Dienstag, 07. Mai 2024

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Nach Astrazeneca-Einschränkung
"Wir sind gewohnt, dass wir unsere Impfstrategie immer wieder anpassen müssen"

Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Die Linke) ist zuversichtlich, dass auch nach der Einschränkung des Astrazeneca-Impfstoffes allen Bürgerinnen und Bürgern bis zum Sommer ein Impfangebot gemacht werden kann. Mit diesem Ziel werde man auch die Impfkampagnen weiter planen, sagte sie im Dlf.

Heike Werner im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern | 31.03.2021
Heike Werner (Die Linke), Gesundheitsministerin von Thüringen, spricht in einer Regierungsmedienkonferenz
Die Thüringer Gesundheitsministerin Heike Werner (Die Linke) hält am Impfplan fest - auch, weil bald mehr Impfstoffe von anderen Herstellern zur Verfügung stünden, sagte sie im Dlf. (dpa / Martin Schutt)
Nach der Entscheidung, den Corona-Impfstoff von Astrazeneca künftig überwiegend nur für Menschen über 60 Jahren einzusetzen, bemüht sich die Bundesregierung darum, Verunsicherung in der Bevölkerung entgegenzuwirken. Auf eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission hin hatten Bund und Länder zuvor entschieden, dass die Astrazeneca-Impfung bis auf Ausnahmen nur noch bei Menschen über 60 verwendet werden soll. Hintergrund sind Fälle von Hirnvenen-Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Immunisierung.
Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Die Linke) sagte im Deutschlandfunk, dass sie davon ausgehe, dass trotzdem bis zum Sommer allen Bürgerinnen und Bürgern ein Impfangebot gemacht werden könne. Für ältere Menschen sei es immer noch "ein sehr guter Impfstoff", betonte Werner. Man sei jetzt dabei, das Impfsystem umzustellen. Mit Blick auf bereits Geimpfte, die nun auf die Zweitimpfung mit dem Wirkstoff von Astrazeneca warten, gebe es zwei Möglichkeiten. Zum einen könne die Impfung nach ärztlichem Ermessen erfolgen, zum anderen prüfe die Ständige Impfkommission zurzeit, ob die Zweitimpfung gegebenenfalls mit einem anderen Impfstoff vorgenommen werden könne. Dazu laufen zurzeit Studien in England.
Drei Impfampullen der Hersteller Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca stehen nebeneinander
Impfstoff von Astrazeneca - Was über Wirksamkeit und Nebenwirkungen bekannt ist
Der Impfstoff von Astrazeneca steht in Deutschland spätestens seit der zwischenzeitlichen Impfpause in der Kritik. Die Ständige Impfkommission der Bundesregierung empfiehlt den Impfstoff jetzt nur noch für Menschen ab 60 Jahren. Ein Überblick über Wirksamkeit und Nebenwirkungen.

Das Interview im Wortlaut:
Schmidt-Mattern: Frau Werner, Sie sind gestern den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut gefolgt und haben beschlossen, dass ab sofort nur noch über 60jährige (überwiegend, muss man hinzufügen) mit AstraZeneca geimpft werden sollen. Nach allem, was Sie bisher wissen, wie gefährlich ist dieser Impfstoff?
Werner: Ja. Es ist eine wirklich seltene Nebenwirkung aufgetreten. Aber sie ist aufgetreten – man muss vielleicht noch mal zur Verhältnismäßigkeit sagen: Mit Astrazeneca wurden unter 60-Jährige 2,2 Millionen Menschen geimpft in Deutschland. Und es gibt wie gesagt 29, wo diese seltene Nebenwirkung aufgetreten ist. Ich bin froh, dass wir die Ständige Impfkommission haben und das Paul-Ehrlich-Institut und immer wieder geschaut wird, wie Nebenwirkungen sich entwickeln, dass es da ein Controlling gibt und dass, wenn eine Nebenwirkung auftritt, die wirklich dann unverhältnismäßig ist, dass hier an der Stelle auch gestoppt wird, es eine neue Empfehlung gibt. Das finde ich an dieser Stelle wirklich gut und wichtig und richtig. Das trägt meines Erachtens auch dazu bei oder muss dazu beitragen, dass das Vertrauen in den Impfstoff weiter besteht. Gerade weil der so wirksam ist für über 60jährige, ist es ein wirklich wichtiger Impfstoff für uns, den wir natürlich auch weiter unbedingt verimpfen wollen.
Schmidt-Mattern: Nun ist ja nach Ansicht vieler in der Bevölkerung schon einiges an Vertrauen verspielt worden und unter anderem die Opposition im Bundestag kritisiert jetzt, dass wiederum Bund und Länder zu spät und auch in der falschen Reihenfolge reagiert hätten, wenn man zum Beispiel bedenkt, dass es gestern erst Kliniken waren bundesweit in Deutschland, darunter auch die Charité in Berlin, die entschieden haben, den AstraZeneca-Impfstoff nicht mehr zu verwenden, und erst danach haben Bund und Länder reagiert. Das verunsichert doch wieder.
Werner: Diese Reihenfolge kenne ich jetzt so nicht. Ich weiß, dass schon mit den Fällen, die vor wenigen Tagen öffentlich geworden sind, die Ständige Impfkommission sich damit beschäftigt hat, dass weiter geprüft wird, gibt es weitere Fälle, dass auch die Diskussionen mit anderen Ländern in Europa dazu geführt wurden, dass es die Nachfragen gab in England. Aufgrund all dieser Erkenntnisse und natürlich auch den wichtigen Hinweisen, die es aus den Universitätskliniken gab, hat dann die Ständige Impfkommission an dieser Empfehlung gearbeitet. Da sind viele Bausteine, die da eine Rolle gespielt haben, und es sind nicht nur die Hinweise aus den Universitätskliniken, die hier eine Rolle gespielt haben.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

