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Nationalratswahl in Österreich
Petzner: Kurz versucht, einen Keil in die FPÖ zu treiben

Der parteilose Politikberater Stefan Petzner hält trotz Spesen- und Ibiza-Affäre eine erneute Koalition zwischen Sebastian Kurz' ÖVP und FPÖ für möglich. Grund dafür sei, dass es an Alternativen mangele, sagte er im Dlf. Die Frage sei nur, ob die Rechtspopulisten fünf Jahre in der Regierung durchhielten.

Stefan Petzner im Gespräch mit Stephanie Rohde | 28.09.2019
Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Diskussion der österreichischen Spitzenkandidaten in der Sendung "Wahl 19" |
Man dürfe nicht vergessen, dass die Koalition aus ÖVP und FPÖ vor der Regierungskrise in Österreich sehr beliebt war, sagte Stefan Petzner im Dlf (picture alliance / APA / picturedesk.com / Hans Leitner)
Stephanie Rohde: Dass die Trauminsel Ibiza zum Alptraum werden kann haben Sebastian Kurz und seine rechtskonservative Koalition im Mai erfahren, da wurde das Ibiza-Video veröffentlicht, in dem der Chef der rechten FPÖ einer angeblichen russischen Investorin Staatsaufträge gegen Wahlkampfhilfe anbot und von einem illegalen Parteispendensystem erzählte. Strache trat daraufhin als FPÖ-Chef und Vizekanzler zurück, und Kurz wurde durch ein Misstrauensvotum zu Fall gebracht. Morgen wählen die Österreicher ein neues Parlament. Nachdem die rechtskonservative Regierung von Sebastian Kurz über der Ibiza-Affäre zerbrochen ist, hat Kurz gute Chancen auf einen erneuten Wahlsieg, und die FPÖ hat kurz vor der Wahl die nächste Affäre am Hals.
Darüber möchte ich sprechen mit Stefan Petzner, er war früher Abgeordneter der rechten FPÖ, über viele Jahre Wegbegleiter von Jörg Haider, ist dann aus der Partei ausgetreten und arbeitet heute als parteiloser Politikberater. Guten Morgen!
!Stefan Petzner:!! Guten Morgen aus Wien!
Rohde: Hat Österreich den Ibiza-Alptraum vergessen, und nach der Wahl bleibt alles wie beim Alten?
Petzner: Das Ibiza-Video ist kurz vor der EU-Wahl damals aufgetaucht, das hat der FPÖ bei der EU-Wahl bereits wenig geschadet. Das hat einen Grund, dass es der FPÖ gelungen ist, wie wir das kennen von rechtspopulistischen Parteien, den Diskurs schnell zu drehen – nämlich weg vom Inhalt des Videos, hin zu der kriminellen Herstellung, die tatsächlich kriminell war.
Dossier zur Wahl in Österreich
Dossier zur Wahl in Österreich (imago images / Michael Gruber)
Rohde: Wissen Sie das schon, das ist ja nicht bewiesen.
Petzner: Das ist ...
Rohde: Das sind nur Vermutungen, das wird ja ermittelt.
Petzner: Der Innenminister Wolfgang Peschorn hat in Interviews in Österreich bestätigt, dass es hier kriminelle Hintermänner gibt und die Spuren Richtung Balkanmafia gehen. Und die FPÖ hat von Anfang an verstanden, sich in eine Art Opferrolle zu begeben. Das heißt, das Ibiza-Video an sich hätte der FPÖ wenig geschadet, was aber dazugekommen ist, ist, dass vor wenigen Tagen der ehemalige Bodyguard von Heinz-Christian Strache vom Parteiobmann in Untersuchungshaft genommen wurde und eine Spesenaffäre die FPÖ jetzt zusätzlich belastet. Und das wird doch - das schadet jetzt massiv im Wahlkampf, deshalb ist auch mit einem größeren Minus zu rechnen.
Petzner: Spesenaffäre schadet FPÖ "sogar mehr als die Ibizza-Affäre"
Rohde: Aber wieso schadet das, und die Ibiza-Affäre schadet kaum?
