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Nach den Parlamentswahlen
"Die Schweden dürfen ein Europa erwarten, das ihnen hilft"

Dass die rechtsextremen Schwedendemokraten bei der Wahl in Schweden "nur" drittstärkste Kraft geworden sind, wertet SPD-Europapolitiker Udo Bullmann als "gutes Signal". Allerdings brauche es angesichts der Zunahme von Rechtspopulismus in Europa eine europäische Lösung in der Migrationspolitik, sagte er im Dlf.

Udo Bullmann im Gespräch mit Sandra Schulz | 10.09.2018
    Udo Bullmann (SPD) an einem Rednerpult der SPD. Er hat Blumen in der Hand.
    Udo Bullmann (SPD) (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Sandra Schulz: Mit viel Spannung waren diese Wahlen in Schweden ja erwartet worden. Nach starken Umfragewerten für die rechtsgerichteten Schwedendemokraten, da fragten viele, ob jetzt das Ende von Toleranz und sozialem Konsens in Schweden angesagt sei. Jetzt landen die Schwedendemokraten auf Platz drei, sind aber trotzdem die einzigen mit so deutlichen Stimmengewinnen. Mit leichten Verlusten werden die Sozialdemokraten stärkste Kraft. Ich konnte darüber vorhin mit Udo Bullmann sprechen von der SPD, dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. Als erstes habe ich ihn gefragt, welches Signal die Wählerinnen und Wähler in Schweden jetzt nach Europa gesendet haben mit diesem Wahlergebnis.
    Udo Bullmann: Zunächst muss man mal sagen, die Sozialdemokraten haben diese Wahl klar gewonnen. Im Juli sah es noch ganz anders aus. Da wurde geunkt und befürchtet, die rechtspopulistischen rechtsradikalen Schwedendemokraten könnten gleichauf sein mit Stefan Löfven, mit dem Ministerpräsidenten. Das ist nicht der Fall. Die Sozialdemokraten liegen klar vorne, haben die Wahl für sich dennoch entscheiden können, obwohl dieser Wahlkampf durch die Schwedendemokraten sehr antieuropäisch und ausländerfeindlich geprägt war, und das ist erst mal gut so.
    Rechtspopulismus in der EU nimmt zu
    Schulz: Herr Bullmann, wir wissen, wie das ist nach Wahlen. Sie sagen, die Sozialdemokraten haben gewonnen. Aber wir halten fest: Gewinner auch mit deutlichen Verlusten.
    Bullmann: Ja, das ist richtig. Es hat Verluste gegeben, bei den Konservativen noch stärkere. Aber dass man mehr als zehn Prozent vorne liegt, vor denen, die auf Europa versucht haben, ihren Angriff zu starten, und dass die Rechtsradikalen nur Dritte geworden sind, ist ein gutes Signal.
    Schulz: Die Zäsur, von der zum Beispiel der Staatsminister im Auswärtigen Amt Roth spricht, die sehen Sie nicht?
    Bullmann: Es gibt auf jeden Fall insofern eine andere Lage in Europa, als dass wir feststellen dürfen, dass der Rechtspopulismus zunimmt und dass wir uns schärfer auseinandersetzen müssen mit denen, die fremdenfeindliche Parolen dreschen, und mit denen, die versuchen, Menschen auf ihre Leimspur zu führen. Das gilt insbesondere für die konservativen Parteien, die allzu oft nicht klar sind in dieser Frage. Ich glaube, dass diese Debatte ein bisschen verwirrt auch dadurch, dass die Mitte-Rechts-Parteien, CDU/CSU-Familie, Europäische Volkspartei, allzu oft im Kuschelkurs sich befinden mit den Rechtsradikalen. Schauen Sie nach Österreich, wo Kurz als Kanzler kandidiert mit der rechtsradikalen FPÖ; schauen Sie nach Ungarn, wo ein Mitglied der Familie der Europäischen Volkspartei die europäischen Werte mit Füßen tritt. Da fehlt Klarheit und Löfven hat dagegengestanden, und das war richtig.