"Wir wissen, dass das wirklich ein hoch wirksamer Impfstoff ist"

Schmidt-Mattern: Sie selbst würden sich mit AstraZeneca noch impfen lassen?
Werner: Ich würde. Ich bin leider zu jung dafür. Aber beispielsweise mein Ministerpräsident hat gestern gesagt, Heike, ich bin 65, ich würde mich sofort impfen lassen. Wir wissen, dass das wirklich ein hoch wirksamer Impfstoff ist, der gerade auch bei älteren Menschen eine wirklich gute und eine belastbare Wirksamkeit hat, und für uns ist es beispielsweise ein Wirkstoff, der jetzt genau in den Hausarztpraxen eingesetzt werden soll, also gerade für Menschen, die nicht mobil sind, die durch Hausarztbesuche geimpft werden. Für ältere Menschen ist das ein wirklich guter Impfstoff, und das haben wir gestern auch schon mit unserem Partner, der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, die uns bei dieser Impfkampagne unterstützt besprochen, dass wir hier auch den Schwerpunkt legen werden.
Schmidt-Mattern: Frau Werner, ist es nicht zu spät für diese Beschwörung? Wenn wir uns meinetwegen angucken, dass unter anderem in Berlin schon bevor diese neuen Meldungen jetzt bekannt geworden sind reihenweise Impfstoffdosen von Astrazeneca liegen geblieben sind, nicht verimpft wurden, weil die Leute einfach das Vertrauen verloren haben? Ist der Zug nicht abgefahren?
Werner: Ich kann das für Thüringen nicht bestätigen. Wir hatten tatsächlich, als die ersten Meldungen zu diesen seltenen Hirnvenen-Thrombosen aufkamen, auch Stornierungen. Aber diese Termine sind sofort, als wir sie in unser Impfportal gestellt haben, wieder genutzt worden und wir hatten bisher überhaupt kein Problem, diese Termine zu vergeben. Ich glaube, es ist wichtig, dass man Klarheit hat, dass man ehrlich ist, dass man an der Stelle auch einen Stopp einlegt, und ich glaube, dass genau dieser Stopp ja dazu führt, dass Menschen wissen, es wird ganz genau geschaut, was dieser Impfstoff für Nebenwirkungen hat, und wenn es an der Zeit ist, wird hier auch eine Grenze gesetzt. Insofern glaube ich, gerade wenn wir jetzt anfangen, dieser Impfstoff soll ja auch jetzt in die Hausarztpraxen kommen und wird gar nicht mehr in den großen Impfzentren und Impfstellen langfristig verimpft …

"Wir sind jetzt alle eigentlich dabei, unser Impfsystem umzustellen"

