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Nach Rücktritten beim Eisschnelllaufverband
Kein Entkommen aus der Krise

Seit einem halben Jahr wird die Deutsche Eisschnelllauf- und Shorttrackgemeinschaft DESG vom Berliner Unternehmer und Lebensgefährten der fünfmaligen Olympiasiegerin Claudia Pechstein, Mattias Große, geführt. Am Freitag hat er eine erste Bilanz gezogen, die auch mit drei prominenten Rückzügen zusammenfällt.

Von Jessica Sturmberg |
Matthias Große beobachtet das Rennen seiner Lebensgefährtin Claudia Pechstein über die 1500 Meter Distanz.
In der Kritik: Der heutige DESG-Präsident Matthias Große im Jahr 2016. (picture alliance/dpa - Soeren Stache)
"Kufenträume", produziert von Sänger Andy Ost für DESG-Präsident Matthias Große. Zu Beginn der aufgezeichneten Rede wird der Song eingespielt, der einige Botschaften enthält, die für das stehen, was sich Große vorgenommen hat:
"Es ist unsere Natur im Feuer stehen zu bleiben. Ihr schreibt uns vielleicht ab, doch wir sind die, die Geschichte schreiben."
Eine gute Viertelstunde redet Matthias Große, allein an einem Tisch sitzend, umringt von Werbebannern, und zieht Zwischenbilanz:
"Wir haben in den letzten Monaten viel erlebt seit dem 18. Juni, (es ist sicherlich ganz, ganz Großes geleistet worden und wir müssen analysieren, dass wir es geschafft haben oder) wir dürfen analysieren, dass wir es geschafft haben, dass die DESG Ende des Jahres 2020 wirklich in der Lage ist, die nächsten zwei Jahre zu überleben."

"Die DESG war in einem desolaten Zustand"

Zugleich rechnet er mit dem alten Führungspersonal ab:
"Die DESG war in einem desolaten, finanziellen Zustand. Die DESG hat sich mit sich selbst beschäftigt, ist geprägt gewesen von Vetternwirtschaft, von Misswirtschaft und von Uncontrolling."
Dass der Verband sich zu lange auf den früheren Erfolgen ausgeruht hat und die Lage mit abgesprungenen Sponsoren schwierig geworden war, bestätigen viele. Ob diese Beschreibungen so zutreffen, da gehen die Meinungen auseinander. Und auch, wie der Verband aus der Misere kommen kann und ob er nicht schon auf einem guten Weg war.
"Wir haben aber auch gelernt, dass der Weg, den wir gehen, einfach kompromisslos und geradlinig sein muss. Wir können das, was in den letzten Jahren in der DESG passiert ist, nicht einfach so hinter uns lassen, ohne dass es Nachwehen gibt. Das ist leider nicht so."

Drei Rücktritte in einer Woche

Gleich drei prominente Rücktritte musste die DESG in dieser Woche verkraften. Zunächst war es Eisschnelllauf-Bundestrainerin Jenny Wolf, fünfmalige Sprint-Weltmeisterin, die erst vor knapp drei Monaten ihre Arbeit begonnen hatte. Sie wird auf der Verbandshomepage mit den Worten zitiert, dass sie sich die Strukturänderungen anders vorgestellt habe. Ähnlich äußerte sich die ebenfalls zurückgetretene Berliner Bundesstützpunkt-Leiterin, Katrin Mattscherodt-Bunkus.
Rückzug Nummer drei: Shorttrack-Assistenztrainer Leon Kaufmann-Ludwig, der im Sommer seine aktive Karriere beendete. Da bis Jahresende noch sein Vertrag als Bundeswehrsoldat lief, sollte es zunächst eine Nebentätigkeit sein, die dann in eine Vollzeitstelle übergeht, auf die er sich beworben hatte. So fing er schon an, ohne, dass das Vertragliche schriftlich geregelt war, wie er dem DLF erzählt. Dann habe sich das immer weiter hingezogen, bis er nun von selbst zurückzog:
"Weil ich mich nicht mehr imstande gefühlt habe diese Aufgaben weiter auszuführen, wenn weder Vertragliches, noch Informationen über Vergütung oder Versicherungen geklärt sind und man es auch nicht für nötig hält mit mir über einen langen Zeitraum zu sprechen."
Matthias Große ging in seiner Rede auf die Rücktritte ein. Bei Wolf sprach er von Enttäuschung, zu Kaufmann-Ludwig sagte er:

