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Nachruf auf Günter Grass
Ein widerständiger und geliebter Autor

Seine Literatur prägte Deutschland. Kaum ein anderer Autor hat nach dem Ende der NS-Diktatur so viel Einfluss gesucht und ausgeübt wie Günter Grass. Bis ins hohe Alter mischte er sich in politische Debatten ein. Seiner eigenen Vergangenheit stellte er sich aber erst spät.

Von Brigitte Baetz | 13.04.2015
    Der Schriftsteller Günter Grass verfolgt am 26.11.2014 in Hamburg die Benefizgala für verfolgte Autoren von der Autorenvereinigung PEN.
    Günter Grass mischte sich bis ins hohe Alter in politische Debatten ein. (dpa / picture-alliance / Daniel Bockwoldt)
    "Wie der Nobelpreis, sobald wir ihn aller Feierlichkeit entkleiden, auf der Entdeckung von Dynamit fußt, das - wie andere menschliche Kopfgeburten, sei es die Spaltung der Atome, sei es wie die gleichfalls nobilierte Aufschlüsselung der Gene - das Wohl und das Wehe in die Welt gesetzt hat, so beweist die Literatur ihrerseits Sprengkraft - wenngleich die von ihr ausgelösten Explosionen verzögert, sozusagen in Zeitlupe zum Ereignis werden und die Welt verändern, gleichfalls als Wohltat und Anlass zum Wehgeschrei für das Menschengeschlecht." Günter Grass, 1999 in seiner Rede zur Verleihung des Literaturnobelpreises. In ihr legt er dar, was ihn sowohl als Schriftsteller als auch als öffentlichen Menschen ausmacht: Widerspruchsgeist, Sendungsbewusstsein, Lust an der Formulierung und an der Phantasie. Der Autor als selbstbewusster Antreiber, sogar Sprengmeister des öffentlichen Lebens - Grass nimmt diese Rolle zeitlebens ernst. Nicht der Schriftsteller suche sich sein Thema, es werde ihm aufgedrängt, so erklärt er. In seinem Fall ist es der "Einbruch der Politik in die familiäre Idylle", wie er es nennt, sprich: der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, der sein literarisches wie politisches Leben entscheidend prägt.
    Günter Grass: "Der Lieblingscousin meiner Mutter, wie sie kaschubischer Herkunft, war im Freistaat Danzig Beamter der polnischen Post. Er ging bei uns ein und aus, war gern gesehener Besuch. Als bei Kriegsbeginn das Postgebäude am Heveliusplatz gegen den Ansturm der SS-Heimwehr eine zeitlang verteidigt wurde, gehörte mein Onkel zu den Kapitulierenden, die alle standrechtlich verurteilt und erschossen worden sind."
    Riss in der Familie Grass
    Die gewaltsame Eingliederung Danzigs ins Deutsche Reich führt zu einem Riss in der Familie Grass. Die Kaschuben, Angehörige eines westslawischen Volksstammes, gelten nicht als "Reichsdeutsche". Der kleinbürgerliche Vater aber, ein deutscher Protestant, ist seit 1936 Mitglied der NSDAP. Den Schrecken der Diktatur und des Krieges, den Schrecken der gesellschaftlichen Umstände allgemein versucht der Schriftsteller Grass mit den Mitteln der Groteske zu bannen - mit einem Narren als Helden, einer komischen Figur, die aber gerade wegen ihrer skurrilen Eigenarten den Herrschenden den Spiegel vorhält und eine eigene Würde bewahrt. Ein Held also wie Oskar Matzerath, der Junge, der nicht wachsen will, Hauptfigur in Grass' größtem Erfolg, dem Roman "Die Blechtrommel" von 1959. Verfilmt 1979 und ein Jahr darauf mit dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet.
