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Nahostexperte erwartet inoffizielle Gespräche mit dem Iran

Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, erwartet im Atomstreit mit dem Iran eine Doppelstrategie des Westens. In inoffiziellen Gesprächen könne weiter nach einer Verhandlungslösung gesucht werden, während auf Ebene des Weltsicherheitsrates darüber nachgedacht werde, "die Daumenschrauben gegenüber Iran anzuziehen".

    Christoph Heinemann: Geberkonferenz für den Wiederaufbau des Libanon in Stockholm, gleichzeitig läuft das Ultimatum der Vereinten Nationen ab, die Frist, innerhalb welcher der Iran die Uran-Anreicherung beenden soll. Kommt gar nicht in Frage, hat der iranische Präsident Ahmadinedschad gerade noch einmal klargestellt. Einziges Angebot aus Teheran ist eine Fernsehdebatte des iranischen Staatschefs mit seinem US-Kollegen, wozu sich George Bush erwartungsgemäß nicht bereit erklärte, obwohl ein Tete-a-tete der beiden Amateurtheologen sicherlich seinen Reiz gehabt hätte.

    Wir sind am Telefon verbunden mit Volker Perthes, dem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Tag!

    Volker Perthes: Schönen guten Tag!

    Heinemann: Herr Perthes, war die UNO klug beraten, ein Ultimatum zu stellen, oder wird so etwas in der iranisch-islamischen Kultur von Vornherein als Unverschämtheit aufgefasst?

    Perthes: Niemand lässt sich gern ein Ultimatum stellen. Das gilt nicht nur für Iran oder islamische Kultur. Das gilt sicherlich auch für andere Staaten. Stellen Sie sich mal vor, der UNO-Sicherheitsrat würde den Vereinigten Staaten ein Ultimatum stellen, ihren Verpflichtungen aus dem Nuklearwaffensperrvertrag, nämlich der Abrüstung nachzukommen. Das würde auch nicht gut ankommen. Aber tatsächlich sind Ultimaten immer eine zweischneidige Sache, wenn man vor allem nicht weiß, was an Maßnahmen man gemeinsam, also im Rahmen des Sicherheitsrates, beschließen wird, wenn die andere Seite das Ultimatum verstreichen lässt und wenn man zweitens relativ sicher davon ausgehen kann, dass die andere Seite das Ultimatum verstreichen lässt, einfach weil sie innenpolitisch das Gesicht wahren will, weil sie nicht bereit ist so dazustehen, als würde sie sich internationalem Druck beugen.

    Heinemann: Das heißt, die Diplomaten arbeiten oder haben bisher nicht mit den richtigen Werkzeugen gearbeitet?

    Perthes: Sie haben an vielen Stellen schon mit den richtigen Werkzeugen gearbeitet. Sie haben ja neben dem Ultimatum, was vielleicht nicht der allergeschickteste Schritt ist, obwohl man irgendwie deutlich machen muss, dass man es ernst meint in der internationalen Gemeinschaft, auch ein sehr umfangreiches Angebot dem Iran gemacht an wirtschaftlichen Hilfen, an Hilfen auch in der Zusammenarbeit, was die Kernenergie betrifft, auch das Angebot, eine regionale Sicherheitskonferenz oder ein regionales Sicherheitsforum für die Region des Persischen Golfs auf den Weg zu bringen. Das ist schon ziemlich wichtig. Und die Iraner haben das ja auch klugerweise bisher nicht abgelehnt. Insofern denke ich, was kluge Diplomatie hier weiter machen wird - und ich erwarte das tatsächlich auch - ist, dass man sagt, das Ultimatum ist zwar verstrichen und man wird im Sicherheitsrat insbesondere unter den permanenten fünf Mitgliedern plus Deutschland darüber nachdenken, ob es nicht auch eine Möglichkeit gibt, die Daumenschrauben gegenüber Iran anzuziehen, aber gleichzeitig werden die Europäer das Gespräch mit Iran weiterführen und weiter suchen. Das werden dann nicht offizielle Verhandlungen sein, sondern eher Gespräche über Verhandlungen, ob man nicht doch noch auf der Grundlage des europäischen Angebots zu einer für beide Seiten oder für alle Seiten gesichtswahrenden Lösung kommt.

    Heinemann: Stärkt oder schwächt die äußere Bedrohung des Iran das Mullah-Regime?

