Donnerstag, 25. April 2024

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"Myrthen" von Robert Schumann
Nicht nur eine Sammlung von Liebesliedern

Ihm sei es "äußerst wichtig", dass "Myrthen" von Robert Schumann, dieses Brautgeschenk aus 26 Liedern für Clara Wieck, als Liederzyklus angesehen wird. Im Interview erläutert der Bariton Christian Gerhaher die Gründe, und warum er dennoch manchmal mit der Tonart von Schumann abweichen musste.

Bariton Christian Gerhaher im Gespräch mit Susann El Kassar | 02.10.2019
    Christian Gerhaher stützt seinen Kopf auf die Hände, blickt hinterfragend.
    Prägt seit mehreren Jahren den Kunstlied-Gesang nachhaltig: Der Bariton Christian Gerhaher (Gregor Hohenberg / Sony Music Entertainment)
    Susann El Kassar: "Seiner geliebten Braut" widmete Robert Schumann diese Liedersammlung op. 25, die Myrthen. Dieser musikalische Brautkranz aus 26 Liedern war natürlich eine innige Botschaft an seine Clara, aber zugleich auch ein sichtbares Zeichen an alle die, die den hässlichen Rechtsstreit zwischen Robert Schumann und Claras Vater Friedrich Wieck verfolgt hatten: das Paar konnte im September 1840 endlich heiraten.
    Mit den "Myrthen" op.25 setzt der Bariton Christian Gerhaher – von vielen gefeiert als derzeit bester Liedsänger – seine Gesamtaufnahme der Lieder von Robert Schumann fort. Für die Myrthen ist nicht nur Gerold Huber an seiner Seite, sondern auch die Sopranistin Camilla Tilling übernimmt einige der Lieder. Nach welchem Prinzip Gerhaher und Tilling einige der Lieblingslieder untereinander aufgeteilt haben, das hat der Bariton im Interview erzählt, vor wenigen Tagen habe ich ihn in Bonn zum Gespräch getroffen.
    Die "Myrthen" sind Teil zwei des Großprojekts alle Lieder von Robert Schumann fürs Label Sony aufzunehmen. Ich wollte von Christian Gerhaher zunächst wissen, welche Rolle dieses op.25 in Robert Schumanns Liedschaffen einnimmt.
    Christian Gerhaher: "Eine sehr gewichtige Rolle, weil hier das erste Lied Teil dieses Zyklus’ ist, das Schumann überhaupt komponiert hat, nachdem er zwar ein paar Jugendlieder geschrieben hat und dann aber eigentlich sich entschlossen hat, nicht mehr weiter Vokalmusik zu komponieren und nur Klaviermusik komponierte. Und dann war es eben so, dass aplombartig im Jahr 1840 er begann, Lieder zu komponieren. Es war auch ein Schicksalsjahr für ihn, weil ja die lange ersehnte, dann schließlich erstrittene und mit vielen psychischen Blessuren dann doch einhergehende Hochzeit dort sein sollte – das wusste er allerdings im Februar 1840 noch nicht – da hatte also dieses erste Lied "Du bist wie eine Blume" auf einen Text von Heine komponiert.
    "Myrthen" haben "größte zeitliche Ausdehnung"
    Das ist das eine, dass also das erste Lied drin ist und das Zweite ist, dass es natürlich der Zyklus mit der größten zeitlichen Ausdehnung ist. Sie sagten, dass wir in unserer letzten Schuhmann CD mehrere Zyklen veröffentlicht haben. Das liegt einfach daran, dass diese Zyklen im Höchstfall bei Schumann mit den drei großen Solozyklen, wo also nur ein Sänger singt: Dichterliebe, Eichendorff’scher Liederkreis und Kerner-Lieder die Grenze von einer halben Stunde eigentlich nicht überschritten wird. Und hier bei den Mythen mit 26 Liedern – allerdings nicht von einem Sänger gesungen, sondern von zweien also von einer weiblichen Stimme und einer männlichen Stimme zu singen – wird diese Grenze weit überschritten und ist so bei guten 50 Minuten."
