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Nach Anschlag auf Ex-Spion
"Europa sollte nach eindeutigen Beweisen fragen"

Nach Ansicht des Europaabgeordneten Knut Fleckenstein muss sich die EU-Kommission nach dem Giftgasanschlag auf einen russischen Ex-Spion solidarisch mit der britischen Regierung verhalten. Sie müsse aber auch nach Beweisen fragen, bevor sie sich an Sanktionen beteilige, sagte der SPD-Politiker im Dlf.

Knut Fleckenstein im Gespräch mit Mario Dobovisek | 14.03.2018
    Knut Fleckenstein, EU-Abgeordneter der SPD
    Knut Fleckenstein, EU-Abgeordneter der SPD (picture alliance/dpa/Markus Scholz)
    Mario Dobovisek: Vergiftet wurden der russische Ex-Agent Skripal und seine Tochter in Großbritannien. Beide leben noch, aber die britische Regierung nimmt den Vorfall sehr ernst. Öffentliche Plätze mussten dekontaminiert werden. Sie sieht eine Verbindung nach Russland. Dorther stamme aus ihrer Sicht das Gift aus der Gruppe der Nowichok-Nervengifte, die das sowjetische Militär einst entwickelt habe. Ein Ultimatum gestern Abend verstrich. Russland werde sich nicht erklären, hieß es stattdessen aus Moskau, bevor man nicht selber eine Probe der gefundenen Substanz untersuchen könne. Ansonsten alles Märchen, eine Zirkus-Show - nicht ganz die Antwort, die Großbritanniens Premierministerin Theresa May erwartet hat. - Am Telefon begrüße ich Knut Fleckenstein, für die SPD im Europäischen Parlament, dort im Auswärtigen Ausschuss und Mitglied der EU-Russland-Delegation. Guten Morgen, Herr Fleckenstein.
    Knut Fleckenstein: Guten Morgen nach Köln.
    Dobovisek: Aus London heißt es, dieser Vorfall sei nur einen Schritt von einer Kriegserklärung entfernt. Teilen Sie diese Auffassung?
    Fleckenstein: Na ja. Es ist auf jeden Fall eine unglaubliche Geschichte, die dort passiert ist und die man sehr ernst nehmen muss. Denn ein solches, international geächtetes Nervengas zum Einsatz zu bringen, ist ein Verbrechen, das ich mir gar nicht vorstellen kann normalerweise. Aber es ist auch harter Tobak, wie sofort darauf reagiert wurde - ja.
    "Verlangen, dass es Nachweise gibt"
    Dobovisek: Sehen denn auch Sie Russland dafür mitverantwortlich?
    Fleckenstein: Na ja. Ich verstehe zunächst einmal, dass alle in diese Richtung gucken. Es gab ja in der Vergangenheit schon doch auch nachgewiesene Morde, zum Beispiel an Litwinienko. Das kann ich nachvollziehen.
    Ich kann nicht nachvollziehen, warum man der russischen Seite nicht die Proben gibt, die ihr die Aufklärung vielleicht auch erleichtern könnten. Ich bin sicher, dass das noch erfolgen muss.
    Dobovisek: Stattdessen sagt EU-Kommissionsvizepräsident Timmermans, er sichert London, so wörtlich, "unmissverständliche, unerschütterliche und sehr starke europäische Solidarität" zu. Wie weit geht diese Solidarität, spricht Theresa May in London ja schließlich von einer militärischen Qualität des Angriffs? Wie weit geht Ihrer Auffassung nach diese Solidarität?
    Fleckenstein: Wir haben schon mal mit der uneingeschränkten Solidarität nicht allzu gute Erfahrungen gemacht, meiner Meinung nach. Deshalb empfehle ich meiner EU-Kommission und auch anderen, eindeutig sich solidarisch zu verhalten mit der britischen Regierung, aber schon natürlich auch zu verlangen, dass es Nachweise gibt, die unerschütterlich sind, bevor man sich an Sanktionen oder Bestrafungen beteiligt - gegen wen auch immer.
    "Russische Regierung sollte Beitrag an Aufklärung leisten"
    Dobovisek: Auch die NATO zeigt sich ja besorgt. Da geistert auch schon - das ist das, was Sie gerade ansprechen - das große Wort des Bündnisfalles über die Flure der Hauptquartiere. Wie sollte Europa jetzt reagieren?
    Fleckenstein: Meiner Meinung nach sollte Europa nach eindeutigen Beweisen fragen, bevor sie gegenüber Dritten sich an Sanktionen beteiligen. Aber ich will es auch nicht schönreden. Auch die russische Regierung hat eine Verantwortung, ob Frau May da nun hundertprozentig richtig reagiert hat oder nicht, und sollte ihren Beitrag an der Aufklärung leisten. Dazu muss sie allerdings auch mehr Informationen bekommen, als das offensichtlich bisher der Fall ist.
