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Nach Rückzug der Bauer Media Group
Neuseeländische Medienkrise trifft auf Überlebenswillen

Im April begann in Neuseeland parallel zur Coronakrise auch noch eine Medienkrise: Der deutsche Bauer-Verlag, ein Platzhirsch unter den Zeitschriftenverlegern in "Down Under", kündigte seinen Rückzug an. Nach einer Schockstarre kommt langsam wieder Schwung in die neuseeländische Medienbranche.

Von Alexandra Falk | 20.08.2020
"In Style", "Elle" und "Men's Health" - Titel des Bauer-Verlags im Juli 2020 in einer Auslage in Sydney
In Australien und Neuseeland hat der Bauer-Verlag während der Coronakrise zahlreiche Magazintitel eingestellt (imago images / AAP / DAN HIMBRECHTS)
In Neuseeland kommt es nicht so oft vor, dass die Medien selbst im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen. Doch als der deutsche Bauer-Verlag mitten im Lockdown Anfang April das Handtuch wirft, überschlagen sich die Meldungen. Mehr als 230 festangestellte Journalistinnen und Journalisten erfahren über einen kurzfristig einberufenen Zoom-Call, dass sie ab jetzt arbeitslos sind. Auch unzähligen freien Mitarbeitern fällt die Arbeitsgrundlage über Nacht weg.
Es ist der Anfang einer Medienkrise in Neuseeland. Der Anzeigenmarkt bricht ein, viele Medienhäuser kürzen die Gehälter ihrer Redakteure, einige entlassen eilig reihenweise Mitarbeiter oder schließe ganze Redaktionen.
"Ich denke nicht, dass sich das Bauer-Management in Hamburg darüber Gedanken gemacht hat, was das für Neuseeland bedeutet. Sie sahen unser Land als kommerzielles Business, haben aber die kulturellen, sozialen und politischen Folgen ihres Handelns nicht bedacht. Viele dieser Magazine waren seit Jahrzehnten tief in der Gesellschaft hier verwurzelt. Nun sind sie auf einmal weg, und das hat einen negativen Effekt auf Land und Leute", sagt Gavin Ellis. Er ist ist freier Medienberater und gehört in Neuseeland zu den führenden Medienexperten.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Ellis war früher selbst Chefredakteur der größten Tageszeitung, dem "New Zealand Herald". Der Medienexperte betrachtet den plötzlichen Rückzug der Bauer Media Group als übereilt und unüberlegt.
"Ein riesiger Einschnitt für die Industrie"
Für Bauer aber liegt der Grund auf der Hand: Die neuseeländische Regierung hatte während des Lockdowns ein Publikationsverbot für Zeitschriften verhängt, daraufhin habe der Verlag seine Konsequenzen gezogen. Das Gesundheitsrisiko beim Druckprozess von Zeitschriften sei zu hoch, hieß es. Doch Tageszeitungen durften weiterhin gedruckt werden.
Eine Regelung, die bis heute niemand nachvollziehen kann, meint Sally Duggan, Geschäftsführerin des neuseeländischen Verbandes der Zeitschriftenverleger: "Es hat einfach die komplette Magazinlandschaft in Neuseeland verändert. 237 Jobs waren verloren. Wir gehen davon aus, dass insgesamt etwa 1.500 Leute im Magazinbereich arbeiten. Das heißt fast 20 Prozent dieser Mitarbeiter sitzen nun auf der Straße. Es ist ein riesiger Einschnitt für die Industrie, denn die Bauer-Titel waren seit vielen Jahren die Glanzlichter unter den Zeitschriften. Keiner konnte sich deswegen vorstellen, wie es ohne den Bauerverlag weitergehen soll."
Neue Online-Magazine und Verlagsneugründungen
Erst nach mehreren Wochen erwachten viele der ehemaligen Beschäftigten von Bauer langsam aus der Schockstarre der Arbeitslosigkeit. Einige fingen an, Online-Lifstyle-Magazine aufzubauen oder kleine Medienservice-Unternehmen ins Leben zu rufen.
Simon Farrell-Green gründete sogar kurzerhand seinen eigenen Verlag und entwickelte eine komplett neue Zeitschrift. Unter Bauer war er Chefredakteur des Architektur-Magazins "Home", das es in Neuseeland schon seit 1936 gab.
Der junge Familienvater entwirft zuhause am Schreibtisch eine Architektur-Zeitschrift, die er "Here" nennt. Er nutzt seine Kontakte und kann mit einer Crowd-Funding-Kampagne sogar ein Startkapital erwirtschaften.