    Oskar Matzerath: "Es war einmal ein Blechtrommler, der konnte Glas zersingen. Es war einmal ein Blechtrommler, der hatte zwei Väter." -Mutter: "Willst du nicht etwas essen, bevor du gehst?" Vater: "Keine Zeit. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Heil Hitler." Oskar Matzerath trommelt sich mit seinem Blechspielzeug in den polnischen Nationalfarben weiß und rot durch Kindheit und Jugend, durch Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg und weiß nicht, ob der slawische Vetter seiner Mutter oder der Reichsdeutsche Alfred Matzerath sein Vater ist. Eine Parabel auf Danzig, auf die Verführbarkeit der Menschen und die Heuchelei der Erwachsenen. Seine im Wortsinn "Grenz" - Erlebnisse im Dritten Reich hätten ihn zum Schriftsteller gemacht, so Grass mehr als ein halbes Jahrhundert später im Deutschlandfunk: "Wir sind in Zeiten des Nationalsozialismus, also in der Hitlerjugend, im Jungvolk, sicher mit Begeisterung gewesen. Bei dem einen oder anderen flaute das später ab, diese dauernden Dienstabende, aber es war, von dieser Jugendorganisation ging eine große Verführungskraft aus, der die meisten nachgegeben haben. Ich ganz gewiss. Und die dann in der Nachkriegszeit bekannt gewordenen Verbrechen - es werden immer neue kommen, das hört ja bis heute nicht auf - sind eine nachträgliche Belastung und sind allein schon deshalb zwingend. Für mein Schreiben war es dann so, dass ich nach anfänglichen artistischen Versuchen, wo ich meine Möglichkeiten ausprobierte in der bildenden Kunst als Bildhauer, als Grafiker und auch beim Schreiben nach einer gewissen Zeit merkte, so ab Mitte der 1950er-Jahre, dass ich meinem eigentlichen Thema nicht ausweichen konnte. Und so sind diese ersten drei Prosabücher entstanden, "Die Blechtrommel", "Katz und Maus" und "Hundejahre". Und das Thema Danzig und auch Gdansk hat mich nie losgelassen."
    Deutsche Vergangenheit nicht verdrängen
    Mit seiner sogenannten Danziger Trilogie stemmt sich der junge Günter Grass, Jahrgang 1927, sowohl politisch als auch künstlerisch gegen den Trend der Zeit. Weder will er hinnehmen, dass die deutsche Vergangenheit verdrängt wird noch dass der klassische Roman, dem man in den 1950er-Jahren schon das Aus prophezeit, keine Berechtigung mehr habe. Auch seine erotischen Schilderungen widersprechen dem Zeitgeist der Adenauer-Ära: Als ihm 1959 eine unabhängige Jury für die "Blechtrommel" den Bremer Literaturpreis zuspricht, weigert sich der Senat, den Preis zu verleihen. Die Schriftstellerei ist nicht das einzige künstlerische Feld, auf dem sich Günter Grass bewegt. Nach seiner Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft lässt er sich, nach einem Zwischenspiel als Hilfsarbeiter in einem Kalibergwerk, in Düsseldorf zum Steinmetz ausbilden. Anschließend studiert er Grafik und Bildhauerei. Parallel dazu schreibt er Gedichte und Theaterstücke und schließt sich der "Gruppe 47" an. Dieser lose Zusammenschluss aus Schriftstellern und Kritikern hat zum Ziel, die deutsche Literatur zu erneuern und die Demokratisierung der Gesellschaft zu fördern.
    Der Künstler Grass ist auch ein politischer Mensch. Seine Politisierung fand im Kalibergwerk statt, einem Mikrokosmos der deutschen Gesellschaft. Grass: "Dann kamen die Bergleute aus den Förderschächten zusammen und diskutierten da bei Karbidlicht und gerieten in Streit. Und es zeigte sich, dass diese 30, 40 Leutchen, die da zusammen waren, also aus Kommunisten, Sozialdemokraten und Nazis bestanden. Und im Verlauf dieser Streitereien bekam ich eigentlich ein Bild der Weimarer Republik der Spätphase geliefert. Sah, wie sich die Nazis mit den Kommunisten gegen die Sozialdemokraten verbündeten. Und ich hatte das Glück, einen Lokführer... Ich war Koppeljunge, und wir mussten uns mit diesen Zügen das Kalisalz auf der Fördersole bewegen. Der war älter und war Sozi. Und der hat mir so einige Dinge erklärt und mich auch nach Hannover mitgenommen am Sonntag. Und da hab ich Kurt Schumacher sprechen hören in diesem völlig zerbombten Hannover. Und das war eindrücklich."