    "Ein Liebesbeweis fast ohne Beispiel"
    "Man könnte natürlich noch andere Zyklen dazustellen, die auch diese Aufteilung haben Mann und Frau singend, ich habe mich dann am Schluss mit Sunny dazu entschieden, dass wir das einfach so lassen weil diese groß so bedeutend ist meiner Ansicht nach. Erstens wegen dieser starken, doch auch viele Leute anrührenden Situation biografisch, dass hier ein Geschenk gemacht wird an die Braut mit einem kaleidoskopartigen Propädeutikum für die ganze zu erwartende, sich erfüllende Liebes- und Lebensgemeinschaft. Das ist schon etwas, was finde ich ein Liebesgeschenk und ein Liebesbeweis, der irgendwie fast ohne Beispiel ist.
    Veröffentlicht als vier Hefte
    Das andere ist, dass auch diese Opuszahl 25 doch nicht nur Sammlung ist beispielsweise von irgendwelchen Liedern, die eben mit Liebe zu tun haben, sondern dass es tatsächlich auch so gesehen werden kann, dass man vier Hefte hat, die ein bisschen unterschiedlich sind: Das erste Heft ist so ein Proömium, wo die Situation ein bisschen gezeigt wird. Das zweite ist ein biografischer Hintergrund bis hin dann zum vierten Heft, wo auch das Alter ein bisschen beleuchtet wird, mit dem letzten Lied "Zum Schluss", wo ein Ausblick auf die Überwindung irdischer Hürden durch Tod und Ewigkeit angesprochen wird. Dass es tatsächlich vier Gedanken sind, die sich hier ausdrücken, ist glaube ich relativ eindeutig – schon allein durch diese Selbstaufteilung in vier Hefte. Und zweitens aber auch, dass sonst eigentlich immer unterschiedliche Dichter sind, immer abwechselnd von Lied zu Lied, aber immer am Ende eines Hefts zwei Lieder eines Dichters stehen; zum Beispiel Goethe oder die venezianischen Gondellieder. Jedenfalls diese Zweiheit im Vergleich zu sonst immer einzeln abwechselnden Dichtern ist dann sicher auch ein Symbol für das Paar, das hier am Ende eines Heftes mit einem Gedanken zu stehen kommt."
    El Kassar: "Robert Schumann schreibt die Lieder für Gesang und Klavier, das heißt ss gibt da keine Festlegung auf ein Stimmfach. Sie haben jetzt im Fall der Aufnahme sich die Lieder geteilt mit Camilla Tilling. Nach welchem Prinzip haben sie verteilt, wer durfte was singen, wie wurde das entschieden?"
    Gerhaher: "Am liebsten würde ich fast alle singen, das geht natürlich nicht und Camilla Tilling wahrscheinlich auch. Und so einigt man sich dann eben und ich habe bei ein paar Liedern auch aktiv Verzicht geleistet. Aber ich muss sagen, ich habe vielleicht eindeutig das großartigste Lied nämlich "Aus den hebräischen Gesängen", ein Lied auf einen etwas gefühlig übersetzten Text von Byron, aber ein grandioses Lied und ein Propädeutikum für alles, was Gesang und Kunst und darstellende Kunst bedeuten kann in meinen Augen. Ich wollte natürlich auch, weil das unser Projekt ist, Herr Huber und ich, der Camilla Tilling nicht das Gefühl geben, dass sie da einfach mitzumachen hat und dass ich mir aussuche, was ich will.
    El Kassar: "Und sie bekommt nur den Rest."
    Gerhaher: "Ja, genau. Ich finde, sie hat ganz viele schöne Lieder..."
    El Kassar: "Die Widmung."
