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Nach Fabrikeinsturz in Bangladesch
Kaum Entschädigung für die Opfer

Knapp ein Jahr nach dem verheerenden Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch mit Hunderten Toten will der Textildiscounter Kik eine Million Dollar für die Opfer zur Verfügung stellen. Die Not unter den Angehörigen der Opfer ist aber viel größer.

Von Michael Castritius | 03.04.2014
    Ein Frauenchor aus Trauer und Wut.
    Auch ein Jahr nach dem Einsturz des achtstöckigen Gebäudes ist der übrig gebliebene Schutthaufen ein Pilgerort.
    Eine meterhohe Wellblechwand trennt die achtspurige Hauptverkehrsstraße von dem Gelände. Davor ein improvisiertes Arbeiterinnen-Denkmal, auf das jemand einen Unterkieferknochen mit Backenzähnen gelegt hat. In Deutschland identifiziert ihn ein Anatom, anhand der Fotos, eindeutig als menschliches Gebissteil.
    “Da drin werden immer wieder Knochen gefunden, aber gar nicht mehr untersucht: die Polizei behauptet einfach, es seien Tier-Knochen.“
    Die Identifizierung der Toten ist entscheidend für Entschädigungsansprüche, menschliche Überreste sind somit wertvoll. Aber nicht nur in finanzieller Hinsicht, verdeutlicht Ayesha, die ihre 18-jährige Schwester verloren hat.
    "Ein Jahr ist sie tot, und ich konnte mir noch immer keine Bestattungs-Zeremonie für ihren Seelen-Frieden leisten. Ich fühle mich so schuldig."
    Ohne Entschädigung kann sie die muslimische Trauerfeier nicht bezahlen. Gebete müssten sie kaufen, Arme verköstigen. Für Ayesha hat sich die Seele ihrer Schwester zwar vom Körper gelöst – erlöst ist sie aber noch nicht.
    Laut der Konvention 121 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO stehen den Familien der Todesopfer 5000 Euro zu, erhalten hat Ayesha aber noch keinen Cent.
    Dabei hat die ILO längst einen entsprechenden Fonds aufgelegt, für den 30 Millionen Euro benötigt werden. Fünf Millionen sind erst eingegangen, aus Deutschland nur von C&A sowie jetzt von KiK jeweils 350.000 Euro. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller nennt das - ein Jahr nach der Katastrophe - schlicht einen Skandal.
    Der Verbraucher könnte mehr Druck machen
    Für die Gewerkschafterin Kalpona Akter sind die internationalen Modefirmen allerdings nicht das Hauptproblem. Die hätten auf Druck der Verbraucher schon reagiert, sie drängen auf höhere Standards der Gebäude-Sicherheit, setzen häufigere Inspektionen durch.
    Und H&M etwa forderte eine Verdoppelung des Mindestlohnes. Tatsächlich heraufgesetzt wurde er Ende letzten Jahres aber nur von 30 auf ca. 50 Euro - im Monat. Kalpona Akter sieht keine grundsätzlichen Veränderungen nach diesem größten Industrieunglück in der Geschichte von Bangladesch, aber doch kleine Schritte.
    "Wir kontrollieren jetzt die Produktionsstätten. Die Arbeiter werden gehört, das gab es vorher nicht. Aber von Seiten der Regierung und der lokalen Fabrikbesitzer? Nein, da ist nichts passiert. Wenn, dann kommt das von den Markenfirmen."
    Deshalb richtet die Gewerkschafterin einen deutlichen Appell an die Verbraucher, auch in Deutschland:
    "Boykott, das ist nicht die Lösung. Wir brauchen die Jobs. Es geht um vier Millionen Arbeitsplätze in Bangladesch, an über 85 Prozent davon arbeiten Frauen. Junge Frauen. Aber wir wollen würdevolle Arbeit. Und diese Würde können wir nur über den Druck der Verbraucher erreichen, die haben Kauf-Macht. Die müssen sagen: Arbeiterinnen, die unsere Kleidung herstellen, sollen gut behandelt und angemessen entlohnt werden. Sie haben einen ungefährlichen Arbeitsplatz verdient, dürfen nicht zu Hunderten sterben, wenn sie unsere T-Shirts nähen.“
    Und ob wir Billig-Kleidung oder teuere Markenklamotten kauften, das mache keinen Unterschied: Sie werden in Bangladesch unter denselben Bedingungen genäht. Aber wenn wir bereit wären, nur ein paar Cent pro Kleidungsstück zu bezahlen - das könne den entscheidenden Unterschied machen.