberlandesgerichte sind inzwischen mehrheitlich auf Seiten der Geschädigten. Von der Warte her gesehen ist das für uns keine Überraschung, sondern eigentlich ein alter Hut.
VW-Fahrzeuge stehen auf einem Autohof in Freiburg.
Gemeinsam klagen - Wie Verbraucher sich gegen Unternehmen wehren können
Die Musterfeststellungsklage gegen VW ist die erste ihrer Art. Die europäische Sammelklage nimmt ebenfalls Fahrt auf. Diese Instrumente ermöglichen es Verbänden, gegen Konzerne vorzugehen - ganz ausgereift sind sie noch nicht.
Barenberg: Ein alter Hut, bei dem auch eine Rolle spielt, das jetzt meine Frage, dass Herbert Diess, der VW-Vorstandsvorsitzende, kürzlich wörtlich geradezu eingeräumt hat, dass VW betrogen hat? Oder spielt das längst schon keine Rolle mehr?
Rogert: Das spielt schon eine Rolle. Es stellt sich nämlich die Frage, ob eigentlich die Vertreter des Volkswagen-Konzerns, die Anwälte, die ja letztlich Bevollmächtigte sind, ob die jetzt hier weiterhin bei ihrer Prozesstaktik bleiben können und alles bestreiten, während der Vorstandsvorsitzende ganz klar einräumt, wortwörtlich, das war Betrug. Das ist aus unserer Sicht nicht möglich und möglicherweise wird das auch zum Thema während des Verfahrens werden.
Barenberg: Aber das Musterfeststellungsverfahren hat sich damit nicht schon erledigt, dass der Vorstandsvorsitzende den Betrug einräumt?
Rogert: Dann müsste es ein Geständnis im Rechtssinne sein. Das könnte man so sehen. Das ist wiederum eine Entscheidung, die das Gericht treffen muss. Wir werden abwarten, ob das Gericht sich diesbezüglich positionieren wird.
"Möglicherweise im ersten Quartal 2020 ein Urteil"
Barenberg: Erwarten tut das ja niemand, dass VW jetzt als reuiger Sünder auftreten wird. Alle erwarten vielmehr, dass es Jahre dauern wird. Bis zu fünf Jahre wird erwartet, bis dieses Verfahren beendet sein wird. Es dürfte am Ende mit einiger Wahrscheinlichkeit vor dem Bundesgerichtshof landen. Muss man deshalb sagen, diese Sammelklage, dieses neue Instrument, das ist die einfachste, weil zunächst ja auch kostenlose Möglichkeit für Kunden, aber auch die langwierigste?
Rogert: Das ist ein bisschen Kaffeesatzleserei. Es ist in der Tat möglich, dass das Verfahren so lange dauert, wie Sie gerade dargestellt haben und wie die Gegenseite es auch sehr gerne darstellt. Es kann aber auch sehr schnell gehen. Sehr schnell geht es beispielsweise dann, wenn das Oberlandesgericht in zwei Terminen – es ist ja noch ein zweiter Termin anberaumt für den 18. November – beispielsweise dann bereits eine Entscheidung ankündigt und die dann kurze Zeit später verkündet. Dann wäre es so, dass man möglicherweise im ersten Quartal des Folgejahres ein solches Urteil hat. Dann wird wahrscheinlich die unterliegende Partei vor den Bundesgerichtshof ziehen. Das hatten Sie bereits erwähnt. Und dass es dort unbedingt Jahre dauern muss, das sehe ich eigentlich nicht, weil der Bundesgerichtshof sich ja nur mit den Rechtsfragen auseinanderzusetzen hat. An sich befinden wir uns hier auf relativ ausgetretenen Rechtspfaden aus juristischer Sicht. Deshalb meine ich, dass so ein Verfahren durchaus binnen zwölf Monaten beispielsweise vor dem Bundesgerichtshof erledigt sein kann.