    Langjährige Beziehung zur Sozialdemokratie
    Zwischen Günter Grass und der Sozialdemokratie beginnt eine langjährige, aber nie ungetrübte Beziehung. Besonders eng wird die Verbindung, als Grass 1961 den Berliner Regierenden Bürgermeister Willy Brandt kennenlernt. Er wird jahrzehntelang Wahlkämpfer für die SPD sein, in der er allerdings nur wenige Jahre, nämlich von 1982 bis 1992 Mitglied ist. Soziale Gerechtigkeit, Aussöhnung mit dem Osten - das sind wichtige Themen für den auch international inzwischen erfolgreichen und anerkannten Schriftsteller - wie für viele andere deutsche Intellektuelle jener Zeit. Mit ihnen gemeinsam trommelt er unter anderem dafür, dass Willy Brandt Kanzler werden kann. Grass: "Wir haben mit dieser Arbeit - ein kleiner Kreis von Schriftstellern und Journalisten, Wissenschaftlern - während der dunklen Zeit der Großen Koalition begonnen. Und wir kamen überein, durch Wählerinitiativen mitzuhelfen, damit ein Wahlergebnis bei den Bundestagswahlen zustande kommt, dass die Ablösung der Großen Koalition in eine sozialliberale Koalition erlaubt."
    Dabei ist Günter Grass, der sein Engagement als das eines Bürgers, der von Beruf Schriftsteller ist, versteht, kein Freund von Ideologien. Im Gegenteil. Den Sisyphos, der dazu verdammt ist, einen Stein, der immer wieder herunterfällt, den Berg hinaufzuwälzen, kann sich auch Günter Grass als glücklichen Menschen vorstellen - wie es sein französischer Schriftstellerkollege Albert Camus tat. "Der Stein bleibt nie oben liegen, der erwartet mich immer, ganz gleich, was es ist, ob es eine literarische Arbeit ist oder ob es auch meine gesellschaftlichen, meine bürgerlichen, politischen Bemühungen sind. Und das ist natürlich eine grundsätzliche, politische Einstellung, die auch meinem sozialdemokratischen Selbstverständnis entspricht. Alle Ideologien, schrecklichen Ideologien, haben immer das Bemühen - inklusive "The American Way of Life" -, den glücklichen Menschen, wo auf einmal alles befriedet ist und ein Endziel erreicht wird. Und das lehne ich ab, das ist meistens mit Schrecken und mit Zwang verbunden und auch mit einer Freudlosigkeit."
    Gegen die Auswüchse der Studentenproteste
    Vor diesem Hintergrund wendet sich Günter Grass in den 60er Jahren gegen die Auswüchse der Studentenproteste. Die Radikalität vieler Studentenvertreter ist ihm genau so suspekt wie die Hassattacken mancher Kommentatoren von „Bild"-Zeitung" und „Welt". Er analysiert die Eskalation der Gewalt, die sich spätestens mit der Erschießung von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 angedeutet hat: "Ich verurteile das Einschlagen der Schaufenster. Das hat eine fatale Nähe zu Methoden, die in unserem Land aus der Vergangenheit bekannt sind. Aber ich glaube, dass dieses terroristische Agieren einer kleinen Minderheit unbekannter Täter zu einem Teil darauf zurückzuführen ist, dass hier in dieser Stadt, in Berlin, die Springerzeitungen vor beinahe einem Jahr, und zwar noch vor dem 2. Juni, systematisch gegen die Studenten gehetzt haben. Der missionarische, fanatische Eifer des Herrn Springer und eines Teils seiner Zeitungen musste den missionierenden Fanatismus eines Rudi Dutschke erst einmal erschaffen."
