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Nach Prokon-Insolvenz
"Finger weg von solchen Anlagen"

Nach der Prokon-Insolvenz bangen erneut Zehntausende Anleger um ihr Geld. Der Gesetzgeber müsse endlich diesen "Grauen Kapitalmarkt" regulieren, fordert Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz im DLF. Zudem müssten die Unternehmen eindeutig über die Risiken ihrer Anlageprodukte informieren.

Klaus Nieding im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 23.01.2014
    Tobias Armbrüster: Für mehr als 70.000 Anleger schien das ganze ein gutes Geschäft: Genussscheine beim Windanlagen-Hersteller Prokon. Ökologisch ein gutes Gewissen und trotzdem stolze Renditeversprechen. Bis zu acht Prozent wollte das Unternehmen ausschütten. Aber es war eben wirklich nur ein Versprechen. Seit gestern ist Prokon offiziell insolvent. Tausende, Zehntausende von Sparern bangen jetzt um ihr Geld.
    Mitgehört hat Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Schönen guten Tag!
    Klaus Nieding: Ich grüße Sie. Hallo!
    Armbrüster: Herr Nieding, haben sich die Anleger bei Prokon hier einfach verzockt?
    Nieding: Na ja, verzockt, das sagt sich immer so leicht. Wir müssen natürlich auch mal sehen: Wie sind diese Genussscheine vertrieben worden. Es wurden ja regelrecht auf dem öffentlichen Marktplatz diese Scheine unters Volk gebracht. Es wurde in U-Bahnen plakatiert, es wurden Busse beklebt. Das heißt, wir haben hier eine Vertriebsmethode gehabt, die wir so am Kapitalmarkt in dieser Ausprägung jedenfalls noch nicht gesehen haben.
    Und im übrigen ist Prokon ähnlich wie andere auch, Stichwort Solar Millennium, Windreich, um nur mal zwei andere zu nennen, mit dem Thema erneuerbare Energien unterwegs gewesen, hat mit dem Thema Energiewende hier natürlich auch den Anlegern ordentlich Sand in die Augen gestreut und konnte dann auch sagen, da kommen auch die acht Prozent Rendite her, die wir ausschütten können, denn der Staat subventioniert das ja bekanntlich.
    Armbrüster: Aber muss da nicht trotzdem bei einigen Leuten ein Fragezeichen aufleuchten, wenn man hört, acht Prozent, und man guckt einfach mal, was kriege ich sonst bei Anlagen?
    Nieding: Klar ist natürlich: Je höher die Verzinsung, desto höher auch das Risiko, und das sollte sich natürlich auch bis zum "normalen Kleinanleger" herumgesprochen haben. Und klar ist auch: Prokon wäre ja auch zu einer Bank gegangen, wenn man eine Bankfinanzierung bekommen hätte, und Bankfinanzierungen liegen augenblicklich unter diesen acht Prozent. Das zeigt schon, dass Prokon offensichtlich Schwierigkeiten hatte, Bankfinanzierungen zu bekommen.
    Aber ich sage es noch mal: Mit dem Thema Energiewende, mit dem Thema erneuerbare Energien, gutes Gewissen, Investments in grüne Anlagen, mit diesem Thema gehen eben auch viele Bauernfänger in dieser Republik um die Ecken und sind in der Lage, den Opfern Sand in die Augen zu streuen, und ich denke, das war hier auch ein ganz klares Zugpferd für die Kapitalanlage-Entscheidung.
    Klares Zulassungsverfahren für Anbieter
    Armbrüster: Müssen wir dann deutsche Sparer vor solchem aggressiven Finanz-Marketing und vor solchen Geschäften schützen?
    Nieding: Klare Antwort: Ja! Wir fordern seit 10 bis 15 Jahren, dass der Gesetzgeber endlich diesen sogenannten "Grauen Kapitalmarkt", grau als Mischfarbe zwischen schwarz und weiß, diesen eher unregulierten Kapitalmarkt endlich durchreguliert. Ich fordere ein klares Zulassungsverfahren für die Anbieter. Ich fordere eine Gesellschafter-Kontrolle, damit man weiß, wer sind die eigentlichen Hintermänner von solchen Anlage-Vehikeln. Wir fordern klare Zulassungsverfahren für die einzelnen Kapitalanlage-Formen, für die einzelnen Produkte, und wir fordern natürlich auch eine klare Unteraufsichtstellung.
    Es kann nicht sein, dass Gewerbeaufsichtsämter zuständig sind für komplizierte Finanzprodukte, bei allem Respekt vor den Gewerbeaufsichtsämtern. Aber wer normalerweise die Gaststätte um die Ecke kontrolliert, der kann das aus meiner Sicht nicht richtig beaufsichtigen. Hier ist die Bafin gefordert.
    Armbrüster: Wie viele von solchen Geschäften, von solchen Versuchen, Geld für Genussscheine anzulocken, gibt es denn in Deutschland? Haben Sie da eine Zahl?
    Nieding: Ich kann Ihnen mal eine Zahl nennen. Meine Kanzlei führt im Jahr eine vierstellige Anzahl von Neuprozessen für geschädigte Kapitalanleger im grauen Kapitalmarkt. Das alleine zeigt schon, was da los ist. Es gibt eine Studie des Bundeskriminalamtes, zusammen mit der Universität Bamberg, wo man mal ermittelt hat, dass im Jahr etwa 20 bis 30 Milliarden Euro am "Grauen Kapitalmarkt" versickern, verloren gehen.
    Armbrüster: Würden Sie denn sagen, für Leute, die eher risikobewusst denken, von solchen Genussscheinen lasst ihr lieber eure Finger?
