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Nach Angriffen in Idlib
Flüchtlinge hoffen auf EU-Grenzöffnung

Nach Angriffen der syrischen Armee auf türkische Soldaten in Nordsyrien drängen Tausende in Richtung Türkei. Dort sollen bereits Hunderte Flüchtlinge auf dem Weg zur griechischen Grenze sein. Gerüchten zufolge will Ankara die Flüchtlinge einige Stunden lang nicht aufhalten.

Von Karin Senz | 28.02.2020
Flüchtlinge laufen in der Türkei in Richtung griechische Grenze
Flüchtlinge auf dem Weg in Richtung griechische Grenze: Es kursiert das Gerücht, dass die Türkei Flüchtlinge für ein paar Stunden an den Grenzen nach Griechenland nicht aufhalten will. (picture alliance / AA / Gokhan Balci)
Das türkische Fernsehen zeigt Live-Bilder von Flüchtlingen in einem Schlauchboot. Sie legen an der Ägäisküste ab und wollen auf die griechische Insel Lesbos. Niemand scheint sie zu hindern. Ein anderer türkischer Reporter der Nachrichtenagentur IHA steht am frühen Morgen schon vor einem Aufnahmelager in Aydin an der Ägäis. Es ist noch dunkel. Im Hintergrund sind weiße Busse zu sehen. IHA-Reporter Aydin:
"Die Flüchtlinge hier machen sich selbstständig auf den Weg. Drinnen sind momentan drei Reisebusse besetzt mit Flüchtlingen. Diese Busse werden jetzt gleich herausfahren."
Auch weiter südlich in Hatay direkt an der syrischen Grenze sollen sich Flüchtlinge selbst Busse organisiert haben. Es kursiert das Gerücht, dass die Türkei Flüchtlinge für ein paar Stunden an den Grenzen nach Griechenland nicht aufhalten will. Angeblich sei das bei einer Krisensitzung nach den tödlichen Angriffen auf türkische Soldaten in der syrischen Region Idlib vergangene Nacht so beschlossen worden. Eine offizielle Bestätigung von der Regierung gibt es nicht. Ein Sprecher sagte nur, man könne dem Druck durch neu ankommende Flüchtlinge nicht standhalten. Es gebe nur eins, was die Europäische Union tun könne, und das sei, der Türkei zu helfen. Ankara hat auch die NATO angerufen. Zu Recht sagt Giray Saynur Derman von der Istanbuler Marmara Universität im türkischen Fernsehen:
"Man muss sich an die Spielregeln halten. Das gilt für Russland, aber auch für die USA und die Nato, die in der Pflicht stehen. Sie sollten sich an ihre Unterstützung nicht nur erinnern, wenn es darum geht, sich Flüchtlingswellen vom Leib zu halten."
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Die EU müsse die Türkei dabei unterstützen, die etwa eine Million Flüchtlinge im Norden Syriens auf türkischem Boden zu versorgen, sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter im Dlf.
Auch Krankenwagen beschossen
Die Türkei kämpft in Idlib auf der Seite der syrischen Rebellen gegen das Regime, das von Russland unterstützt wird. Die syrische Armee hat vergangene Nacht 33 Soldaten getötet, heißt es aus Ankara. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar ist an der Grenze:
"Die Luftangriffe erfolgten, obwohl wir die Stellungen unserer Truppenverbände mit den russischen Zuständigen vor Ort vorher koordiniert haben. Und obwohl wir die russischen Zuständigen nach dem ersten Luftschlag noch mal gewarnt haben, gingen die Luftangriffe leider weiter. Dabei wurden sogar Krankenwagen beschossen."
Ankara reagiert mit Vergeltungsschlägen. Hulusi Akar:
"Nach den Luftschlägen haben wir mit unserer Luftwaffe und Artillerie sofort mehr als 200 Ziele des Regimes beschossen. Unser Beschuss geht weiter. Der Tod unserer Soldaten wird nicht ungesühnt bleiben."
Nach Angaben des türkischen Fernsehens gehen die Kämpfe weiter. Eigentlich hatten Russland und die Türkei vor Langem eine Waffenruhe für die Region Idlib vereinbart. Seit knapp einem Jahr gibt es allerdings eine Offensive des Regimes. Ankara und Moskau hatten es in den letzten Monaten geschafft, sich immer wieder zu einigen. Viele sind skeptisch, ob das auch diesmal möglich ist. Die Expertin Giray Saynur Derman meint dazu:
"Russland wird eine direkte Konfrontation mit der Türkei meiden. Deshalb sprechen wir ja auch von einem Stellvertreterkrieg. Russland unterstützt im Hintergrund das Assad-Regime auch militärisch - normalerweise dürfte ein Mitglied des UN-Sicherheitsrats so was gar nicht machen. Nichts destotrotz sind die Türkei und Russland wirtschaftliche und strategische Partner. Sie werden also direkt keinen Krieg miteinander führen."
Syrer sitzen mit ihren Habseligkeiten auf vollbepackten Ladeflächen von Lastwagen. Im Vordergrund laufen zwei Männer auf ein Auto zu. Sie tragen Rucksäcke.
Kommentar: Deutschland muss syrische Flüchtlinge retten
Das syrische Regime begehe bei seinem Vormarsch auf Idlib massive Kriegsverbrechen, kommentiert Kristin Helberg. Gezielte Strafmaßnahmen gegen die Verantwortlichen seien das Mindeste, was Europa tun sollte. Und Deutschland sollte per Kontingent die am meisten gefährdeten syrischen Flüchtlinge retten.
Hunderte drängen in Richtung türkische Grenze
Wegen der Kämpfe in Idlib drängen immer mehr Menschen an die türkische Grenze, die ist allerdings dicht – noch. Präsident Erdogan hatte immer wieder vor einer neuer Flüchtlingswelle gewarnt, die von dort in die Türkei drängen könnte. Und er hat immer wieder gedroht, die Grenzen nach Europa zu öffnen.
Ein Reporter der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu berichtet aus der türkischen Grenzstadt Edirne von einem Feldweg. Salih Baran in Edirne:
"Es sind Busse und Taxis mit Istanbuler Kennzeichen hier in Edirne angekommen. Die Flüchtlinge sind erst in Richtung eines Grenzübergangs zu Bulgarien gegangen, und dann zu einem Grenzübergang nach Griechenland. Aber an beiden wurden sie von den Grenzbeamten aufgehalten, da sie nicht die zugelassenen Reisedokumente oder Visa hatten."
Die Flüchtlinge dürften danach versucht haben, über die grüne Grenze also abseits der Übergänge nach Griechenland zu gelangen. Wie stark die Türkei die im Moment kontrolliert, ist nicht klar.