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Nach den Wahlen in Israel
"Es wird einen Rechtsruck geben"

Der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem, Michael Borchard, rechnet nach Benjamin Netanjahus Wahlsieg mit einem Rechtsruck in Israel. Dessen jüngste Ablehnung eines Palästinenserstaates reflektiere das schwindende Vertrauen der Bevölkerung in eine Zwei-Staaten-Lösung.

Michael Borchard im Gespräch mit Christiane Kaess | 18.03.2015
    Israels Premier Benjamin Netanjahu in Anzug und Kippa berührt mit der Handfläche die Klagemauer in der Altstadt von Jerusalem.
    Israels Premier Benjamin Netanjahu kommt einen Tag nach der Parlamentswahl an die Klagemauer in der Altstadt von Jerusalem, um zu beten. (picture alliance / dpa / Abir Sultan)
    Christiane Kaess: Herr Borchard, Benjamin Netanjahu wird wohl auch wieder der neue Ministerpräsident. Bleibt also alles beim Alten?
    Borchard: Ob alles beim Alten bleibt, das werden wir sehen. Aber interessant ist, dass er es geschafft hat, mit seiner Strategie zu reüssieren.
    Kaess: Warum hat er das geschafft?
    Borchard: Anders als in Deutschland, wo die Wechselwähler in der Mitte den Ausschlag geben, sind in Israel Mobilisierungswahlkämpfe erfolgreich. Das heißt: Wer es schafft, das eigene Spektrum deutlich besser an die Wahlurnen zu bekommen, der gewinnt. Netanjahu hat mit seinem Rechtsruck, der ja auch in den Tagen, man muss schon sagen in den Stunden vor der Wahl noch mal deutlich geworden ist, zum Teil mit grenzwertigen Äußerungen gegenüber den palästinensischen Israelis, voll auf die Sicherheitskarte gesetzt und er hat mit dieser Strategie deutlich gewonnen.
    Kaess: Würden Sie sagen, er hat mit Angst mobilisiert?
    Borchard: Letztlich hat er natürlich mit diesem Sicherheitsthema mobilisiert. Ob man das Angst nennen kann? Aus der hiesigen Perspektive stellt sich das schon etwas anders dar. Der sogenannte Arabische Frühling ist hier ganz anders wahrgenommen worden. Man sieht das Zerfallen der Nachbarländer: Syrien, man sieht, dass der Libanon nicht stabil ist, man sieht die Al-Nusra-Front, man sieht den Islamischen Staat, man sieht immanente Bedrohung auch nach wie vor durch die Hamas. Und dann wünschen sich die Israelis, viele Israelis eine starke Führungspersönlichkeit mit Erfahrung im Sicherheitsbereich an der Spitze des Landes. Und in dieser Hinsicht hat offenbar aus der Bevölkerungsperspektive der Listenvorsitzende der Zionistischen Union die Bevölkerung nicht wirklich überzeugt.
    Königsmacher Mosche Kachlon
    Kaess: Obwohl, Herr Borchard, offenbar bis zum Schluss sehr viele Wähler noch unentschlossen waren.
    Borchard: Das ist das Interessante. Ich habe ja gerade gesagt, wir haben einen Mobilisierungswahlkampf gehabt. Das eigene Lager ist stark mobilisiert worden. Aber es ist ja nicht so - das, glaube ich, muss man auch noch mal sagen -, dass das "Zionist Camp" krachend verloren hat. Sondern sie haben letztlich ein respektables Ergebnis eingefahren. Deswegen glaube ich, wir werden nicht nur in Zukunft rechte Politik erleben, sondern vielleicht werden wir auch ein klein wenig mehr linke Politik erleben. Denn ich glaube, man kann die sozialpolitischen Probleme in der neuen Legislaturperiode nicht mehr einfach verdrängen. Da wird Netanjahu im Übrigen nicht nur durch die Opposition getrieben, sondern letztlich auch durch seinen Königsmacher, nämlich durch Mosche Kachlon. Der hat noch am Wahltag gesagt, er heiratet politisch nur denjenigen, der eine klare sozio-ökonomische Agenda vorweisen kann (und ihn zum Finanzminister macht). Netanjahu hat in seiner Ansprache gestern Abend schon deutlich gemacht, dass er diesen Brautpreis oder diese Morgengabe gerne zahlen wird.
    Kaess: Aber das ist jetzt genau die Frage: Wie könnte eine neue Koalition aussehen? Wenn ich Sie richtig verstehe, heißt es nicht zwangsläufig, dass der Einfluss der ultrakonservativen Kräfte jetzt stärker werden muss?
    Borchard: Ich glaube schon, dass es einen Rechtsruck geben wird, denn man muss natürlich sehen, man darf sich nichts vormachen: Wenn man den Vergleich zieht mit der letzten Regierung: In der letzten Regierung gab es mit den Parteien von Yair Lapid und Tzipi Livni, also mit Yash Atid und HaTnuah, deutliche moderierende Faktoren aus der politischen Mitte fast schon in das linke Spektrum hinein. Wenn jetzt Mosche Kachlon den Königsmacher darstellt, dann fehlt dieser moderierende Faktor, denn Mosche Kachlon hat vielleicht so etwas wie eine sozialpolitische Agenda, ist aber ansonsten ja kein Unbekannter. Er stammt aus dem Likud und ist, was die sicherheitspolitischen Fragen angeht, vollständig auf der rechten Seite.