    Nieding: Ganz klar ist: Kein Produkt, kein Kapitalanlage-Produkt kaufen, was man nicht kennt, was man nicht versteht. Da lässt man die Finger von. Und völlig richtig, was Sie sagen: Das sind alles risikoreiche Anlagen. Gerade im Bereich der erneuerbaren Energien erleben wir im Augenblick einen neuen Markt II, um es mal so auszudrücken, mit allen negativen Folgen, die wir auch am neuen Markt gesehen haben. Da sind die Glücksritter wieder unterwegs. Die haben sich dann nur erneuerbare Energien auf den Kittel geschrieben und sammeln hier Geld ein. Mittelstandsanleihen ist das eine Thema, Genussscheine das andere Thema. Finger weg von solchen Anlagen für den normalen Anleger, der sie nicht durchschaut.
    Armbrüster: Warum hat denn hier die Regierung, warum hat hier der Staat nicht schon längst eingegriffen?
    Nieding: Gute Frage. Ich meine, ich bin ja öfters auch als Sachverständiger im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages. Wenn Sie da sehen, dass zum Teil Finanzmarktgesetze von Anwaltskanzleien entworfen und vorgeschrieben werden, die für die Anbieterseite tätig sind, dann, glaube ich, brauchen wir diese Frage nicht weiter zu erörtern. Hier ist der Lobbyismus der betroffenen Anbieter, der Verbände so gut in der Politik mittlerweile. Die Anlegerseite ist schlechter verdrahtet und das führt zu diesen Verhältnissen, und das führt dazu, dass wir hier 10 bis 15 Jahre verpennt haben schlicht und ergreifend.
    Armbrüster: Jetzt kann ich mir aber auch vorstellen, Herr Nieding, dass viele Leute, die das jetzt hören, sagen, das ist doch eigentlich klar, das ist doch eigentlich der Kern einer Marktwirtschaft, dass Sparer ihr Geld auch in riskante Unternehmen reinstecken können, und dann gibt es bei Erfolg eben auch ordentlich Rendite, und wenn der Erfolg nicht reinkommt, dann gibt es möglicherweise Verluste. Das sollte doch eigentlich jedem klar sein.
    Nieding: Ja, da habe ich auch kein Problem mit. Wenn das so offen und klar kommuniziert wird, habe ich da kein Problem mit. Das war im Fall Prokon aber nicht der Fall.
    Anlegern wird Sand in die Augen gestreut
    Armbrüster: Warum nicht?
    Nieding: Na ja, schauen Sie sich die Prospekte an, schauen Sie sich die Werbeaussagen an, schauen Sie sich die Aufkleber in den U-Bahnen an. Da wird von grüner Energie, da wird von erneuerbarer Energie, da wird von Energiewende geschwafelt. Da heißt es, Subventionierungen des Staates. Sie brauchen sich das ja nur durchzulesen. Das ist aus meiner Sicht eine klare Sache. Wenn mir jemand sagt, du hast das Risiko X und das kann sich dann und dann erfüllen, dann gehe ich das bewusst ein. Wenn aber dieses Risiko verschönt wird, wenn es im Vertriebsgespräch weggeschwätzt wird, wenn, ich sage mal, hier das gute Gewissen herausgeholt wird wegen der erneuerbaren Energien und wenn dem Anleger Sand in die Augen gestreut wird nach dem Motto, der Staat fördert das alles so wahnsinnig und deswegen sind wir in der Lage, das entsprechend auch auszuschütten in dieser Größenordnung, dann ist das nicht mehr redlich.
    Und wir haben ja über ein Thema noch gar nicht gesprochen: Das Unternehmen ist völlig intransparent. Wir haben doch in den letzten Jahren keinerlei vernünftige testierte Jahresabschlüsse mehr gesehen. Herr Rodbertus war ja nicht bereit, mit den Medien zu sprechen. Es gab ja überhaupt keine Informationen aus dem Unternehmen heraus, und das führt natürlich auch dazu, dass dem Anleger möglicherweise was falsches vorgegaukelt wird. Deswegen bin ich ja so "froh", dass wir jetzt hier ein Insolvenzverfahren haben, denn die positive Seite der Sache ist ja, dass unabhängige sachverständige Experten von außen jetzt ins Unternehmen gehen, es durchleuchten und auf Herz und Nieren prüfen und schauen, was da eigentlich Sache ist.
    Armbrüster: Was ist denn Ihre Einschätzung? Werden die Sparer da noch etwas Geld herausbekommen?
    Nieding: Das wird jetzt davon abhängen, wie das Unternehmen selber dasteht und, wie Ihr Kollege eben ja auch gesagt hat, wie man verschiedene Dinge bewertet. Um es klar zu sagen: Ich kenne das ja, ich bin ja in den Gläubigerausschüssen bei Solar Millennium und bei Windreich, ich kenne das aus anderen Unternehmen. Es geht jetzt darum, auch mal zu schauen, wie weit sind denn die einzelnen Projekte eigentlich, wann kommen sie denn ans Geld verdienen, wann sind sie am Netz, wie viel Geld muss man dafür womöglich noch in die Hand nehmen, um sie überhaupt ans Netz zu bringen und damit auch Geld mit diesen Projekten zu entwickeln und zu erarbeiten. Das ist jetzt Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters, gemeinsam mit dem Gläubigerausschuss herauszufinden, was sind die lohnenden Teile, und dann kann man diese Frage auch seriös beantworten. Ich gehe davon aus, dass durchaus noch diverse Chancen bestehen, hier aus dem Unternehmen, ich sage mal, noch was zu machen und für die Anleger auch was zu retten.
    Armbrüster: …, sagt Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Besten Dank, Herr Nieding, für das Gespräch.
    Nieding: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.