    1969 ist es soweit. Grass politischer Wunschtraum, die sozialliberale Koalition wird Wirklichkeit. Willy Brandt: "Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir haben so wenig Bedarf an blinder Zustimmung wie unser Volk an gespreizter Würde und hoheitsvoller Distanz." Grass, der schon 1967 die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gefordert hat, der mit seinem Theaterstück "Die Plebejer proben den Aufstand" die Arbeiterunruhen in der DDR thematisierte und auch nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei an seinem Dialog mit Schriftstellerdissidenten festgehalten hat. Dieser Grass verfolgt die Entspannungspolitik mit großer Genugtuung. Gemeinsam mit Siegfried Lenz begleitet er Brandt 1970 zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages. Weniger zufrieden zeigt sich Günter Grass mit der Brandtschen Innenpolitik. Vor allem die Überprüfung von Beamten auf ihre Verfassungstreue bis hin zur Möglichkeit des Berufsverbotes ist dem Radikaldemokraten ein Dorn im Auge: "Der Radikalenerlass ist ein Wahnsinnsakt einer Demokratie, die sich ihrer eigenen Stärke offenbar nicht bewusst ist. Die Bundesrepublik verträgt ohne weiteres drei- bis viertausend kommunistische oder weiter links stehende Lehrer, Richter, was weiß ich nicht alles, genau wie das auch andere westeuropäische Länder ertragen. Was sie aber nicht erträgt, ist eine verbrämte Aufforderung zur Denunzierung."
    Von der Borniertheit der Menschen
    Gleichwohl unterstützt Grass weiterhin die Regierung Brandt. Nach dem triumphalen Wahlsieg der SPD von 1972 zieht er sich eine Weile aus der politischen Öffentlichkeit zurück, macht mit seinen Zeichnungen, Grafiken und unter anderem seinen Romanen "Der Butt" und "Die Rättin" von sich reden. Beide paraphrasieren die Uneinsichtigkeit und Borniertheit der Menschen, vor allem die der Männer, bis hin zur ökologischen und atomaren Katastrophe. Erst mit dem Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 wird Grass SPD-Mitglied - ein Beweis dafür, dass er sich lieber auf der Seite der Schwachen sieht. Gleichzeitig engagiert er sich in der Friedensbewegung. Schon 1981 beklagte er auf einer von Stephan Hermlin organisierten deutsch-deutschen Schriftstellerbegegnung in Ost-Berlin die Hybris der beiden damaligen Supermächte.
    Die Rolle des unbequemen Mahners übernimmt er auch in der Debatte um die deutsche Vereinigung. Er spricht vom "Schnäppchen namens DDR" und moniert die Klausel "Rückgabe vor Entschädigung" im Einheitsvertrag. Mit unnötigem Tempo hätten sich, so Grass, die Westdeutschen die DDR zur Beute gemacht: "Diese Leute, die 40 Jahre lang in einer Diktatur gelebt haben und die selbst dazu beigetragen haben, dass diese Diktatur zusammenbrach, waren nach kurzer Zeit, hatten die nichts mehr zu sagen. Also, wie diese De-Maizière-Regierung, wie die in Bonn behandelt wurden, also wie arme Bittsteller! Man muss schon hingucken, dann stellt man fest, dass die Ostdeutschen in den neuen Bundesländern, wie man sagt, und deren Nachkommen, nach wie vor wie Deutsche zweiter Klasse dastehen." Aber nicht nur die Kohlsche Einheitspolitik, auch der Asylkompromiss, der nur durch Mithilfe der SPD zustande kommen konnte, stößt bei Grass auf heftige Kritik. Die Partei hatte seiner Ansicht nach die Geschichte ihrer politischen Emigranten während des Dritten Reiches verraten. 1992 tritt Grass wieder aus der SPD aus.
