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Nachlass des Schriftstellers Adolf Endler
Märchenhaft leicht, treffend genau

Der Schriftsteller Adolf Endler fand immer Wege, sich Gehör zu verschaffen - auch wenn er von offiziellen Instanzen totgeschwiegen wurde. In der alternativen Literaturszene galt er als Leitfigur. Vereinnahmen ließ er sich von keiner Seite. 2009 starb er. Nun ist der Band "Kiwitt, kiwitt" erschienen, der Gedichte und Notizen aus seinem Nachlass versammelt.

Von Nadja Küchenmeister  |
    Der Schriftsteller Adolf Endler sitzt vor einer Schreibmaschine, hinter ihm ein volles Bücherregal.
    Der Schriftsteller Adolf Endler im Jahr 2000 in Berlin an seiner Schreibmaschine. (picture alliance / dpa / Torsten Leukert)
    "Es ist eine bestimmte Grundvoraussetzung dafür da, dass man keine Gedichte mehr schreibt. Es gibt natürlich immer die Drohungen, du musst noch Gedichte schreiben, du darfst jetzt nicht aufgeben - nicht meine Frau, die tut das nicht. Aber wenn einer aufhört Gedichte zu schreiben, ich hab' das noch bei Hermlin in Erinnerung, auch bei der Bachmann ein bisschen, heimste man Vorwürfe ein, warum schreibst du denn keine Gedichte mehr. Also ich bin jetzt 77 Jahre alt und ich muss nicht unbedingt noch Gedichte schreiben. Es liegen noch genug in meinem Schrank, die vielleicht nach meinem Tod als Irrsinns - Gedichte publiziert werden. Ich muss mich nicht damit beschäftigen."
    So der Schriftsteller Adolf Endler im Oktober 2007 in einem Interview, nicht ganz zwei Jahre später starb er im Alter von 78 Jahren in Berlin. "Der Tarzan am Prenzlauer Berg", wie er nach einem seiner bekanntesten Bücher oft genannt wurde, ließ sich zeitlebens in keine Schublade stecken. Der in Düsseldorf geborene Autor, der 1955 freiwillig in die DDR ging, nachdem in der Bundesrepublik Klage wegen Staatsgefährdung gegen ihn erhoben worden war, und der dort am renommierten Johannes-R.-Becher-Institut studierte, bevor später zu einem der wortmächtigsten und unbestechlichsten Kritiker des sozialistischen DDR-Systems wurde, sagte einmal über sich:
    "Ich war immer sehr unglücklich. Ich habe eigentlich mein Leben bis ungefähr zu meinem vierzigsten Lebensjahr als Hölle empfunden, auch in der DDR, ähnlich wie Hilbig, der es auf andere Weise artikuliert hat. Ich habe das Leben als Hölle empfunden. Nun die DDR auf spezielle Weise, dieser tägliche Kleinkrieg, der da geführt wurde um zwei Zeilen Gedicht oder was auch immer, hatte noch ein paar Besonderheiten, die der Schreiber im Westen nicht hat."
    Endler hatte keinen Kompass für das eigene Leben
    Trotz seiner unberechenbaren und oftmals harschen Polemiken, erfreute sich Endler, der sich selbst, im Gegensatz zu vielen seiner Bewunderer, nicht als Vorbild der Underground-Szene rund um den Prenzlauer Berg verstand, unter Schriftstellerkollegen und Lesern enormer Beliebtheit. "In der ganzen großen Literaturwelt", schrieb der Lektor des Wallstein Verlags Thorsten Ahrend in seinem Nachruf, "gibt es überhaupt niemanden, der von Eddi Endler nicht mit dem allergrößten Respekt gesprochen hätte, sprechen würde." Das Vertrauen, das man Endler entgegenbrachte, hatte sicher nicht zuletzt damit zu tun, dass er mit sich selbst immer wieder hart ins Gericht ging. Die Tatsache, keinen Kompass für das eigene Leben zu besitzen und demnach auf manche Umwege, ja, gar Abwege zu geraten, hat Endler, der Kurt Schwitters und Karl Kraus verehrte und sich verbunden fühlte mit Volker Braun, Sarah Kirsch und Karl Mickel, in seinen Gedichten oft thematisiert, die für ihre surrealistischen Sprachspiele, ihre Nähe zum Dadaismus und ihren schwarzen Humor ebenso bekannt waren wie für ihren abgründigen, sezierenden Ernst.
    My Generation
    Meine Generation bestand im Januar 63 aus ca sieben bis drei-
    zehn relativ ungewöhnlichen Gestalten / tollen Personen.
    (Ich erinnere an die "Sächsische Dichterschule"
    and so on. / und all diesen Summs / Quatsch.)
    Im Herbst 99 stehe ich absolut einzig da / also allein / Falten
    Plums, Bumms. ich sage mir mitleidlos:
    Um meine Nieren zu schonen.
    Die Geschichte ... Ritsch-ratsch.
    Mein ausgetüftelter Touch.
    Nicht zufällig wird hier das Jahr 1963 erwähnt. "1963", sagte Endler an anderer Stelle, "bin ich von der Hauptstraße der DDR-Lyrik abgewichen." In seinen Anfangsjahren in der DDR erging sich Endler noch in Agitprop-Gedichten, jedoch nahm er bald Abstand davon. Und tatsächlich hat der Dichter in seinen Sammelband "Der Pudding der Apokalypse" aus dem Jahr 1999 keine Gedichte aus der Zeit vor jenem denkwürdigen Jahr aufgenommen. Warum? Die späteren Texte erschienen Endler haltbarer, ihr "sachlicher und ironischer" Ton überzeugten ihn mehr, und erst in "Krähenüberkrächzte Rolltreppe", dem letzten, noch zu Lebzeiten des Autors erschienen Gedichtband, kamen dann doch noch ältere Werke ans Licht.
