Donnerstag, 25. April 2024

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Nahost-Experte zu Syrien
"Die USA haben kaum Einfluss, die Europäer ohnehin keinen"

Eine Militäroffensive auf die syrische Provinz Idlib hält Guido Steinberg für wahrscheinlich. In diesem Fall könne man nur hoffen, dass die Türkei ihre sehr gut gesicherte Grenze nach Idlib hin öffne, um Flüchtlinge in die Türkei zu lassen, sagte der Nahost-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Dlf.

Guido Steinberg im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 08.09.2018
    Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik.
    Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Tobias Armbrüster: Drei Männer haben sich da gestern in Teheran getroffen, drei Präsidenten, die alle mitreden möchten beim Krieg in Syrien: Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und Hassan Rohani. Die Präsidenten von Russland, der Türkei und dem Iran, alle drei sind mit eigenen Truppen in diesem Krieg aktiv, und sie wollten gestern besprechen, wie es weitergehen soll mit Syrien und auch mit der letzten verbliebenen Rebellenhochburg, der Region Idlib, aber dieses Treffen in Teheran, das ist gestern ohne konkretes Ergebnis zu Ende gegangen. Was das jetzt heißt, das wollen wir etwas genauer besprechen. Bei uns am Telefon ist Guido Steinberg, Nahost-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Schönen guten Morgen!
    Guido Steinberg: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
    Armbrüster: Herr Steinberg, keine Einigung also zwischen der Türkei, dem Iran und Russland. Was bedeutet das für Syrien?
    Steinberg: Das bedeutet aller Wahrscheinlichkeit nach, dass die von den Syrern angekündigte große Offensive in Idlib in den nächsten Tagen oder vielleicht Wochen beginnen wird. Es gibt ja schon seit einiger Zeit Hinweise darauf, dass sie beginnen könnte, und so enttäuscht, wie der türkische Präsident sich gestern gegeben hat, darüber, dass die anderen beiden Staaten seine Forderung nach einem Waffenstillstand nicht angenommen haben, nicht akzeptiert haben, müssen wir davon ausgehen, dass diese Offensive jetzt kommt.
    Armbrüster: Dann können wir das so sagen, Iran und Russland sind dafür, weiter zu bomben, auch gegen Idlib, und die Türkei, die wollte das eigentlich verhindern. Ist das so korrekt?
    Steinberg: Ja, das ist richtig. Die Türkei hat immer versucht in den letzten beiden Jahren, im Verlauf dieses sogenannten Astana-Prozesses, der geführt wurde von Russland, von Iran und von den Türken, seine Position in Syrien zu wahren. Die Türkei ist seit langer Zeit der wichtigste Unterstützer der Aufständischen in Syrien. Die sind jetzt in Idlib konzentriert, die Türkei hat versucht, sie zu retten. Russland, Iran stehen auf der Seite des Regimes, und die wollen jetzt diesen Bürgerkrieg beenden, indem sie die Provinz Idlib einnehmen und damit auch die Türkei und ihre Verbündeten aus dem Land vertreiben.
    "Eine Koalition ist das überhaupt nicht"
    Armbrüster: Was ist das denn eigentlich für eine Koalition dieser drei Männer oder dieser drei Staaten? Ist das tatsächlich ein Bündnis, oder gibt es da jetzt sozusagen einen tiefen Riss zwischen den beiden, Iran und Russland auf der einen Seite und der Türkei auf der anderen?
    Steinberg: Also eine Koalition ist das überhaupt nicht, sondern das ist nur ein Format, das diese drei Staaten gefunden haben, um über Syrien zu reden, und diesen Riss gibt es schon von Anbeginn. Russland und Iran stehen auf der Seite des Assad-Regimes, die Türkei hat lange Zeit einen Sturz des Assad-Regimes gefordert, hat dafür auch viel getan, hat ausländische Kämpfer ins Land gelassen, hat lokale Gruppierungen, die vor allem die salafistischen Ahrar al-Scham, die freien Männer von Syrien, gefördert, wahrscheinlich auch gute Beziehungen zur Nusra-Front unterhalten. Also diesen Riss gibt es ohnehin, die Seiten haben sich angenähert, vor allem deshalb, weil die Türkei ihre Prioritäten in den letzten zwei, drei Jahren etwas geändert hat.
    Die Türkei hat sich nämlich darauf versteift, die syrischen Kurden, die aus Sicht Ankaras zur PKK gehören, zunächst einmal einzudämmen, vielleicht sogar ihre faktische Autonomie im Norden des Landes zu beenden, und um dieses Ziel zu erreichen, hat die Türkei die Verhandlungen geführt und hat letzten Endes für dieses Ziel seine Verbindungen zu den syrischen Aufständischen geopfert. Wahrscheinlich werden wir jetzt sehen, dass Idlib irgendwann eingenommen wird, die Aufständischen vollkommen geschlagen sind und die Türkei dann gleichzeitig ein Ziel doch erreicht, nämlich die syrischen Kurden besser unter Kontrolle zu bekommen.