    Mehr europäische Unterstützung für Schweden
    Schulz: Herr Bullmann, das besprechen wir natürlich alles auch mit den Vertretern der konservativen Parteien. Aber weil wir ja jetzt mit Ihnen im Gespräch sind, mit einem Sozialdemokraten, sagen Sie uns doch noch genauer, was Sie damit meinen, die würden versuchen, die Rechtspopulisten, die Menschen auf ihre Spur zu bringen. Es hat ja nun fast jeder fünfte Schwede dort das Kreuzchen gemacht.
    Bullmann: Wir stellen das mal in den Kontext der letzten Jahre. Schweden ist ein Land, was sehr viel getan hat für Flüchtlinge, was sehr viel getan hat, um ein weltoffenes Land zu bleiben. Andere haben das nicht gemacht. Wir brauchen dringend europäische Lösungen, damit nicht einzelne Länder wie Schweden diejenigen sind, die auch den Preis zahlen für ein modernes Europa. Wir sehen auch in Schweden, dass die Einkommen stagnieren, dass viele Menschen sich an den Rand gedrängt fühlen, dass sie nicht mehr mitkommen mit dem technologischen Wandel, dass sie sich alleine gelassen fühlen. Sie sind Proeuropäer immer gewesen, aber sie dürfen auch ein Europa erwarten, was ihnen hilft, was konkret den Menschen zur Seite steht, ihren Alltag zu bewältigen und eine gute Zukunft zu bauen, mit guten Jobs und mit guten Einkommen. Daran hat es gemangelt in den letzten 10 bis 15 Jahren und daran müssen wir arbeiten. Ich glaube nicht, dass wir so weitermachen können. Insofern ist der Begriff der Zäsur einer, der sich auf die Europäische Union richten sollte und nicht alleine auf das Land Schweden.
    Schulz: Sie haben es gesagt: Schweden hat sich recht offen gezeigt in der Flüchtlingsfrage, ist auch das Land, das im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die meisten Flüchtlinge genommen hat 2015. Den Zusammenhang zwischen dem Wahlergebnis heute und dieser liberalen Haltung, den sehen Sie nicht?
    Bullmann: Stefan Löfven hat die Wahl entschieden für sich in den letzten Monaten mit zwei klaren Aussagen. Zum einen hat er allen anderen widersprochen, die gemeint haben, man müsse ein Referendum durchführen über die Zugehörigkeit zur Europäischen Union. Er hat sich klar bekannt zur Notwendigkeit und zur Wichtigkeit des europäischen Integrationsprozesses. Und er hat auch angekündigt, den Sozialstaat weiter auszubauen. Die klare Ansage, gerade für Familien mehr zu tun und auch mehr Möglichkeiten zu ermöglichen, dass man zwischen Beruf und der Familienzeit durch mehr Urlaub, bessere Urlaubsgestaltung ein anständigeres Balance-Verhältnis schaffen kann, hat ihm geholfen. Dieser Zusammenhang zwischen moderner Sozialpolitik und Ja zu Europa ist die Antwort darauf.
    "Ein Appell an die europäische Solidarität"
    Schulz: Was Sie jetzt noch nicht sagen ist, dass Stefan Löfven auch einen recht harschen Kurs zuletzt gefahren hat in der Flüchtlingspolitik. Hat er da vielleicht früher als andere Sozialdemokraten in Europa die Lehren schon gezogen?
    Bullmann: Die Lehren gezogen, ist mir zu schnell. Stefan Löfven war unter Druck, weil Schweden in der Tat ein Vorreiter war, und Vorreiter kann man nur auf Zeit sein, wenn andere Helfen. Das ist insofern auch ein Appell an die europäische Solidarität, die leider bis heute verweigert wird. Ich weiß aus persönlichen Gesprächen mit Stefan Löfven, dass er sehr großes Interesse daran hat, dass die Europäer beieinander bleiben und eine moderne Migrations- und Integrationspolitik machen. Ihm muss man helfen wie auch den anderen, die weiter eine anständige Migrationspolitik, eine vernünftige Integrationspolitik machen. Schauen Sie nach Italien. Italien hat viele Jahre die Lasten getragen und ist alleine gelassen worden. Heute sehen wir, der Rechtsradikalismus, der dort platzgreift, ist der Preis, wenn man Länder alleine lässt.
