Donnerstag, 18. April 2024

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Nach Angriffen auf Reporter
"Man muss Pressefreiheit als Grundrecht wahrnehmen"

Nach mehreren Journalisten-Morden in den vergangenen Monaten hat Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, die EU aufgefordert, sich stärker für den Schutz von Journalisten einzusetzen. Diese würden mit immer drastischeren Mitteln von der Arbeit abgehalten, sagte er im Dlf.

Frank Überall im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 09.10.2018
    Das Bild zeigt Frank Überall, den Bundesvorsitzenden des DJV (Deutscher Journalisten-Verband).
    Der DJV-Vorsitzende Frank Überall (picture-alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Tobias Armbrüster: Wer Nachrichten hört, dem fällt diese Häufung sicher auf. Immer wieder wird in den letzten Monaten über ermordete Journalisten in Europa berichtet. In den letzten Tagen gab es erneut zwei Fälle: eine getötete Journalistin in Bulgarien und ein saudischer Reporter, der in Istanbul im saudischen Konsulat dort verschwunden ist – auch er wahrscheinlich ermordet. Davor hatten wir bereits Mordfälle auf Malta und in der Slowakei. Ermordete Journalisten in Europa – wir wollen das besprechen mit Frank Überall, dem Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbandes, hier jetzt bei uns im Studio. Schönen guten Morgen, Herr Überall.
    Frank Überall: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Lässt sich das so sagen: Diese ganzen Fälle von Journalistenmorden, ist das ein Zufall, oder steckt dahinter irgendein Muster, eine Entwicklung?
    Allgemeine gesellschaftliche Stimmung wirkt sich aus
    Überall: Es ist schon ein Zufall, dass es in so vielen Ländern jetzt quasi gleichzeitig passiert. Aber ich glaube schon, dass die allgemeine gesellschaftliche Stimmung sich da auch auswirkt. Zum einen haben wir die Schwierigkeit, dass Medienunternehmen, Wirtschaftsunternehmen, Politik, Justiz in solchen Ländern besonders miteinander verwoben sind, dass es da auch was aufzudecken gibt, wo es auch ein Interesse gibt, dass darüber nicht berichtet wird seitens der Herrschenden. Auf der anderen Seite gibt es eine Stimmung in der Bevölkerung, die sich auch gegen Journalistinnen und Journalisten, gegen Fakten, gegen Wahrheit oder die Suche nach Wahrheit richtet, wo man einfach nur noch Vorurteile bestätigt wissen möchte und gar nicht mehr sich wirklich informieren möchte mit wirklichen Fakten. Diese hoch explosive Mischung macht mittlerweile das Problem aus, dass es in manchen Ländern im Moment so gefährlich ist, den Beruf des Journalisten, der Journalistin zu wählen, wie sonst in anderen Zeiten den des Soldaten oder des Polizisten.
    Armbrüster: Wenn wir jetzt diese beiden Entwicklungen mal auseinanderhalten, diese Mordfälle an Journalisten, die investigativ gearbeitet haben, und dann die generelle Stimmung in vielen Ländern, die sich immer mehr gegen Journalisten richtet, wenn wir jetzt zunächst mal beim ersten bleiben, kann man dann sagen, dass in vielen Ländern Investigativ-Journalisten für Regierungen oder auch für Unternehmen gefährlicher geworden sind? Sind sie heute gefährlicher als noch vor ein paar Jahren?