    Dobovisek: Aber ganz ehrlich gesagt: Kann es bei einer solchen Geheimdienstaktion überhaupt eindeutige Beweise geben?
    Fleckenstein: Na ja. Es gibt zum einen ja die Tatsache, dass dieses Nervengift zu sowjetischen Zeiten produziert worden ist - nicht in Russland, sondern in einem heute unabhängigen Nachbarstaat -, dass es Russen waren, die diese Fabrik abgebaut haben und das Nervengift - ja, so haben wir immer gedacht - außer Landes gebracht haben. Da kann es auch passieren in den unruhigen Zeiten damals, dass irgendwelche Menschen sich da etwas angeeignet haben, aber das muss aufgeklärt werden und es muss auch der Wille sichtbar werden, dass die russische Regierung selbst ein Interesse daran hat, das aufzudecken. Es stellt sich ja immer die Frage, wem nützt es, und da bin ich ein bisschen ratlos, wenn ich mir die ganze Geschichte ansehe.
    "Kooperation notwendig"
    Dobovisek: Dann überlegen wir mal gemeinsam laut, Herr Fleckenstein. Es klingt ja schon ein Stück weit unglaubwürdig, dass der große russische Geheimdienst nicht in der Lage sein soll, einen Gegner geräuschlos zu beseitigen und stattdessen, übertrieben ausgedrückt, einen ganzen britischen Stadtteil mit Gift kontaminiert. Angenommen Russland steckt am Ende tatsächlich dahinter, was wir im Moment wie gesagt nicht wissen, könnten wir diesen Vorfall dann so kurz vor den Präsidentschaftswahlen am Sonntag als eine Art Machtdemonstration werten?
    Fleckenstein: Ich kann mir das ganz schwer vorstellen. Aber eigentlich müsste der russische Machtapparat, wie Sie es nennen, ein Interesse daran haben, dass solche Schlagzeilen unmittelbar vor der Präsidentschaftswahl nicht durch Europa geistern. Aber ich stecke nicht in den Geheimdiensten und kann es mir wie gesagt persönlich nicht vorstellen.
    Auf der anderen Seite wissen wir, aus welcher Ecke, wenn es dieses Nervengas ist - und warum sollte ich daran zweifeln -, dass es aus der früheren Sowjetunion auf jeden Fall kommen muss, und ich glaube, da ist bis zu einem gewissen Grad Kooperation notwendig.
    Britischer Regierung helfen aber Nachweis verlangen
    Dobovisek: Bei vielen russischen Exilanten scheint das ja genau so anzukommen, eben als Drohung, als Fingerzeig, auch wenn sich zum Beispiel der frühere Oligarch Michail Chodorkowski betont gelassen gibt. Hören wir mal, was er sagt:
    O-Ton Michail Chodorkowski: "Zehn Jahre habe ich im Lager verbracht. Dort hätte man mich jederzeit problemlos umbringen können. Heute, wo ich zum Glück keinerlei Verbindungen zum Geheimdienst habe, muss die Entscheidung, was mit mir geschehen soll, Putin treffen. Wenn er sich dazu entschließt, werde ich dem kaum entkommen. Aber ich sitze jetzt nicht und denke die ganze Zeit darüber nach. Das Leben ist schon so gefährlich genug. Das ist noch ein Risiko mehr - nichts Besonderes."
    Dobovisek: Michail Chodorkowski bei uns im Deutschlandfunk-Interview. - Schüchtert Putin seine Gegner systematisch ein und damit auch zum Teil die Mächte im Westen, wenn wir etwa auch auf seine Rede zur Lage der Nation gucken, und mit der atomaren Keule, die er geschwungen hat?
    Fleckenstein: Ich würde jetzt nicht gerne alles in einen Topf werfen. Die Frage, warum, nachdem ein Spion verurteilt worden ist, kooperiert hat, eine relativ maßvolle Strafe bekommen hat, die zur Hälfte abgesessen hat, dann ausgetauscht wird, warum der unmittelbar vor den russischen Präsidentschaftswahlen dann auf Anordnung des russischen Präsidenten ermordet werden soll, in einer solchen Weise, dass ein ganzer Stadtteil mit hineingezogen wird, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.
    Das soll nicht heißen, dass es nicht so gewesen ist. Ich kann es wirklich nicht beurteilen und ich lege Wert darauf, dass wir einerseits alles tun, um der britischen Regierung zu helfen, angemessen zu reagieren, aber auch verlangen von ihr, dass sie uns nachweist, wer dahinter steckt. Die reine, wenn das das einzige sein sollte, die reine Aussage, dass es in der Sowjetunion produziert worden ist, reicht mir nicht.
    Dobovisek: Knut Fleckenstein, vielen Dank für diese Einschätzungen, diese Bewertungen, Außenpolitiker der SPD im EU-Parlament und Mitglied der EU-Russland-Delegation. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Fleckenstein: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.