    Schulz: Sie haben gerade das Problem in dieser Flüchtlingsdiskussion, dass jeder der Akteure für sich proklamiert, er mache die vernünftige. Das sagen die Polen und die Ungarn ja auch und die neue italienische Regierung jetzt auch. Da sind wir jetzt mitten drin bei dem Thema, das Sie eben auch schon angeschnitten haben, dass in den vergangenen Jahren rechtspopulistische Parteien, rechtsgerichtete Parteien ganz deutlich an Einfluss gewonnen haben. Sie haben uns gerade schon gesagt, welche Probleme Sie da bei den Konservativen sehen. Aber warum haben denn die Sozialdemokraten in Europa auch so wenig entgegenzusetzen?
    Bullmann: Weil Sie Migrationspolitik nur noch gemeinsam können. Das können Sie am Ende des Tages nicht mehr alleine. Schauen Sie nach Ungarn. Herr Orbán hat eine extrem fremdenfeindliche Politik gemacht und sichert seine Macht intern. Da gibt es gar keine Migranten. Das ist eine Schimäre. Er hetzt gegen Ausländer, um über andere Probleme, wirtschaftliche Probleme, soziale Probleme in seinem Land hinwegzuschauen und hinwegzutäuschen. Das sind alles Tricks, die wir aus unserer Geschichte kennen. Wir müssen davor warnen. Sozialdemokraten haben das versucht. Die italienische Regierung hat versucht und war Ankerpunkt für viele Aktionen im Mittelmeer, Flüchtlingsleben zu retten. Vielfach hat man sie alleine gelassen. In der Tat: Mare Nostrum war seinerzeit eine große Aktion der sozialdemokratischen italienischen Regierung, eine moderne Flüchtlingspolitik, eine humane Flüchtlingspolitik zu machen. Als die Italiener sie nicht mehr haben finanzieren können, blieben sie alleine, und das darf nicht so sein. Flüchtlingspolitik, Migrationspolitik ist eine gemeinsame europäische Angelegenheit. Wir brauchen auch eine legale Zuwanderung, angesichts der Alterung in unseren Gesellschaften, und wir brauchen klare Regeln. Die können nur gemeinschaftlich geschaffen und gemeinschaftlich durchgesetzt werden.
    "Es geht nicht, dass wir Parallelgesellschaften haben"
    Schulz: Aber ich verstehe Sie schon richtig mit Ihrem Hinweis auf Italien, wie aber auch der Verweis jetzt auf Schweden, auf das starke Abschneiden der rechtsgerichteten Schwedendemokraten dort, dass auch die Sozialdemokraten jetzt verstanden haben, dass die Toleranz, die Sie ja immer wieder beschwören, irgendwo auch endet.
    Bullmann: Wir reden nicht über abstrakte Begriffe. Wir reden darüber, wenn Menschen zu uns kommen, dass wir sie integrieren müssen in unsere Gesellschaften. Es geht nicht, dass wir Parallelgesellschaften haben. Es geht nicht, dass wir parallele Welten aufbauen. Wir sind eine Gesellschaft und dort gibt es Rechte und Pflichten, und Sozialdemokraten treten natürlich ein für eine vernünftige Balance zwischen Rechten und Pflichten und wollen jedem eine Chance geben, der sich bei uns am gesellschaftlichen Leben beteiligen will und auch sich einbringen will, und das tun auch viele Tausende von Menschen bei uns in unserem Land. Daran ist überhaupt kein Zweifel.
    Hetze hilft niemandem. Dass man entlang der Herkunft, entlang der Hautfarbe Menschen gegeneinander aufhetzt, dass es putschartige Situationen gibt wie jetzt in Chemnitz, das vergiftet das Klima in unserer Gesellschaft, und das dürfen wir nicht zulassen.
    Schulz: Udo Bullmann (SPD), Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke dafür!
    Bullmann: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.