Schmidt-Mattern: Genau das ist ein wichtiger Punkt, auf den ich zu sprechen kommen wollte. Nur noch in Hausarztpraxen, damit, wenn dann doch es schnell zu Nebenwirkungen kommt, gleich ein Arzt in der Nähe ist. Da höre ich heraus, dass Sie Ihrem eigenen Impfstoff eigentlich doch nicht mehr vertrauen.
Werner: Nee, nee! Das wollte ich auch nicht gesagt haben und habe ich auch nicht gemeint. Zum einen: Diese Nebenwirkung, von der wir sprechen, die tritt ja erst vier bis 16 Tage nach der Impfung auf.
Schmidt-Mattern: Aber warum dann die Regelung, dass das nur noch in Hausarztpraxen verimpft werden darf?
Werner: Das war von vornherein schon so. Wir sind ja gerade dabei, alle miteinander unser Impfsystem umzustellen. Das heißt, in den Impfstellen, in den Impfzentren wird bundesweit dann nur noch mit BioNTech und mit Moderna verimpft, und der Astrazeneca-Impfstoff und BioNTech soll in die Hausarztpraxen gehen. Das ist die Abstimmung, die schon vor einigen Wochen getroffen wurde, weil BioNTech eher schwer zu handhaben ist. Deswegen muss der noch in den Impfstellen mit verimpft werden. Aber die beiden anderen sollten in die Hausarztpraxen gehen, weil die so gut geeignet sind, dass tatsächlich auch ältere Menschen und Menschen, die nicht mobil sind, geimpft werden können. Das ist ein ganz normaler Plan, der jetzt nach Ostern ja getroffen wurde, dass die Hausarztpraxen dann im Regelsystem mit impfen können, und mit diesem einen Impfstoff. Das ist aber eine Absprache, die es schon vorher gegeben hat, und insofern sind wir jetzt alle eigentlich dabei, unser Impfsystem umzustellen. Bei uns ist es zum Beispiel so: Wir hatten tatsächlich gestern unsere Impfungen mit AstraZeneca abgeschlossen, unsere Erstimpfungen, und haben eigentlich nur noch Zweitimpftermine mit AstraZeneca, und da ist jetzt die Frage, wie wir das lösen in Thüringen.

"Es gibt kein Problem für all die Menschen, die über 60 sind"

Schmidt-Mattern: Wie wollen Sie es lösen? Ich wollte Sie ohnehin gerade danach fragen. Was ist eigentlich mit all denen, die die erste Impfung mit Astrazeneca schon bekommen haben und sich jetzt berechtigterweise Sorgen machen? Was können Sie den Menschen sagen?
Werner: Es gibt kein Problem für all die Menschen, die über 60 sind. Das sind bei uns knapp 37.000 Menschen, die jetzt auf die Zweitimpfung warten, und das wird ganz normal stattfinden wie jede andere Zweitimpfung auch und die Menschen haben auch den Termin.
Schmidt-Mattern: Frau Werner, noch mal die Frage bitte! Was ist mit den Menschen, vor allem mit den Frauen unter 60 Jahren, die schon mit Astrazeneca geimpft wurden und die sich jetzt nach der Meldungslage des gestrigen Tages berechtigterweise Sorgen machen müssen?
Werner: Zum einen geht es darum, wenn es Nebenwirkungen gibt. Man muss schauen, vier bis 16 Tage nach der Impfung, habe ich Kopfschmerzen, habe ich bestimmte Symptome wie Kurzatmigkeit, Unterleibsschmerzen und so weiter. Dann soll man sofort zum Arzt gehen. Das wird aber auch bei der Impfung den zu Impfenden erzählt. Es gibt ja die neue Anweisung, wie die Aufklärung in dem Bereich erfolgen soll. Das ist das eine, vier bis 16 Tage. Diese Spanne muss man aufpassen. Und wie gesagt, für Thüringen haben wir noch keine Nebenwirkungen. Uns ist es noch nicht bekannt geworden in Thüringen. Insofern gehe ich davon aus und hoffe ich natürlich auch sehr, dass hier jetzt nichts passiert.
Dann ist noch die Frage mit der Zweitimpfung. Da gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen nach ärztlichem Ermessen und wenn man schaut, wie die Risikofaktoren sind, kann man die Zweitimpfung auch ganz normal stattfinden lassen, zum Beispiel in der Hausarztpraxis oder mit einer Bescheinigung eines Hausarztes und dann in der Impfstelle. Andererseits arbeitet die Ständige Impfkommission gerade daran, dass für diejenigen, die das nicht möchten oder für die das auch nicht geeignet wäre, eine weitere Variante gefunden wird, mit einem anderen Impfstoff die Zweitimpfung vorzunehmen. Da laufen Studien in England beispielsweise, die jetzt auch noch mal beschleunigt werden, und dann wird es auch für die Menschen ein Angebot für die Zweitimpfung geben. Ansonsten kann man sagen, dass auch die Erstimpfung einen guten, einen wirksamen Schutz bietet, und gerade bei AstraZeneca ist es gut, wenn die Zweitimpfung möglichst spät stattfindet.