    Perthes: Das ist schwer zu sagen. Kurzfristig ist es so, dass, wenn der Eindruck entsteht, dass die Amerikaner oder dass Israel dabei wäre, einen Angriff auf Iran vorzubereiten, dies tatsächlich die Iraner zusammenrücken lässt und notfalls auch hinter einem ungeliebten oder jedenfalls bei großen Teilen der Bevölkerung, nicht bei der Mehrheit, aber bei großen wichtigen Teilen unbeliebten Regime zusammenrücken lässt. Wenn internationale Maßnahmen eher etwas feinerer und besser ausgedachter Natur sind, also wenn es darum geht, etwa die Auslandskonten von hohen Klerikern aufzudecken, oder wenn es darum geht, einzelnen hohen Regime-Repräsentanten das Reisen zu verbieten, oder wenn man sich glaubwürdig um Menschenrechte im Iran Gedanken macht, dann kann man damit eher Sympathie auch unter der iranischen Bevölkerung gewinnen.

    Heinemann: Herr Perthes, stimmt eigentlich die Bedrohungsanalyse oder anders gefragt: Wie gefährlich wäre eine iranische Atombombe für Israel, für die USA oder überhaupt für den Westen?

    Perthes: Erst einmal sind wir noch lange, lange nicht so weit, dass es eine iranische Atombombe gäbe. Das sagen auch die Berichte des amerikanischen Geheimdienstes, die immer sagen, in fünf bis zehn Jahren kann der Iran die Fähigkeit haben, eine Atombombe herzustellen. Und wir sind ja nun in einem Prozess, wo wir sagen, wir wollen gar nicht erst, dass Iran die technischen Fähigkeiten, die auch für anderes genutzt werden könnten, für eine Bombe erstellt.

    Selbstverständlich würde eine iranische Atomrüstung, wenn es denn in einigen Jahren dazu käme, eine Gefährdung der regionalen Situation darstellen, nicht so sehr, weil wir davon ausgehen könnten, dass Iran nun mit Raketen und Atombomben Israel beschießen würde oder gar mit Langstreckenraketen nach Europa oder in die USA zielen würde, sondern eher, weil wir davon ausgehen müssten, dass andere Staaten in der Region - das gilt für Saudi-Arabien, das gilt vielleicht für die Türkei, das gilt für Ägypten, das gilt möglicherweise sogar für weiter entfernte Staaten wie Algerien -, dass auch diese Staaten auf die Idee kämen, dass es vielleicht gut wäre, wenn sie eine Nuklearrüstung hätten. Das heißt, wir hätten einen nuklearen Rüstungswettlauf in der Region, und dies würde sehr wohl die gesamte regionale Lage destabilisieren.

    Heinemann: Wie geht es jetzt weiter? Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es wegen des iranischen Atomprogramms zu einem bewaffneten Konflikt kommen könnte?

    Perthes: Ich denke, dass die kluge Diplomatie, über die wir eingangs gesprochen haben, alles daran setzen muss, dies zu verhindern, weil das würde - das haben wir im Irak gesehen, das haben wir im Libanon gesehen - überhaupt nichts lösen, sondern es würde die Möglichkeit, ein ziviles Miteinander zwischen der islamisch-arabischen Welt und dem Westen in irgendeiner Weise hinzukriegen, auf lange Sicht unterminieren, wenn nicht gar zerstören. Es gibt die Drohung der USA, es gibt auch die Drohung Israels, dass man eine Atombombenkapazität Irans nicht hinnehmen werde. Ich glaube, es gibt auch genügend kluge Leute in der iranischen Führung, die das sehr wohl verstanden haben, die sich jetzt zwar nicht beugen wollen einer Sicherheitsratsresolution, die sie als Diktat verstehen, die aber gleichzeitig wissen, wenn man seine eigenen nationalen Interessen und auch seine eigenen Sicherheitsinteressen wahren will, dass man letztlich an irgendeiner Stelle zu Kompromissen bereit sein muss. Und der Kompromiss kann nur heißen, dass Iran zwar Atomforschung betreibt, aber eben nicht so weit, dass etwa hohe Anreicherung dabei ist, dass etwa eine Atomwaffenkapazität entsteht.

    Heinemann: Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Perthes: Ja, danke auch.