    Ausschluss aus dem DDR-Schriftstellerverband
    Brigitte Endler, die Witwe des Schriftstellers, die für seinen nun im Wallstein Verlag erschienen Nachlassband "Kiwitt, kiwitt" verantwortlich zeichnet, beschreibt Endlers Arbeitsweise in einer kurzen editorischen Notiz. Immer wieder habe er die Gedichte überarbeitet, Streichungen vorgenommen, etwas hinzugefügt oder ersetzt. Bei aller Verspieltheit, aller Freude am Zitieren und Collagieren war Endler doch auch ein gewissenhafter Handwerker, der sich mit schier unbändiger Energie an den Schreibtisch setzte. Seit den 1970er-, verstärkt noch seit den 1980er-Jahren widmete er sich zudem der Prosa, weil er, wie er rückblickend bemerkte, den einsetzenden Verfall der DDR mit lyrischen Mitteln einfach nicht mehr in den Griff bekam. In "Kiwitt, kiwitt" finden sich neben meist eher kurzen Gedichten auch Entwürfe, fragmentarische Einlassungen und Notizen, hauptsächlich aus diesen beiden Jahrzehnten - Versprengtes eben, nicht ganz Verworfenes. Ablegt hatte Endler diese Texte unter dem Namen "Aus der Mappe 'Quatsch'". Einerseits handelte es sich um eine äußerst produktive Phase im Leben des Dichters, andererseits wurde ihm das Leben als Autor in der DDR durch den Ausschluss aus dem Schriftstellerverband 1979 nach einem offenen Brief an Erich Honecker beinahe unmöglich gemacht, kam dieser Ausschluss doch einem Publikationsverbot sehr nahe. Daraufhin veröffentlichte er vorrangig bei westdeutschen Verlagen und in ostdeutschen Untergrundzeitschriften; für seine Wohnzimmerlesungen war er regelrecht berühmt. Liest man heute die Texte von damals, will es scheinen, als hätte Adolf Endler sich auch mit diesen, teilweise noch unfertigen Gedichten erneut befreit, gleichwohl er im eigenen Land mundtot gemacht worden war.
    Wachkompanie
    1
    Kiwitt kiwitt
    Paradeschritt
    Wie spritzt der Split
    Kiwitt kiwitt
    Parade ei
    Paradeschritt
    Kuckuck
    Kuckuck
    Rufts aus dem Wald
    2
    kiwittkiwitt
    paradeschritt
    kuckuckkuckkuck
    rufts ausm wald
    ruckediguh
    blut is im schuh
    Blut ist im Schuh. Das eben war das stille, unheimliche Ausrufezeichen, das Endler in seinen Gedichten setzte - märchenhaft leicht und dabei treffend genau. An seiner Biografie hat der Dichter sich ein Leben lang abgearbeitet. Am Krieg, den er als "gravierendes Grunderlebnis" bezeichnete, an den politischen Umbrüchen, an seinem Privatleben.
    "(D)as unterscheidet mich von anderen Schriftstellern, dass immer meine Existenz abgearbeitet werden muss oder mein schlechtes Gewissen gelegentlich. Frauen gegenüber zum Beispiel, eher als der Gesellschaft gegenüber, hatte ich manchmal auch ein schlechtes Gewissen. Das alles wollte abgearbeitet sein."
    Dann und wann blitzen klare Einsichten hervor
    Wer in die endlersche Welt eintaucht, möchte diese so schnell nicht wieder verlassen, und natürlich ist es für den Leser, der mit dem Tod eines Schriftstellers auch dessen zukünftiges Werk verliert, eine Freude, wenn er Gedichte aus dem Nachlass geschenkt bekommt. Wenn auch nicht alle Texte in "Kiwitt, kiwitt" überzeugen können. Manches Gedicht steht allzu verloren da, wartet noch immer auf die Überarbeitung seines Verfassers, ist mehr Aussicht und Versprechen. Auch liest man die dem Band beigefügten Capriccios, Notizen also, mal mit mehr, mal mit weniger Interesse, die Zusammenhänge erschließen sich selbstredend nicht überall, aber das müssen sie auch nicht. Es bleiben die Worte eines großen Schriftstellers, der für immer verstummt ist, und dann und wann blitzen aus ihnen klare Einsichten hervor:
    "Wer nicht pariert, zerstört seine Existenz; wer pariert, zerstört sein Leben -"
    Vieles hätte noch gesagt, vieles noch geschrieben werden können. Aber wir, die wir noch eine Weile hier, ohne Endler, verbringen müssen, haben sein Werk. Dazu gesellt sich nun, beinahe schüchtern, dieser schmale und schöne Gedichtband. Lassen wir zum Abschluss noch einmal Endler selbst zu Wort kommen mit einem Auszug aus seinem Gedicht "Resumé":
    Indessen nicht der kleinste Seepapagei in meinem Scheiße – Gesamtwerk!
    Um ehrlich zu sein: Das Gleiche gilt für den Hüfthalter oder den
    Kronenverschluß.
    Und wie konnte ich fünfzig Jahre lang das Wörtchen "Wadenwickel"
    verfehlen?
    Es gibt keine ausreichend lichte Erklärung für das und für dies
    und für das.