Blick in den leeren "ARD-aktuell"-Newsroom auf dem Gelände des Norddeutschen Rundfunks NDR in Hamburg-Lokstedt am 10.10.2019 vor seiner Eröffnung
Journalismus in der Coronakrise - Vom Newsroom zum Newszoom
Aktuell sind viele Newsrooms coronabedingt verwaist. Der Journalismus läuft virtuell über Skype, Zoom und Co. jedoch ebenso effektiv, meint Samira El Ouassil in ihrer Kolumne.
Gegen Bauer hegt Simon keinen Groll mehr. Als Jung-Unternehmer kann er die Entscheidung des deutschen Verlags jetzt sogar verstehen.
"Die Leute haben einfach keine Vorstellungen von den Kosten. Ich verstehe, dass Leute enttäuscht sind, wenn ihnen ein Stück Kultur weggenommen wird, aber irgendwer muss für diese Kultur auch zahlen. Vielleicht haben die Neuseeländer nun gelernt, dass es nicht reicht, sich darüber zu freuen, dass es diese Magazine gibt, die Leute müssen sie auch kaufen. In den ersten 10, 20 Jahren des Internets war alles umsonst, und die Menschen haben vergessen, dass die, die die Inhalte produzieren, auch bezahlt werden müssen. Journalisten verdienen damit ihren Lebensunterhalt, und sie müssen unterstützt werden."
Einige Bauer-Titel kommen wieder
Während innovative Journalisten wie Simon Farrell-Green versuchen, sich neue Existenzen aufzubauen, verkauft Bauer all seine Titel aus Neuseeland, Australien und dem Pazifik an die australische Investmentgesellschaft Mercury Capital. Ein Moment, der vielen Hoffnung macht. Kurz darauf wird bekannt , dass zumindest traditionsträchtige Bauer-Titel wie der mit dem "Spiegel" vergleichbare "Listener" spätestens im Herbst wieder in den Regalen stehen sollen.
Bauer-Verlag stellt "New Zealand Listener" ein
Die Verlagsgruppe Bauer Media zieht sich aus Neuseeland zurück. Zwölf Magazine und einige Digitalangebote müssen schließen, auch das Traditionsmagazin "New Zealand Listener".
Zusätzlich erwerben Privatinvestoren einzelne Ex-Bauer-Titel, darunter ein deutsches Journalisten-Paar aus Berlin. Verena Friederike Hasel und Konstantin Richter sind wegen des Lockdowns und der Grenzschließung nach einem längeren Urlaub erstmal in Neuseeland geblieben. Die Entscheidung, jetzt als Verleger dem ehemalige Bauer-Magazin "North&South" wieder Leben einhauchen, kam relativ spontan.
"Erstmal ja zu sagen zu der Idee und zu dem Gefühl, was dahinter steht, weil das ja vor allem die Liebe zum Journalismus ist und die Ungläubigkeit darüber, dass so ein Magazin einfach eingestellt wurde. Also ich bin selbst Reporterin gewesen, ich habe beim Tagesspiegel in Berlin gelernt, und bin später zur Zeit gewechselt. Das sind alles großartige Zeitungen, die Platz haben für lange Feature-Geschichten. Mein Mann kommt aus dem US-Journalismus. Und 'North&South' steht eben für diesen langformatigen Journalismus, den wir beide kennen und lieben. Wir glauben eben an solche Formate und es ist ja durchaus auch für Magazine ganz gut in die Hand von unabhängigen, kleineren Verlegern zu wechseln."
Nun wechselt ein neuseeländisches Magazin also wieder in deutsche Hände. Verena Friederike Hasel ist sich der Verantwortung bewusst und weiß, dass guter Journalismus und Geschichten über Land und Leute in einer immer komplexer werdenden Welt enorm wichtig sind.
"Es haben uns viele Leute gefragt: Warum macht ihr das, die Medienindustrie ist doch im Niedergang, ich sehe das nicht so. Ich bin da total. Das finde ich toll, wenn wir einen Teil dazu beitragen können, dass so ein Magazin nicht verschwindet. "
Die neuseeländische Medienlandschaft scheint sich langsam zu erholen. Auch, weil sich die Neuseeländer, wie schon so oft in Krisensituationen, als Team begreifen. Es kommt schnell das Gefühl auf, dass die Macher und die Leser gleichermaßen beim Aufbau mithelfen wollen. Verschiedene Onlinemagazine rufen seit neustem per Banner auf ihrer Startseite zu freiwilligen Spenden auf und schreiben: "Helft uns den Sturm zu überstehen, denn dann helft ihr mit, unabhängigen Journalismus am Leben zu halten".