    Gerhaher: "Die "Widmung" oder "Die Lotusblume" bekommen und das freue ich mich auch, weil sie so schön singt. Das andere ist – kann ich vielleicht noch kurz dazusagen – für mich persönlich spielen die "Myrthen" auch eine große Rolle: Ich habe vor ungefähr 20 Jahren, ja ich glaube 20 Jahre, genau 20 Jahre sind es jetzt, die Möglichkeit bekommen – ganz am Anfang meiner Karriere, da hatte ich einen internationalen Liederabend hinter mir bei der Schubertiade mit Herrn Huber – die Möglichkeit in der Wigmore Hall einzuspringen und zwar mit den Myrthen und mit Edith Mathis und ich hab das auch gemacht. Ich habe aber die Myrthen noch nie gesungen gehabt und wusste auch gar nicht so recht, was das ist und dass es die gibt... Also, ich habe das in zwei Tagen gelernt und Edith Mathis hat mich gefragt, ob ich das schon oft gesungen habe, ich habe gesagt "Nein". Und sie dann: "Oooh, um Gottes willen! Aber Sie haben das schon lange studiert?" – "Nein, nein, erst seit drei Tagen..." Und dann war sie also ganz betrübt, es ging aber sehr gut! Und es hat ihr glaube ich auch gefallen und es war insofern für mich sehr wichtig. Dann hat die BBC im Jahr danach, weil sie davon gehört haben, einfach so eine Rundfunk-Produktion gemacht mit Camilla Tilling und mir. Wir haben uns nie kennengelernt, weil jeder seine Lieder extra gesungen hat vor Mikrofonen. Wir haben uns erst viel später bei Konzerten kennengelernt und dann auch häufig natürlich wiedergesehen. Und dann dachte ich mir, weil ich Camila immer so verehrte und verehre als Sängerin, dass das doch genau die richtige Sängerin wäre. Außerdem hat sie so eine gute deutsche Aussprache. So kam das dann zustande überhaupt."
    El Kassar: "Sie haben ganz zu Anfang unseres Gesprächs schon darauf Bezug genommen auf diesen Streit, ob das jetzt eigentlich ein Zyklus ist oder eben nur eine Liedersammlung. Ich habe jetzt die ganz einfache Frage, ist das überhaupt wichtig, ob Zyklus oder nicht?"
    Gerhaher: "Mir ist es äußerst wichtig! Es war immer meine Vermutung, dass eigentlich alles von Schumann zyklisch gedacht war an Vokalmusik mit Klavier und einem Sänger. – Da zählen die Myrthen auch dazu, weil immer nur ein Sänger singt, keine Duette, Terzette oder Quartette. – Und ich habe das diese Idee auch bestätigt gefunden, in extremer Weise auch ganz, ganz kleine Opera mit nur drei Liedern haben eigentlich immer in meinen Augen einen zyklischen Charakter. Bis auf zwei oder drei Opera, das Liederalbum für die Jugend, was einen pädagogischen Ansatz hat, eine Sammlung von Liedern, die die Jugend an die Musik heranführen soll genauso wie das Klavieralbum für die Jugend. Und dann noch zwei Opera 127, 142 wo Übriggebliebenes noch mal irgendwie zusammengestellt wird. Was ich damit sagen möchte, ist, dass diese zyklische Form für mich äußerst wichtig ist, und dass ich empfinde, dass die darin enthaltene Musik, die einzelnen Lieder eine ganz spezielle Bedeutung und nochmal eine andere Form und Farbe und Wirkung bekommen, wenn sie in einem typischen Zusammenhang veröffentlicht sind wie das bei Schumann eben getan wurde und vor allem gedacht sind."
    Zyklische Zusammenstellung für die Bedeutung wichtig
    "Es gab neulich ein Gespräch über Bouquets von Liedern, die Brahms von sich selbst zusammengestellt hat und die er für wichtig hielt. Da möchte ich aber sagen, ich empfinde hier keinen zyklischen Zusammenhang im Sinne einer Bedeutungserhöhung. Das ist bei Schumann eigentlich immer der Fall. Es gibt natürlich ganz viele verschiedene Arten der zyklischen Zusammenstellung beispielsweise eine mehr erzählende Art wie es in den Kerner-Liedern vorhanden ist oder eine fast dramatische Art wie in der Dichterliebe oder eine Art, dass die Lyrik als solche ausgestellt und fast begriffen werden soll im Eichendorff’schen Liederkreis. Dann aber auch schier sarkastisch ironische Zusammenstellungen wie im Opus 49 sind drei Balladen zwei davon von Heine oder sogar auch geometrische Aspekte oder Zahlen-Aspekte, die eine große Rolle spielen, beispielsweise in Opus 83. Diese Dinge sind für die Bedeutung des zu singenden im Sinne eines einzelnen Liedes äußerst wichtig. Ich halte es für nie vergleichbar gewinnbringend und sinnvoll einzelne Lieder aus diesen zyklischen Konzepten herauszulösen um ihrer selbst willen – sind zwar immer noch schön und großartig und sind auch immer Schumanns besonders – und dennoch muss ich sagen, dass die eigentliche Bedeutung, wie ich sie empfinde und suche, dass ich die nur in der zyklischen Zusammenstellung finden kann."
