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Nach Amtsübernahme von Biden
"Wir müssen den neuen Westen bauen"

Nach der Amtsübernahme des neuen US-Präsidenten Joe Biden, hat der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Peter Beyer, eine schnelle Reparatur des transatlantischen Beziehungen gefordert. Allerdings müsse man diese neu denken und dürfe nicht zurück zu alter Nostalgie, forderte er im Dlf.

Peter Beyer im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Joe Biden wird als 46. Präsident der USA vereidigt
Mit dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden verknüpft man in Europa große Hoffnungen (imago images / UPI Photo)
Der neue US-Präsident Joe Biden hat am Mittwoch (20.01.2021) seinen Amtssitz im Weißen Haus begezogen. Dort nahm er umgehend seine Amtsgeschäfte auf, setze gleich eine Reihe von Dekreten in Kraft, mit denen er erste Wahlversprechen einlöste, und leitete zugleich eine Abkehr von zentralen politischen Projekten seines Vorgängers Donald Trump ein.
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Biden und das transatlantische Verhältnis
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"Die vier vergangenen Jahre waren schon sehr beschädigend für das transatlantische Verhältnis. Wir konnten aufatmen. Die Amtseinführung war schon ein krasser Gegensatz zum Amtseinführung von Donald Trump vor vier Jahren", sagte Peter Beyer (CDU), Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung im Dlf.
Viele Ernennungen und Personalien Bidens kenne man noch von frühreren Amtsperioden, aus der Ära Brack Obama oder Bill Clinton, daran werde man beim Aufbau neuer Beziehungen anknüpfen können. Allderings dränge die Zeit, sagte der CDU-Politiker. "Wir haben keine Zeit zu verlieren, an die Wiederherstellung und die Reparatur des transatlantischen Verhältnisses ranzugehen." Der Fokus Bidens liege zu Beginn seiner Amtszeit aber sicher auf den innenpolitischen Herausforderungen. Da werde etwas Geduld gefragt sein.
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"Wir müssen den neuen Westen bauen – also Transatlantik neu denken, nicht zurück zu alter Nostalgie", sagte Beyer. Gleichzeitig nahm er die Europäer aber auch in die Pflicht: "Europa muss daran arbeiten", wenn es ein starker Partner für die Amerikaner sein wolle, sagte der Transatlantik-Koordinator. "Wir dürfen uns nicht wegducken, wir müssen mehr Verantwortung übernehmen."
Lesen Sie hier das vollständige Interview im Wortlaut.

Jörg Münchenberg: Herr Beyer, wie groß ist die Erleichterung, dass Donald Trump nicht mehr Präsident ist?
Peter Beyer: Die vier vergangenen Jahre waren schon, wie soll ich mich da ausdrücken, sehr beschädigend für das transatlantische Verhältnis und auch darüber hinaus. Deswegen ist es, glaube ich, zugestanden, dass man wirklich aufatmen konnte. Gestern die Amtseinführung, die Amtsübergabe, das war schon ein krasser Kontrast zu dem Ereignis vor vier Jahren.
Münchenberg: Wie gut sind denn noch die Beziehungen und Kontakte nach Washington nach vier Jahren Amtszeit Trump?
Beyer: Es war ja so, dass in den letzten vier Jahren nicht alle Kommunikationskanäle stillgestanden sind. Da gab es schon einiges, so dass man hier und da auch auf Kontinuität setzen kann. Aber wir haben ja jetzt gesehen, dass viele Ernennungen und Amtseinführungen unterhalb der Präsidentenebene – ich blicke mal auf das Kabinett und auch darunter – doch alte Bekannte sind, die ich nicht unbedingt alle persönlich kenne, aber die wir aus vorangegangenen Amtsperioden von Präsidenten kennen, zum Beispiel aus der Obama-Zeit und aus den Clinton-Zeiten.
Von daher kann man an einiges anknüpfen und das geht natürlich jetzt mit der Arbeitsagenda von Tag eins an los. Wir haben keine Zeit zu verlieren, jetzt an die Wiederherstellung und an die Reparatur des transatlantischen Verhältnisses heranzugehen.
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"Die Drähte werden jetzt heißglühen"