    Negative Auswirkungen auf den Friedensprozess
    Kaess: Und Rechtsruck würde auch bedeuten, schlechte Aussichten auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses mit den Palästinensern.
    Borchard: Die Angriffe auf die palästinensischen Wähler in Israel gestern und die klare Ansage von Netanjahu, dass es keinen Palästinenserstaat geben wird: Ich glaube, diese Aussage kann man ohne massiven Vertrauensverlust im eigenen Lager nicht einfach wieder umdrehen, auch wenn natürlich in Israel man den schönen deutschen Spruch kennt, nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird. Und es gibt auch noch den Druck der internationalen Gemeinschaft. Trotzdem wird das massive Auswirkungen, negative Auswirkungen auf den Friedensprozess haben.
    Kaess: Diese Aussage von Netanjahu - kein Palästinenserstaat - und jetzt dieses Votum für ihn, kann man daraus ableiten, dass auch tatsächlich die israelischen Wähler keinen Palästinenserstaat haben wollen?
    Borchard: Wir sind da demoskopisch schon eine ganze Weile unterwegs als Adenauer-Stiftung. Wir haben eigentlich jeden Winter immer wieder gemessen, wie ist eigentlich die Zustimmung zur Zwei-Staaten-Lösung. Leider Gottes reflektiert das auch ein klein wenig die Meinung und die Auffassung der Bevölkerung. Wir haben in den letzten Jahren eigentlich immer noch eine deutliche Mehrheit gemessen von Menschen, die bereit sind, die Zwei-Staaten-Lösung zu unterstützen. Jetzt bei der letzten Umfrage, die wir im Dezember des vergangenen Jahres gemacht haben, also noch nicht so schrecklich lange her, waren das nur noch 50 Prozent, die bereit sind, die Zwei-Staaten-Lösung zu unterstützen.
    Kaess: Haben Sie eine Erklärung dafür?
    Borchard: Ich glaube, das ist viel an Desillusionierung. Das ist viel an natürlich Bedrohungsgefühl, was man hat. Ich habe das Bedrohungsszenario ja gerade schon aufgezeigt. Die Enttäuschung, dass der Friedensprozess nicht wirklich vorangekommen ist. Enttäuschung natürlich auch an der einen oder anderen Stelle über das Agieren auf der palästinensischen Seite. Es gibt kein wirkliches Vertrauen in diese Zwei-Staaten-Lösung.
    Drei arabische Parteien sind wie eine kleine Knesset
    Kaess: Das arabische Parteienbündnis ist ja bei dieser Parlamentswahl mit 14 Mandaten drittstärkste Kraft geworden. Welchen Einfluss kann dieses Bündnis haben?
    Borchard: Zunächst mal ist das natürlich schon eine schöne Ironie, dass der Versuch von Avigdor Lieberman, mit der 3,25-Prozent-Hürde die arabischen Kleinparteien aus dem Parlament zu werfen, nicht funktioniert hat und diese Parteien sich zusammengetan haben. Man muss aber eines natürlich sehen: Hier haben sich drei Parteien zusammengetan, die in sich so etwas sind wie eine kleine Knesset. Sie sind sehr polarisiert: Wir haben eine nationalistische, wenn man so will eine islamistische und eine kommunistische Partei, die sich da vereinigt haben. Das wäre in Deutschland ungefähr so, als ob CDU, Linkspartei und FDP sich zu einer Liste zusammenschließen würden. Und da steckt, glaube ich, auch die Absturzgefahr, denn die große Frage ist: Wie lange wird die Einigkeit nach der Wahl bleiben? Wird diese Partei zusammen bleiben? Wird der Erfolg zusammenschweißen, oder werden die Fliehkräfte am Ende doch größer sein?
    Kaess: Herr Borchard, noch kurz zum Schluss. Der Wahlkampf war ja eigentlich bestimmt von wirtschaftlichen Themen, ganz besonders die hohen Lebenshaltungskosten. Was kann eine neue Regierung daran tatsächlich ändern?
    Borchard: Vor allem muss eine neue Regierung tatsächlich daran etwas ändern. Die hohen Lebenshaltungskosten entstehen nicht durch eine hohe Inflation. Die ist in Israel nicht höher als im europäischen Durchschnitt, auch nicht höher als in Deutschland. Sondern im Grunde haben wir den klassischen anderen Faktor, der zu Preiserhöhungen führt: Wir haben so etwas wie Kartellbildung und diese Kartellbildung gibt es insbesondere auch im Molkereibereich. Da sind die Lebenshaltungskosten besonders hoch. Da muss man aber wissen, dass das eine Basis der Ernährung der israelischen Bevölkerung darstellt. Und die Wohnungskosten sind außerordentlich hoch. Wer diese beiden Themen nicht behandelt, wird auch langfristig die Unterstützung der Bevölkerung verlieren. Deswegen kann man das nicht an der Seite lassen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.