Donnerstag, 28. März 2024

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Getroffene Slowakei( 1/5)
Kuciaks Vermächtnis

Die Ermordung des investigativen Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten hat die Slowakei schwer erschüttert. Den Namen Kuciak kennt nun jeder. Die Familie versucht nun, mit der neuen Öffentlichkeit und den wuchernden Verschwörungstheorien klarzukommen - und nach vorne zu blicken.

Von Kilian Kirchgeßner | 10.09.2018
    Fotos des ermordeten Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova stehen mit Kerzen auf einem Tisch
    Gedenkstelle für den ermordeten Journalisten Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova in Bratislava (Deutschlandradio/ Kilian Kirchgeßner)
    Es ist Mittagszeit. Vor dem Gymnasium sind Schüler in den Linienbus zugestiegen, der die umliegenden Dörfer anfährt, so wie früher, als Jan Kuciak hier noch zur Schule ging und nach Hause fuhr. Auf dem Weg nach Stiavnik öffnet sich der Blick, der Bus fährt durch ein langgestrecktes Tal, zu beiden Seiten erheben sich sanfte Hügel, die Ausläufer der Karpaten.
    Es ist eine Idylle, in der Jan Kuciak aufwuchs: Die großen Einfamilienhäuser sind entlang der Straße aufgereiht mit riesigen Gärten und Panoramablick auf die Berge. An einem der Gartentore steht sein Vater. Die Ähnlichkeit Josef Kuciaks mit seinem Sohn ist verblüffend. Die gleichen wachen Augen, das gleiche markante Brillengestell, die gleiche Kurzhaarfrisur: Genauso schaut Jan Kuciak seine Betrachter auf dem Foto an, das nach dem Mord um die Welt ging.
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Getroffene Slowakei - Ein Land kämpft für mehr Anstand" in der Sendung "Gesichter Europas".
    Sein Vater ist gerade in Rente gegangen. Früher war er Schlosser. Er bietet einen Platz im hölzernen Gartenpavillon an: "Hier diesen Pavillon – den hat Jan mit ein paar Kumpels gebaut, als er 16 Jahre alt war. Sehen sie den atypischen Grundriss, der genau zur Form des Gartens passt."
    Beerdigung des ermordeten slowakischen Journalisten Jan Kuciak in seinem Heimatort Stiavnik
    Im März wurde Jan Kuciak in seinem Heimatort Stiavnik beerdigt (AFP/ Vladimir Simicek)
    Den Namen Kuciak kennt jetzt jeder
    Der kleine Pavillon ist der Lieblingsplatz von Josef Kuciak. Als er in ein Treffen einwilligte, war seine Bedingung klar: Hier in Stiavnik muss es stattfinden – nirgendwo anders fühle er sich derzeit sicher.
    "Es geht nicht so sehr um irgendeine Bedrohung. Ich mag nur nicht in die Öffentlichkeit gehen, wo einen jeder anschaut, wo einen alle ansprechen, irgendwelche Fragen stellen. Dem wollen wir aus dem Weg gehen."
    Die ersten Wochen nach dem Mord wurden sie regelrecht belagert, Josef Kuciak, seine Frau und die beiden jüngeren Kinder: Journalisten wollten Interviews, Politiker wollten kondolieren, das Telefon stand nicht mehr still. Josef Kuciak muss nicht nur mit der persönlichen Tragödie klarkommen, dass er seinen ältesten Sohn und seine Schwiegertochter verloren hat. Er muss auch verarbeiten, dass sein Sohn durch den Mord zu einer öffentlichen Person geworden ist, dass jetzt jeder den Namen Kuciak kennt.
    "Die ersten drei Tage haben wir uns eingeschlossen, wir haben keine Nachrichten verfolgt und es einfach nicht wahrhaben wollen, was passiert ist. Dann habe ich langsam gemerkt, wie die ganze Welt auf den Mord reagiert. Und dass es bei uns in der Slowakei zu Entwicklungen kommt, die hoffentlich weitergehen werden. Dass dieser Tod zumindest irgendeinen Sinn hatte."
    Was soll mit Kuciaks Haus passieren?
    Das ist jetzt seine Mission geworden: Josef Kuciak will das Erbe seines Sohnes verwalten. Derzeit dreht sich alles um die Frage, was mit dem Haus passieren soll, das er mit seiner Verlobten in einem Dorf nahe Bratislava gekauft hatte. Verschiedene Bürgerinitiativen erkannten schon bald, wie symbolträchtig das Haus ist, in dem sich der Doppelmord ereignete. Sie entwickelten Ideen, was sich daraus machen lassen könnte.
    "Da wurden uns zwei Alternativen vorgeschlagen. Als erstes kamen Künstler, die wollten es zu einer Art Mahnmal umbauen: Fenster und Türen wollten sie mit Eisenplatten verschließen, dann die Gas-, Wasser- und Stromleitungen abkoppeln. Niemand sollte mehr rein in das Haus. Das hat mir nicht gefallen, denn zumindest heizen müsste man ja, sonst würde bald alles einstürzen. Und dann gab es noch den Vorstoß, aus dem Haus ein Museum zu machen."
    Verschwörungstheorien machen die Runde
    Das ist ein Gedanke, der Josef Kuciak gleich gefallen hat: Ein Museum für die Pressefreiheit – und auch ein Museum, das an Jan Kuciak und seine Verlobte erinnert. Denn längst ist in der Slowakei eine regelrechte Schlacht um das Andenken der beiden entbrannt, längst wuchern in den sozialen Netzwerken die absurdesten Verschwörungstheorien. Jan Kuciak sei selbst Schuld am Mord, proklamieren die einen, schließlich habe ihn niemand gezwungen, als investigativer Reporter seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken.
    Und andere sehen den Mord als Werk des Geheimdienstes, der den folgenden Aufstand der Anständigen bewusst herbeiführen wollte, um die Regierung hinwegzufegen. Josef Kuciak kann nicht ruhig bleiben, wenn er diese Geschichten hört.
    "Ich gehe grundsätzlich nicht auf Facebook, und diese Art von Kommentaren fällt meistens dort. Dass mir jemand so etwas offen ins Gesicht gesagt hätte, das ist noch nicht passiert. Mein zweiter Sohn erzählt mir manchmal, was da so alles geschrieben wird, aber ich will das lieber gar nicht wissen."
    "Bedank dich nicht, aber erinnere dich daran!"
    Fest steht: Der Kampf um das Vermächtnis Jan Kuciaks wird noch lange dauern. Aber immerhin: Es sind schon Preise nach Jan Kuciak benannt worden, die an engagierte Slowaken verliehen werden; der Name seines Sohnes ist im Land allgegenwärtig. Josef Kuciak hält kurz inne. Eins stehe für ihn schon fest, bei all den Ungewissheiten: Über dem Eingang in das Haus seines Sohnes soll einmal dessen Lieblingssatz stehen, in großen Lettern:
    "Immer, wenn er jemandem mit irgendetwas geholfen hat, mit einer Reparatur zum Beispiel, sagte er am Schluss: Bedank dich nicht, aber erinnere dich daran!"
    Jetzt nach dem Mord hat dieser Satz einen neuen, einen tieferen Sinn bekommen.