Münchenberg: Nun hat Biden ja gleich nahtlos mit dem Regieren angefangen. Aber die Blickrichtung ist ja erst mal ziemlich deutlich geworden: Es geht um Innenpolitik, vorneweg die Bekämpfung der Corona-Pandemie, aber natürlich auch der Versuch, die tiefen Gräben im Land wieder zuzuschütten. Heißt das nicht auch im Umkehrschluss, Europa wird sich gedulden müssen?
Beyer: Ja, das kommt nicht ganz überraschend. Es war auch gestern in seiner Rede nach seiner Vereidigung bei Biden so, dass er, ich würde mal sagen, 90 bis 95 Prozent innenpolitisch, nach innen gerichtet verwendet hat, was wie gesagt nicht überraschend ist. Aber ja, wir müssen uns vielleicht gedulden, aber das sollte nicht falsch verstanden werden hier in Europa, dass man einfach mal die Hände in den Schoß legt und abwartet.
Nein, ich glaube, es werden jetzt die Drähte heißglühen. Wir hatten ja auch in den letzten Wochen und Monaten die Einschränkungen eines Gesetzes, das sich Logan Act nennt, das es den noch nicht im Amt gewesenen in den USA verbietet, mit ausländischen Regierungsstellen Kontakt aufzunehmen. Das geht jetzt ganz intensiv los. Dass man jetzt denkt, man hat Zeit, da wäre man fehl unterwegs. Wir müssen jetzt richtig die Inhalte angehen.

"Das ist wichtig, damit wir hier als verlässlicher Partner gelten"

Münchenberg: Dann lassen Sie uns gleich mal darauf gucken. Es geht los, sagen Sie. Die Drähte glühen heiß. Schauen wir auf die Konfliktpunkte. Die gibt es ja viele: Die Höhe der Verteidigungsausgaben ist umstritten, es gibt einen Handelskonflikt etwa bei Boeing und Airbus, es gibt drohende Zölle für die Autoindustrie, der Umgang mit China. Wo kann, wo muss Europa liefern?
Beyer: Ja, in allen diesen Fächern, und ich würde sagen, noch viel mehr. Fangen wir vielleicht mal in Deutschland bei den Verteidigungsausgaben an. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir an die USA und auch an die anderen NATO-Verbündeten ein ganz klares Bekenntnis zu den zwei Prozent bei den Verteidigungsausgaben machen. Das ist wichtig, damit wir hier als verlässlicher Partner gelten.
Und dann ein bisschen weiter geguckt in der NATO. Sie muss modernisiert werden, aber nicht einseitige Entscheidungen getroffen werden, wie wir das unter Trump gesehen haben mit Truppenabzug und dergleichen, sondern das muss transparent und miteinander geschehen. Das ist eine wichtige, ganz große Aufgabe.
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Münchenberg: Lassen Sie mich da vielleicht auch noch mal einhaken. Es geht ja auch um mehr Verantwortung der Europäer. Aber schon da geht es los. Frankreich möchte sich in der Sicherheitspolitik mehr von den USA emanzipieren. Berlin lehnt das ab, will keine Parallelstrukturen zur NATO. Anders ausgedrückt: Europa hat da eigentlich keine Geschlossenheit zu bieten.
Beyer: Ja, wir haben gesehen, dass es doch schon Bemühungen gibt, auch gerade des deutsch-französischen Schulterschlusses. Sie haben recht, da ist man nicht immer in allen Bereichen komplett gleich unterwegs. Aber ich darf erinnern daran, dass es einen gemeinsamen Namensartikel in der Washington Post des deutschen und des französischen Außenministers gegeben hat, der eben diesen Schulterschluss demonstriert. Es ist angedacht, dass auch eine gemeinsame Reise dieser beiden genannten Außenminister nach Washington, wenn es denn pandemiebedingt wieder geht, stattfindet. Also es gibt hier doch verschiedene Dinge, die hoffnungsfroh stimmen.
Ich glaube aber, Europa muss daran arbeiten. Ich will hier überhaupt nichts schönreden. Wenn es dieser starke, auch verantwortungsvolle Partner sein will, für die amerikanischen Freunde, aber auch für uns selbst, weil wir ja eigene Wirtschafts- und auch Sicherheitsinteressen haben, dann muss Europa tatsächlich die Zeichen der Zeit verstehen, und ich komme noch mal auf Geduld und zum Window of Opportunities, Zeitfenster der Chancen zu sprechen. Dieses ist sehr kurz bemessen.
Wir haben im digitalen Bereich, im Sicherheitsbereich, im Handelsbereich große Aufgaben, und hier sage ich nur Russland- und China-Politik. Hier gibt es sicher Möglichkeiten, bessere Möglichkeiten als unter den vier Trump-Jahren, mit den Amerikanern zumindest mal Interessengebiete zu identifizieren, wo wir gemeinsam unterwegs sein können.