    Grass' literarische Arbeit bleibt Politikum
    Doch die Arbeit des Schriftstellers bleibt weiter ein Politikum. Grass' Roman "Das weite Feld", das 1995 erscheint, thematisiert unter anderem Mauerbau und Wiedervereinigung. Und einmal mehr passiert Grass das, was er - beginnend mit dem Erscheinen der Blechtrommel - regelmäßig erlebt: Teile der deutschen Literaturkritik monieren, dass die politische Gesinnung des Autors die literarische Qualität beschädigt habe. Besonders gekränkt fühlt sich Grass durch das Verhalten des Nachrichtenmagazins Spiegel, der auf einer Titelzeichnung den Kritiker Reich-Ranicki zeigt, der das Buch im Wortsinn zerreißt, um es dann im Heft auch inhaltlich als "missraten" auseinanderzunehmen. Grass fühlt sich, wie er wiederholt öffentlich erklärt, verletzt und spricht vom 2Vernichtungswillen" deutscher Literaturkritiker.
    Um so größer die Genugtuung für Grass, als er 1999 den Nobelpreis für sein Lebenswerk erhält. Er habe "in munterschwarzen Farben das Gesicht der Gesellschaft gezeichnet", heißt es in der Begründung der Schwedischen Akademie. Sie würdigt damit auch die Konsequenz, mit der der Schriftsteller Grass seine politischen Überzeugungen offenlegt. Und der beweist mit der 2002 publizierten Novelle "Der Krebsgang", dass er noch mit 75 Jahren ein Gespür für verdrängte politische Themen hat. Das Buch über den Untergang der Wilhelm Gustloff im Januar 1945 rückt die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten ins Bewusstsein der literarischen Öffentlichkeit und wird zum Sensationserfolg.
    Öffentliches Bild bekommt Risse
    Doch das öffentliche Bild bekommt Risse. In einem Gespräch mit der FAZ räumt Grass 2006 ein, in der Waffen-SS gewesen zu sein. Ausgerechnet Günter Grass, das moralische Gewissen der Bundesrepublik, hatte dies mehr als ein halbes Jahrhundert lang verschwiegen. Ein weltweiter Sturm der Entrüstung bricht aus. Grass rechtfertigt sich. Er habe sich freiwillig gemeldet, um der Enge seines Elternhaus zu entkommen. Grass: "Die Tatsache, dass ich zur Waffen-SS kam, ist ohne mein Verschulden geschehen. Ich hatte mich - was fast genau so idiotisch war - zur Marine freiwillig gemeldet, ich wollte unbedingt Schiffe versenken, U-Boot-Fahrer werden. Und die nahmen niemanden mehr zur Marine, das mit den U-Booten war vorbei. Und ich landete bei der Waffen-SS und habe dann, wenn man so will, das Glück gehabt, aufgrund meines Jahrgangs nur ein halbes Jahr inklusive Ausbildungszeit dabei gewesen zu sein. Also die grässliche Chance, in Verbrechen verwickelt zu werden, war relativ gering. Aber daraus hat dann die FAZ ein großes Geständnis gemacht, das war eine regelrechte Kampagne, die auch verletzend war."
    Als Kampagne betrachtet Grass auch die heftigen Reaktionen auf sein Gedicht gegen ein atomar aufgerüstetes Israel, das Grass als Bedrohung für den Weltfrieden empfindet. Dem Dichter wird weltweit Starrsinn, gar Antisemitismus unterstellt. "Was gesagt werden muss", schon der Titel enthält Grass Selbstverständnis nicht nur als literarische Instanz, sondern auch als politischer Mensch, der sich über die zunehmende Ökonomisierung des Gemeinwesens genauso erregen kann wie über die Entwicklung der Demokratie. Grass: "Bei der Finanzkrise, bei diesem Ruckzuck-Verfahren bis in die Gegenwart hinein, wird dauernd das Parlament übergangen, zu spät benachrichtigt, informiert oder unzureichend informiert, und es gipfelt in dem gegenwärtigen Skandal mit der Lieferung von 200 Leopard-Panzern nach Saudi-Arabien. Das ist ein Ausverkauf unseres eigenen Selbstverständnisses als parlamentarische Demokratie."Günter Grass, der Schriftsteller als engagierter Bürger, reiht sich ein in eine große Tradition - in die von Charles Dickens, Emile Zola und Graham Greene. Ein widerständiger Autor auf der Seite der Schwachen der Gesellschaft, umstritten, aber von einer großen Leserschaft vielleicht auch gerade deswegen geliebt.