    Armbrüster: Herr Steinberg, die Telefonleitung ist etwas schwach. Wir hören da viele Aussetzer. Vielleicht, wenn das für Sie möglich ist, könnten Sie mit dem Apparat etwas näher an ein Fenster gehen, dann haben wir die Erfahrung gemacht, dann geht das etwas leichter.
    Steinberg: Ja, mache ich.
    Armbrüster: Lassen Sie uns noch einmal blicken auf diese drei unterschiedlichen Parteien. Könnte es jetzt sein, wenn das tatsächlich jetzt eine Offensive geben wird gegen die Region Idlib, könnten wir dann auch erleben, dass sozusagen iranische und russische Kräfte gegen die Türkei kämpfen werden? Also werden sozusagen möglicherweise neue Mächte in diesen Krieg hineingezogen, die sich gegenseitig bekämpfen?
    Steinberg: Das ist theoretisch möglich. In der Provinz Idlib gibt es zwölf sogenannte Beobachtungsposten der türkischen Armee, die sind weit auf syrischem Territorium und besetzt somit etwa tausend Mann. Ich gehe allerdings fest davon aus, dass die syrischen Truppen und ihre iranischen und russischen Verbündeten alles tun werden, damit diese Beobachtungsposten nicht getroffen werden. Vielleicht werden wir sogar sehen, dass die Türken sich in den nächsten Tagen vor Beginn einer Offensive zurückziehen. Es gibt auf beiden Seiten überhaupt kein Interesse an einer militärischen Konfrontation. Beide Seiten wissen, dass das sehr gefährlich wäre, aber die Gefahr besteht ganz einfach deshalb, weil sich türkische Truppen, iranische Milizen und russische und syrische Truppen in Syrien auf syrischem Territorium gegenüberstehen.
    Armbrüster: Und die übrige Welt, der Westen, schaut dem Ganzen einfach zu.
    Steinberg: Ja, das haben wir in den letzten Tagen beobachten müssen. Es gibt einige sehr schwache Äußerungen aus Washington, eine humanitäre Katastrophe doch bitte zu verhindern. Es gibt Warnungen, dass die USA reagieren könnten, wenn wiederum vom syrischen Regime Giftgas eingesetzt wird, aber das ist doch angesichts der Fragen, um die es da geht, nämlich die möglicherweise anstehende Eroberung einer Provinz, in der zwischen zwei und dreieinhalb Millionen Menschen leben, sehr, sehr schwach. Die USA haben kaum Einfluss, die Europäer ohnehin keinen.
    Zwei Möglichkeiten zur Rettung der Zivilisten
    Armbrüster: Lassen Sie uns auf diese Provinz, auf diese Region blicken. Wer lebt da eigentlich noch in dieser Region Idlib? Wie setzt sich die Bevölkerung dort zusammen?
    Steinberg: In Idlib lebt zunächst einmal die Bevölkerung, die dort schon seit Jahren lebt. Das sind so etwas anderthalb Millionen Menschen, weit überwiegend arabische Sunniten, die den Aufstand auch überwiegend unterstützt haben. Also diese Region ist seit 2011, 2012 spätestens, eine der großen Hochburgen des Aufstands. Hinzu kommen viele Syrer, die in den letzten Jahren ihre Heimatgebiete nach Evakuierungen verlassen mussten, und diese Heimatgebiete waren auch Hochburgen der Aufständischen, wie zum Beispiel in Ost-Aleppo oder im östlichen Grüngürtel von Damaskus, und ganz, ganz wichtig: In dieser Region haben viele islamistische Gruppierungen, aber auch einige Gruppierungen ohne ideologische Prägung ihre Hochburgen, und die stärkste Gruppe, um die es da geht, die ist die sogenannte Nusra-Front, die sich mittlerweile mehrfach umbenannt hat, der örtliche syrische Ableger der al-Qaida. Das sind zwischen 10- und 20.000 Mann, die diese Organisation kontrolliert, und das ist der wichtigste Gegner der Regimetruppen in dieser Gegend.
    Armbrüster: Ganz kurz zum Schluss, Herr Steinberg, die Frage, gibt es irgendeine Chance, dass die Zivilisten, die normalen Bürger, die in dieser Region leben, abziehen können, bevor es dort zu einer Offensive kommt?
    Steinberg: Es gibt zwei Möglichkeiten, eine ist praktisch, eine etwas theoretisch. Sie können nach Norden abziehen in Gebiete, die ohnehin von der Türkei besetzt sind, kurdische Gebiete um die Stadt Afrin, und wir können eigentlich nur hoffen, dass die Türkei darüber hinaus ihre im Moment sehr gut gesicherte Grenze nach Idlib hin öffnet, um Flüchtlinge in die Türkei zu lassen. Anders wird nicht zu verhindern sein, dass sehr, sehr viele Menschen bei dieser anstehenden Offensive sterben werden.
    Armbrüster: Guido Steinberg, Nahost-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik über die Konferenz gestern in Teheran und die weitere Zukunft in den kommenden Tagen in Syrien. Vielen Dank, Herr Steinberg, für das Gespräch!
    Steinberg: Ich danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.