    El Kassar: "Schumann geht ja auch ganz bewusst mit Tonarten um. Beispielsweise im Lied "Räthsel" – hat jetzt weniger was mit der Tonart zu tun – aber die Lösung ist das "h" und wir hören dann auch das H oder dann gibt es ja auch einen schönen Bogen dass die Widmung und die beiden späteren Rückert Lieder in Dur jeweils stehen. Das heißt da werden auch Querverbindungen durch die Tonarten geschafft. Inwieweit bringt das Probleme mit sich wenn man jetzt diese Lieder einfach für die Stimme anpassen muss Wir müssen dann die Tonarten verlassen..."
    Gerhaher: "Ja, "Räthsel", wo sich das "h" sogar im Titel verbirgt als "th" und übrigens auch wahrscheinlich in "Myrthen" das "h" noch einmal vorkommt, was ja gar nicht orthografisch sein müsste. Also dieses, was auch bei der Ehe einfach ein ganz wichtiger Buchstabe ist, das "h" zwischen den beiden "e"s wird in den "Myrthen" im Titel als "h" nach dem "t" verewigt und im "Räthsel" ist es auch so. Ich habe tatsächlich auch schon einmal "Räthsel" in A-Dur gesungen. Ist natürlich totaler Quatsch, gebe ich alles zu."
    El Kassar: "Hören dann nur die wenigsten."
    Gerhaher: "Ja, aber die Tonartenrelation bei Schumann, das ist schon ein Thema, das muss ich zugeben. Und dennoch ist eine Aufführung der Relation entsprechend für einen Bariton meiner Ansicht nach nicht möglich. Manche Lieder singen sich leicht hoch, manche schwer hoch und das heißt, wenn man transponiert, dann muss man Lieder unterschiedlich transponieren. Man kann nicht einfach sagen das Ganze jetzt eine große Terz oder eine kleine Terz runter, das ist dann für Bariton, basta! So funktionieren Stimmen nicht. Das war schon oft Gegenstand editorische Irrtümer. Bei Schumann muss ich aber zugeben, dass es besonders wichtig wäre, diese Tonarten zumindest teilweise als solche zu erhalten. Diese As-Dur-Geschichten haben wir glaube ich in unseren Liedern nicht geschafft. Ich kann das nicht singen "Aus den östlichen Rosen" z.B.. Aber bei Schubert ist es schon nicht mehr so wichtig. Es gibt auch bei Schubert z.B. eine Transpositionsstrecke. Er hat den ganzen Zyklus "Die schöne Müllerin" für seinen Freund und Bariton – also uraufgeführt hat’s Vogel als Tenor – für seinen Freund und Bariton Karl von Schönstein transponiert und die Transposition ist glaube ich nicht erhalten, aber es ist erhalten eine gewisse Strecke von Liedern sieben bis zehn glaube ich. Und da ist deutlich, dass Schubert selbst bei diesen Transposition nicht seine eigenen Relationen eingehalten hat. Das wirft also schon in diese Diskussionen noch einmal ein anderes Argument, das sehr gewichtig ist hinein, also eine apodiktische, einzufordernde Wahrheit wird man hier nicht finden, aber bei Schumann – ich gebe zu – ist es ein Problem."
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Myrthen - Robert Schumann
    Camilla Tilling, Sopran
    Christian Gerhaher, Bariton
    Gerold Huber, Klavier
    Sony Music