    Überall: Natürlich! Sie sind gefährlicher geworden, weil sie sich auch besser vernetzen können mit anderen Kolleginnen und Kollegen. Und letzten Endes muss man auch beobachten, dass zumindest der Eindruck entsteht, dass bei diesen Regierungen, bei diesen Wirtschaftsmogulen auch letzten Endes krimineller vorgegangen wird. Entweder ist es in der Vergangenheit nicht so aufgefallen, oder es ist jetzt besser zu recherchieren. Ich glaube, es ist an beidem etwas dran. Die bessere Recherche ergibt sich natürlich zum Beispiel aus Daten-Journalismus, aus Möglichkeiten, heute ganz anders vorzugehen. Das Problem ist allerdings, dass diese Menschen das nicht möchten und dass sie offensichtlich bereit sind, zu immer drastischeren Mitteln zu greifen, um Journalistinnen und Journalisten von ihrer Arbeit, vom Aufdecken abzuhalten – das, was wir bisher eigentlich nur aus Entwicklungsländern kannten.
    Keine unabhängige Justiz
    Armbrüster: Jetzt sind diese Fälle, über die wir hier reden, alle in der Europäischen Union passiert, alles Morde auf EU-Territorium, wenn wir jetzt mal den Fall in Istanbul vielleicht auch mit dazuzählen. Man könnte jetzt eigentlich sagen, in der EU, da wird der Schutz von Journalisten nach wie vor groß geschrieben. Was ist Ihr Eindruck? Wird in diesen Fällen tatsächlich tatkräftig ermittelt?
    Überall: Das ist ja genau das Problem, das Justizsystem in diesen Ländern, das ja auch überhaupt zulässt, dass krakenartig Politik und Wirtschaft sich so überhaupt in kriminelle Strukturen verstricken können. Bei einem funktionierenden Rechtsstaat wäre das schon schwierig. Und in der Tat, bei den Ermittlungen muss man zum Teil schon sagen: Wenn sich Regierungschefs hinstellen und sagen, na ja, das war wahrscheinlich alles eine persönliche Geschichte, wie in Bulgarien beispielsweise, dann wird das schon schwierig, weil wir können uns das nicht unbedingt immer so vorstellen wie hier, dass Justiz wirklich unabhängig ist. Nein, in diesen Ländern ist sie es oft nicht. Sie ist dann abhängig von den Regierungschefs, die da massiv Einfluss nehmen, bis hin zu der Türkei beispielsweise auch. Das wird ein großes Problem und das muss die EU auch anfassen, den Schutz von Journalistinnen und Journalisten, der auf dem Papier schon ganz gut ist, aber das muss einhergehen mit einem starken Rechtsstaat, auch in den Ländern, wo noch keine Journalisten getötet wurden oder wo sie unterdrückt werden, beispielsweise bei investigativen Recherchen in Polen, in Ungarn, zum Teil jetzt auch in Österreich. Das wird problematischer und da müssen auch wir hier in Deutschland aufpassen – BND-Gesetz, Vorratsdatenspeicherung, in vielen Dingen -, dass wir die journalistische Arbeit nicht einschränken, was dann irgendwann auch dazu führen kann, dass Journalistinnen und Journalisten bedroht werden. Auch das haben wir zum Teil schon und das kann dann, wie wir in diesen Ländern sehen, noch viel weitergehen.
    "Der Rechtsstaat muss gestärkt werden"
    Armbrüster: Sie sind da ja durchaus Interessenvertreter als Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes. Welche Forderung haben Sie? Haben Sie überhaupt Forderungen, die Sie gegenüber den Politikern stellen?
    Überall: Natürlich! Man muss Pressefreiheit auch wahrnehmen als Grundrecht, in den politischen Entscheidungen, wenn man Gesetze macht, sich überlegen: Okay, wir müssen möglicherweise beim Geheimnisschutz Pfarrer ausnehmen, wir müssen Rechtsanwälte ausnehmen, ja, wir müssen Ärzte ausnehmen, wir müssen aber auch Journalisten ausnehmen. Und wir müssen einen starken Rechtsstaat haben in der Europäischen Union und da kämpfen wir auch gemeinsam mit unserem europäischen Partner, der Europäischen Journalistenföderation, mit Gewerkschaften aus ganz Europa. Das ist ganz wichtig, dass wir da deutlich machen, der Rechtsstaat muss gestärkt werden und auch in Deutschland muss Polizei schützen, dass Journalistinnen und Journalisten ihren Job machen können, zum Beispiel bei Demonstrationen, wo immer mehr Kolleginnen und Kollegen angegriffen werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.