"Wir sind gewohnt, dass wir unsere Impfstrategie immer wieder anpassen müssen"

Schmidt-Mattern: Aber wenn ich Sie richtig verstehe nach allem, was Sie jetzt ausgeführt haben, dann ist klar, dass es erneut zu Verzögerungen kommen wird und dass damit der gesamte Impfplan ins Rutschen kommt. Auch das Angebot oder die Zusage, man wolle jedem und jeder bis zum Ende des Sommers ein Impfangebot machen, das rückt ja jetzt einmal mehr in weite Ferne.
Werner: Na ja, in weite Ferne würde ich nicht sagen. Wir wissen ja, dass es demnächst sehr viele Impfstoffe beispielsweise von BioNTech geben soll. Es wird an anderen Zulassungen gearbeitet. Es gibt auch die Diskussion um den Sputnik-Impfstoff, der ja auch, wenn er entsprechend zugelassen ist, mit genutzt werden soll. Insofern glaube ich nicht in weite Ferne. Wir sind gewohnt, dass wir unsere Impfstrategie immer wieder anpassen müssen. Das wird in diesem Fall auch wieder der Fall sein. Aber ich gehe davon aus und meines Erachtens hat das gestern auch die Kanzlerin im Interview gesagt, dass bis zum Sommer tatsächlich jedem ein Impfangebot unterbreitet werden kann. Mit dieser Hoffnung und mit dieser Zusicherung werden wir auch unsere Impfkampagnen weiter planen.
Schmidt-Mattern: Stellt sich aber noch die Frage, wenn es mit dem Impfen nicht so schnell vorangeht, jetzt durch die neuen Astrazeneca-Meldungen, warum beispielsweise Thüringen neben anderen Bundesländern auch nicht an jedem Feiertag jetzt über die Ostertage die Zeit nutzt, Impfungen vorzunehmen, sondern, wie ich gelesen habe, werden Sie zwei der Feiertage aussetzen. Wie können Sie sich das zeitlich leisten?
Werner: Das hat tatsächlich mit der Verfügbarkeit von Impfstoff zu tun. Wir haben zum einen Astrazeneca-Impfstoff, der jetzt noch bei uns geordert ist, der aber für die Zweitimpfung vorgesehen ist. Den müssen wir auch jetzt aufheben für die Zweitimpfung, weil wir dafür keine weiteren Lieferungen bekommen. Die anderen Impfstoffe sind mit Terminen unterlegt. Die Termine sind alle vergeben. Insofern macht es keinen Sinn, dann zwei Tage ohne Impfstoffe ein Impfzentrum zu öffnen.
Schmidt-Mattern: Frau Werner, es kommt im Moment, sagen die Virologen, auf jeden Tag an. Da verstehe ich nicht, warum Thüringen entscheidet, am Karfreitag und am Ostermontag zu impfen, nicht aber am Ostersamstag und am Ostersonntag. Wenn Ostermontag noch genug Stoff da ist, dann kann man den doch auch schon Ostersamstag verimpfen.
Werner: Das ist eine Frage der Organisation an der Stelle, wie man das in das Impfmanagement einbaut.

"Wir impfen alles, was hier ankommt"

Schmidt-Mattern: Das heißt, Sie sind da nicht so gut organisiert?
Werner: Doch, wir sind sehr gut organisiert. Aber es sind dann zwei Tage, die an den Stellen auch mal eine Impfstelle geschlossen ist. Wenn wir jetzt um zwei Tage streiten, okay, dann kann ich da nichts zurückgeben, aber ich glaube, wir sind, was die Auslastung der Impfstoffe angeht, in Thüringen an erster Stelle. Wir impfen alles, was hier ankommt. In dem Fall ist es auch mal wichtig und notwendig. Ob wir jetzt am Sonnabend und Sonntag oder am Montag und Dienstag nicht impfen, ist meines Erachtens an dieser Stelle nicht entscheidend, sondern dass wir unsere Impfstoffe verimpfen, dass die Menschen eine gute Organisation haben, dass sie ihre Termine gut wahrnehmen können. Das nehme ich hier in Thüringen so wahr und wird uns auch von denen, die es genutzt haben, gespiegelt. Das ist, glaube ich, das Wichtigste an der Stelle.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.