Es steht Aussage gegen Aussage

"Niemand hat hier jemanden beschäftigt und hat dafür nicht bezahlt. Die Situation war so, dass der Herr Kaufmann-Ludwig auf uns zugekommen ist, er will Assistenz-Bundestrainer werden, will sich einbringen und er möchte diese Stelle ausführen. Und wir haben gesagt, wir werden im Zuge unserer Neustrukturierung einen Weg finden, dass gegebenenfalls dann, wenn die Mittel zur Verfügung stehen, auch zu honorieren. Wenn jemand aber dann beginnt zu arbeiten, sich einzubringen, diesen Job zu machen und nach zehn Wochen sagt, naja, ich möchte jetzt aber Geld haben, weil ich mir das dann doch anders überlegt habe, um dann zu sagen, es gebe keine Kommunikation - und jetzt kommen wir zu den Inhalten - dann ist das einfach unwahr."
Hier steht nun Aussage gegen Aussage. Leon Kaufmann-Ludwig will sich jetzt ganz seinem Wirtschaftsingenieurs-Studium widmen. Was er betont, dass die drei nicht die einzigen sind, die den Verband verlassen bzw. verlassen müssen:
"Neben den Namen, die so schon in den Medien stehen, gibt es noch einige andere Personalien, die momentan entweder völlig in der Luft hängen oder die zum Jahresende keinen Vertrag mehr bekommen und es macht den Anschein, dass diese Personalentscheidungen weniger sportfachlich getrieben sind, sondern ein langfristiges Begleichen von persönlichen Rechnungen darstellt."

Keine offene Gesprächskultur unter Große?

Hier gehe es um nicht wenige Stellen, in etwa zwei Drittel des hauptamtlichen Sportpersonals des Verbandes seien betroffen. Außerdem beobachte er: es gebe keine offene Gesprächskultur mehr, was auch der aktive Athletensprecher Moritz Geisreiter als Sorge geäußert hatte und worauf Matthias Große erwidert:
"Es wurde versprochen, dass es im Prinzip eine offene Tür gibt, dass jeder mit jedem sprechen kann, man sich nicht sorgen müsste, was seine Aussagen für Konsequenzen haben und das beobachte ich gerade einfach schon. Viele der Athleten trauen sich nicht, das zu sagen, was sie denken, weil sie Angst haben, dass es Konsequenzen geben wird und auch die vielen personellen Entscheidungen der Trainerriege zeigen jetzt ja auch, dass offensichtlich Leute, die ihre Meinung sagen und nicht ganz auf der Linie des Präsidenten sind, ganz schnell geschasst werden. Das heißt, die Kommunikationskultur hat sich nicht verbessert, ganz im Gegenteil, sie hat sich verschlechtert."
Was auch der aktive Athletensprecher Moritz Geisreiter als Sorge geäußert hat, woraufhin Matthias Große erwiderte:

Athletensprecher verlangt klaren Plan

"Niemand muss, wenn er mit uns spricht, irgendetwas befürchten, diese Mär, die ab und zu vom Athletensprecher eingeführt wird, ist etwas, was wir mit großem, großem Unbehagen hören. "
Das will Geisreiter wiederum so nicht stehen lassen und weist darauf hin, dass er in seiner Funktion als Athletensprecher das wiedergebe, was ihm zugetragen werde. Auch weist er darauf hin, was für die Aktiven jetzt wichtig sei, zum einen:
"Klare Zuständigkeiten, klare Aussichten, wie die Sportler und mit welchen Trainern Sportler das neue Jahr zum Beispiel planen können."
Zum anderen: Wie werden die Qualifikationen ermittelt, wenn harte Kriterien wegen der wegen Corona ausgefallenen Wettkämpfe nicht vorliegen?
"Wir wird jetzt hier für eine klare und faire Quali gesorgt, wie will die DESG das machen? Schlicht Information darüber, was jetzt der Weg sein soll."
Denn schließlich hingen Kaderzugehörigkeit, Förderung und generell die jeweilige sportliche Perspektive daran. Es gebe zwar das Versprechen von Große, dass keiner wegen Corona Nachteile haben soll, doch wünschten sich die Athletinnen und Athleten hier konkrete Aussagen. Es sind also noch viele Fragen in der DESG offen und die Krise scheint noch nicht vorbei zu sein.
Aus Zeitgründen haben wir in unserem Programm eine gekürzte Variante dieses Beitrages gesendet. Hier stellen wir ihnen die ausführliche Version zum Lesen und Hören zur Verfügung.