Barenberg: Das werden wir abwarten müssen. – Viele erwarten ja eine deutlich längere Verfahrensdauer. Das haben Sie auch gesagt. Ist nicht das gerade ein wesentliches Problem bei dieser Form von Sammelklage? Denn wir haben es auch im Beitrag gehört: Je länger dieses Verfahren dauern wird, desto niedriger fällt am Ende, selbst wenn er zugesprochen wird, der mögliche Schadenersatz für die vielen hunderttausend Kunden aus. Müssen die Kunden damit rechnen, dass sie am Ende doch nur einen sehr geringen Beitrag wahrscheinlich bekommen werden?
Rogert: Das hängt im Wesentlichen davon ab, wie sich das Gericht zu der Frage der Nutzungsentschädigung positioniert. Tatsächlich ist es so, dass inzwischen doch einige Landgerichte eine andere Auffassung vertreten, als es bisher ein Großteil der Landgerichte entschieden hat und auch die Oberlandesgerichte bisher vertreten haben. Die argumentieren nämlich ähnlich wie ein Juraprofessor in der neuen juristischen Wochenschrift, der da sagt, es kann doch nicht sein, dass der Schädiger, der es geschafft hat, die Fahrzeuge im Straßenverkehr zu belassen, dafür auch noch belohnt wird. Das ist in der Tat eine Argumentation, der sich auch das Gericht nicht verschließen kann, aus meiner Sicht. Es wird diesbezüglich wahrscheinlich hoch hergehen.
Um den ersten Teil Ihrer Frage zu beantworten: Ja, es ist tatsächlich so, dass das Verfahren relativ langwierig sein kann. Das liegt aber eher aus meiner Sicht an der Zweiteiligkeit des Verfahrens, dass wir in der ersten Phase feststellen, dem Grunde nach praktisch, dass Tatbestandsmerkmale, die einen Anspruch begründen, gegeben sind, und dann anschließend der einzelne noch mal individuell auf der Basis dieser Feststellung mit Bindungswirkung klagen muss. Das kritisiere ich auch.
"Unkompliziert für Verbraucher, komplex für Juristen"
Barenberg: Ist das ein Konstruktionsfehler dieses Instruments, auf das die Politik so stolz ist, dass sie jetzt diese Form von Verbandsklagen möglich gemacht haben in Deutschland?
Rogert: Das ist ein Kompromiss, der getroffen worden ist. Ich bin der Meinung, dass das ein junges Konstrukt ist, was sicherlich weiterentwickelt werden muss. Das ist jetzt mal ein erster Weg. Damit können wir leben. Allerdings ist es nicht der große Wurf. Da könnte man sicherlich noch deutlich nachlegen für die Verbraucher.
Barenberg: Weil die Messlatte für die Politik war immer, es soll schnell sein und es soll unkompliziert sein. Das hört sich jetzt ein bisschen anders an.
Rogert: Es ist für den Verbraucher unkompliziert. Es ist für uns Juristen hochgradig komplex. Das muss ich wirklich sagen, weil wir hier Pionierarbeit leisten müssen. Aber für die Verbraucher ist es einfach, sich dort anzumelden. Es ist bequem, es ist online möglich. Das finde ich alles sehr positiv. Die Geschwindigkeit, daran kann man sicherlich noch arbeiten.
Barenberg: Sie haben in Ihrem eigenen Portfolio ja auch durchaus die Möglichkeit von Einzelklagen. Und wenn ich es recht gelesen habe, raten Sie auch selber so manchem Kunden, diesen Weg zu gehen, weil man damit im Zweifel schneller zum Ziel kommt und auch durchaus mit einem besseren Ergebnis. Ist das nicht ein Widerspruch?
Rogert: Das könnte auf den ersten Blick so aussehen. Tatsächlich ist das mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband genau so abgestimmt. Der sieht es auch genauso. Das kann man auch in den FAQ auf der Internetseite beispielsweise nachlesen. Jeder, der die Möglichkeit sieht, eine Einzelklage zu führen und dafür die finanziellen Mittel selber hat und auch aufwenden möchte, oder rechtsschutzversichert ist, oder auch über eine günstige Prozesskostenfinanzierung zu seinem Recht kommen kann, soll das tun. Für alle anderen, die genau diese Möglichkeit nicht haben, ist die Musterfeststellungsklage der richtige Weg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.