Petzner: Weil die FPÖ als Partei des kleinen Mannes hier nicht in die Opferrolle schlüpfen kann und schriftliche Belege vorliegen, dass der Herr Strache eine Spesenpauschale von 10.000 Euro pro Monat durch die Partei, das heißt durch den Steuerzahler, finanziert bekam. Das kann die FPÖ, die vorgibt, die Partei der kleinen Leute zu sein, der einfachen Arbeiter, schlichtweg nicht erklären. Das kommt auch zu knapp und das schadet ihr sogar mehr als die Ibiza-Affäre.
Rohde: Das heißt, Sie prognostizieren, dass die FPÖ abstürzt morgen?
Petzner: Das Ziel der FPÖ war, eine Zwei vorne stehen zu haben, sie hatte ja bei der letzten Wahl um die 26 Prozent. Sie wollte bei dieser Wahl die 20-Prozent-Hürde überspringen. Das dürfte durch die jüngste Spesenaffäre nicht gelingen, sondern die FPÖ wird knapp unter 20 Prozent landen, so zumindest meine Prognose.
Rohde: Lassen wir uns auf die ÖVP schauen, auch dort gab es ja Affären. In den vergangenen Wochen hat die Wiener Zeitung "Falter" mehrfach berichtet über Spenden und vor allem die hohe Verschuldung der ÖVP. Die ist trotzdem in Umfragen stark. Liegt das an Kurz, der quasi als Teflonkanzler alles an sich abperlen lässt?
Stefan Petzner, ehemaliger Pressesprecher und Generalsekretär von Jörg Haider (FPÖ)
Stefan Petzner, ehemaliger Pressesprecher und Generalsekretär von Jörg Haider (FPÖ) (dpa-Zentralbild / Karlheinz Schindler)
Petzner: Na ja, es ist schon auch in diesem Wahlkampf der türkise – Türkis ist ja die Parteifarbe der ÖVP, die neue –, der türkise Lack ist ein bisschen ab. Wir dürfen nicht vergessen, dass er unmittelbar nach Neuwahlausrufung bei 38 Prozent in den Umfragen lag, mittlerweile liegt er bei 33, 34 – das heißt er sinkt, aber auf sehr, sehr hohem Niveau.
Zur Parteiverschuldung: Die Wiener Stadtzeitung "Falter" ist ein Nischenblatt ähnlich der deutschen "taz", und der ÖVP ist es gelungen, eine breite Berichterstattung vor allem in den Boulevardmedien über diese hohe Verschuldung und diese Zusammenhänge zu verhindern. Das heißt, das ist bei den Leuten schlichtweg nicht durchgedrungen, da hat die ÖVP sehr gute PR-Arbeit geleistet.
"Kurz versucht, einen Keil in die FPÖ zu treiben"
Rohde: Wie würden Sie den Kurs von Kurz bewerten? Er hat ja einerseits gesagt, er will die rechtsextremen Identitären verbieten, hat damit die FPÖ unter Druck gesetzt, gleichzeitig schließt er eine Koalition nicht aus. Ist das zweigleisig, was Kurz da macht?
Petzner: Er versucht, einen Keil in die FPÖ zu treiben, die aus mehreren Flügeln besteht, und versucht, den rechts-rechten Flügel – und es gibt diese Verbindungen zu den Identitären –, den versucht er, unter Druck zu setzen. Ob das für Koalitionsverhandlungen klug ist, sei dahingestellt. Die FPÖ fährt ja auch eine Zwei-Personen-Strategie. Norbert Hofer, der bei der Bundespräsidentschaftswahl, erinnern wir uns, an die 50 Prozent der Stimmen bekam, gibt den Staatsmann, den Konsilianten, Bürgerlichen. Und Hermann Kickl, der ehemalige Innenminister, tritt sehr, sehr scharf mit sehr, sehr aggressiven, offensiven Ansagen auf, um das Kernpublikum, die Kernwählerschaft der FPÖ zu mobilisieren. Kurz hat auch klargemacht, dass er Kickl keinesfalls in einer kommenden Koalition sitzen haben will, die FPÖ besteht darauf. Insofern werden Koalitionsverhandlungen nicht einfach in Österreich.