"Die Europäer brauchen die Amerikaner"

Münchenberg: Wobei Gemeinsamkeit in Sachen China ist ja nur bedingt gegeben. Das will ich gerne mal aufgreifen. Es gab ja zwischen der EU und China noch vor dem Amtswechsel jetzt eine Grundsatzeinigung über ein Investitionsabkommen. War das politisch klug? Man kann das ja auch als Affront gegen die neue Biden-Regierung interpretieren.
Beyer: Es war in den letzten Tagen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft noch das europäisch-chinesische Investitionsabkommen geschlossen worden. Da ist jetzt noch vieles, vieles inhaltlich auszuverhandeln.
Münchenberg: Aber das Zeichen, das man setzt, steht ja trotzdem im Raum.
Beyer: Genau. Insbesondere bei den Republikanern in den USA hat das hier und da Stirnrunzeln hervorgerufen. Aber ich glaube, es geht nicht darum, ob jetzt ein kluger Zeitpunkt war, das abzuschließen oder nicht. Man hatte das ja seit vielen Jahren verhandelt. So ganz überraschend konnte das jetzt nicht kommen. Ich denke, die Amerikaner und auch die Biden-Administration verstehen schon die europäischen Interessen, genauso wie sie verstehen werden, dass es zum Beispiel – bleiben wir bei China – kein komplettes Abkoppeln Europas von China geben kann. Hier wird mehr Verständnis sein.
Antony Blinken, der neue Außenminister, und auch Joe Biden kennen Europa, kennen die EU, wissen sehr genau, wie das hier funktioniert, und wissen deswegen auch, dass es Felder gibt, wo wir gemeinsame Interessen haben, wo wir gemeinsame Politiken verfolgen können, aber es auch Interessensfelder gibt, wo das nicht im Gleichschritt läuft.
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Münchenberg: Das könnte man natürlich auch so interpretieren: Europa hält gerne Sonntagsreden, aber im Zweifel duckt man sich entweder weg, oder denkt vor allem ans Geschäft, gerade wenn es um China geht.
Beyer: Das darf natürlich nicht passieren. Das wäre sicherlich falsch. Deswegen komme ich an der Stelle vielleicht auch mal auf diese Debatte mit europäischer Autonomie und europäischer Souveränität zu sprechen. Da herrscht doch noch mal wirklich ein großer Unterschied. Jeder, der jetzt von Autonomie in Europa redet und das so versteht, dass wir ohne die Amerikaner einen Schutzschirm über uns aufspannen können und ohne die Amerikaner die Fähigkeiten im Sicherheitsbereich, im technologischen Bereich hätten, der ist völlig falsch unterwegs. Im Gegenteil: Hier muss es eine engere transatlantische Bande geben.
Ich glaube, die Europäer brauchen die Amerikaner wie die Amerikaner uns auch als starke Partner brauchen. Wir hatten ja vorhin schon mal darüber gesprochen, dass Joe Biden sehr innenpolitisch in den nächsten nicht nur Monaten, sondern in seiner gesamten Amtszeit gebunden sein wird. Deswegen müssen wir hier wirklich, ich sage immer, den neuen Westen bauen, also Transatlantik neu denken, nicht zurück zu alter Nostalgie, zu einer Herstellung des Standes zwischen den Europäern und Amerikanern, wie es vor vielen Jahren mal war. Nein, das reicht nicht!
Wir dürfen uns nicht wegducken. Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen, und das tun wir auch an verschiedenen Stellen, und das machen wir auch gemeinsam mit den Amerikanern, da wo Interessen auch gemeinsam vorhanden sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.