"Kurz spielt und gibt mitunter die bessere, smartere FPÖ"
Rohde: Kurz hat ja immer wieder betont, dass es einen Gegensatz gibt zwischen Volk und Parlament. Klaut er damit eigentlich die Strategie der FPÖ?
Petzner: Er übernimmt teilweise das Strategiemuster und auch wörtliche Aussagen, die wir schon aus der Zeit Jörg Haiders kennen, das heißt in einem Satz gesagt, er spielt und gibt mitunter die bessere, smartere FPÖ, das ist korrekt.
Rohde: Kurz hat ja gesagt, genug ist genug. Kann er es sich jetzt nach der Wahl leisten zu sagen, ich will doch noch mehr von der FPÖ?
Petzner: Man darf aus Umfragen nicht vergessen, dass diese Koalition, das heißt die Koalition aus ÖVP und FPÖ eine sehr beliebte Koalition bei den Österreichern war mit sehr, sehr hohen Zustimmungsraten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie sehr harmonisch regiert hat, es bis zur Ibiza-Affäre keine Streitereien gab, man große Reformen, Steuerreformen, Familienbonus und auch in der Migrationsfrage massiv gehandelt hat. Das heißt, die Regierung war beliebt, insofern ist eigentlich eine Fortsetzung dieser Regierung, so kurios das klingen mag, trotz aller Skandale auch laut Umfragen eine der Wunschkoalitionen, die die Österreicherinnen und Österreicher haben – auch mangels Alternativen, muss man sagen.
Rohde: Und würden Sie sagen, das ist auch eine gute Möglichkeit?
Petzner: Wie meinen Sie eine gute Möglichkeit?
Petzner: Die Frage ist, ob die FPÖ fünf Jahre lang durchhält
Rohde: Ich stelle die Frage anders. Die Migrationspolitik, die hat ja im letzten Wahlkampf eine sehr, sehr große Rolle gespielt, jetzt fast gar nicht mehr. Werden die beiden Parteien überhaupt noch inhaltlich zusammenkommen und tatsächlich ein Programm voranbringen können?
Petzner: Die Überschneidungspunkte sind da, auch in der Wirtschafts- und Steuerpolitik. Die beiden Parteien vertreten eh ähnliche Programme, das heißt, eine Zusammenarbeit wäre durchaus möglich. Die Frage ist, ob die FPÖ – in Österreich ist die Regierungsdauer ja fünf Jahre – fünf Jahre durchhält. Sie haben das im Beitrag angesprochen, Heinz-Christian Strache spielt nach wie vor eine Rolle, es tauchen laufend neue Enthüllungen auf. Da muss man die Frage stellen, ist die FPÖ ein verlässlicher Regierungspartner, der fünf Jahre lang durchhält. Das ist das, was den Sebastian Kurz vor allem beschäftigen wird, aber noch einmal, seine Schwierigkeit ist, dass er fehlende Alternativen hat.
Rohde: Wie sieht es denn aus mit den Grünen? Kurz hat ja im Wahlkampf sehr viel von Klimaschutz gesprochen, ist das nicht auch eine Offenheit für die Grünen, die er da signalisiert hat?
Petzner: Die Schwierigkeit wird, dass eine Regierung zwischen diesen beiden Parteien knapp oder gar nicht ausgeht. Laut derzeitigen Umfragen wird sich diese Variante nicht ausgehen, knapp nicht ausgehen. Daher ist die dritte alternative Möglichkeit, eine Dreierkoalition zu machen, nämlich aus ÖVP, Grünen und den Neos. Die Neos sind vergleichbar mit der deutschen FDP. Das ist in Österreich - das, was Merkel in Deutschland versucht hat und ihr Jamaika nennt, könnte auch Kurz in Österreich versuchen. Das Problem ist, dass hier die Differenzen zwischen den einzelnen Parteien sehr, sehr groß sind, und die Frage ist, ob dieses Dreierbündnis wirklich zustande kommt. Ich verweise nur auf das Beispiel Migrationspolitik, wo natürlich naturgemäß die Grünen völlig unterschiedliche Positionen vertreten wie die ÖVP, die die freiheitliche Linie übernommen hat. Das heißt, wir stehen vor sehr, sehr schwierigen Koalitionsverhandlungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.