Freitag, 19. April 2024

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Nationalstraße 7
Resümee der Reise durch Frankreich

Von Paris bis nach Menton sind Anne Raith und Andreas Noll in dieser Woche unterwegs gewesen. Mit dem Auto haben sie sich Etappe für Etappe Richtung Süden bewegt, auf der Nationalstraße 7. Sie haben ihr Ziel erreicht.

Katrin Michaelsen im Gespräch mit Anne Raith und Andreas Noll | 31.03.2017
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    Der Grenzübergang zwischen Frankreich und Italien war für unsere Reporter die letzte Station auf der Nationalstraße 7. (Andreas Noll)
    Katrin Michaelsen: Was hat Sie am meisten beeindruckt?
    Andreas Noll: Uns hat am meisten erstaunt und beeindruckt, wie zugewandt die Menschen waren. Als wir begonnen haben, hatten nicht mehr als eine Sammlung von Terminen, Telefon-nummern und jede Menge Neugier, um vor Ort mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und das ist uns an wirklich jeder einzelnen Etappe gelungen.
    Wenn ich mich an unserer Start erinnere , gleich nach unserer Abreise in Paris hatten wir zum Beispiel etwa 100 Kilometer südlich in der Nähe von Châlette-sur-Loing unser erstes Interview mit dem Landwirt Cédric Boussin, der uns gleich seinen Hof gezeigt und von seinen Sorgen erzählt hat. Seine Frau, die auch Landwirtin ist, hat sich gleich ins Gespräch eingeklinkt und die beiden haben uns dann via Twitter unsere ganze Reise weiter verfolgt.
    Oder – ein anderes Beispiel - unser Gesprächspartner in Le Luc im Süden, der wollte sich dann unbedingt mit uns treffen, um über den Front National zu sprechen und wir haben uns so lange unterhalten, dass seine Frau irgendwann angerufen hat. Die stand nach einer OP mit gepackter Tasche vor dem Krankenhaus und wollte unbedingt abgeholt werden.
    Es gab eigentlich jeden Tag ein Erlebnis, dass uns abends noch nachhaltig beeindruckt hat.
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    Sie haben ihr Ziel erreicht: Andreas Noll und Anne Raith etwas erschöpft von der Reise am Grenzübergang in Menton. (Andreas Noll )
    Michaelsen: Was bewegt die Menschen wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich?
    Anne Raith: Eine Sorge, die sich von unserer ersten Station im Département Loiret eigentlich bis zum Schluss in Menton durchgezogen hat, ist die Angst um den Arbeitsplatz. Im Loiret zum Beispiel sind viele Industriearbeitsplätze verloren gegangen, viele hangeln sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag oder sind in den vergangenen Jahren arbeitslos geworden. Aber auch hinter den Landwirten dort, das ist ein sehr landwirtschaftlich geprägtes Département, liegt ein schlimmes Jahr mit enormen Ernteausfällen und einer sehr hohen Suizidrate. Und hier im Süden, in der Provence zum Beispiel, waren es Minen, die geschlossen wurden, ohne, dass etwas Neues entstanden ist.
    Und das schafft ein unglaublich hohes Frustpotential und das war die andere Konstante, die uns auf all unseren Stationen begegnet ist. "Raz-le-bol" nennen die Franzosen das. Sie haben die Schnauze voll, sie sind enttäuscht von der Politik in Paris, die an ihrer Lage nichts hat ändern können, ob links oder rechts, sie sind angewidert von den Affären, die sie in den Medien verfolgen, überall läuft der Fernseher in den Cafés, in denen wir saßen, und sie haben ganz unterschiedliche Konsequenzen daraus gezogen:
    Indem sie extrem links wählen, wie unsere Gesprächspartner zu Beginn der Reise, oder indem sie rechtsextrem wählen, wie zuletzt viele Menschen, mit denen wir im Süden gesprochen haben, im Département Var zum Beispiel. Hier paart sich der eigene Frust dann nicht selten mit Wut gegen Flüchtlinge oder Zuwanderer, auch der zweiten oder dritten Generation, also die schon längst Franzosen sind.
    Wir haben ein solches Gespräch zum Beispiel mit einem Angler in Menton geführt, wo ja immer wieder Flüchtlinge versuchen, die Grenze zwischen Italien und Frankreich zu passieren, die schon sehr lange wieder kontrolliert wird und die nicht wenige lieber ganz dicht sähen.
    Daneben gibt es aber auch viele Franzosen, mit denen wir gesprochen haben, die überhaupt keine Ahnung haben, wen sie wählen sollen, die total ratlos sind, für wen sie am 23. April stimmen sollen. Und das ist ja auch eine große Furcht der Parteien in Frankreich, dass viele Wähler einfach zu Hause bleiben werden.
    Michaelsen: Früher eine Sehnsuchtsstraße. Was ist die Route National 7 heute?
    Noll: Für viele ältere Franzosen ist sie das tatsächlich noch, eine Sehnsuchtsstraße. Bei manchen musste man nur "N7" sagen und dann sprudelten sie los, haben Geschichten erzählt, wie sie selbst als Kind auf der Rückbank eines Autos Richtung Süden saßen, stundenlang im Stau häufig, auf dem Weg in die Ferien. Oder auch, wie die N7 das Leben in den Dörfern entlang der Strecke geprägt hat.
    In der Provence sind wir zum Beispiel mit Christian ins Gespräch gekommen, einem Automechaniker, der die Werkstatt seines Großvaters direkt an der Nationalstraße 7 übernommen hat und in der dritten Generation führt. Er wuselte bei unserem Gespräch in einer bis unters Dach mit alten Werbeschildern und Ersatzteilen vollgestopfte Werkstatt rum und dort hat er uns gleich alte Fotos der Strecke gezeigt und von früher erzählt.
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    Christian in seiner Autowerkstatt in Le Cannet-les-Maures, direkt an der Nationalstraße 7. Er führt die Werkstatt bereits in der dritten Generation. (Andreas Noll)
    Aber die Nostalgie bröckelt, im wörtlichen Sinne: Gerade im Norden ist die Nationalstraße 7 heute zerstückelt. Wir haben manchmal wirklich nicht gewusst, wo die Strecke weitergeht, weil die N7 in weiten Teilen keine Nationalstraße mehr ist, sondern umbenannt wurde. Sich hier in Urlaubsstimmung zu versetzen, im Norden, stelle ich mir wirklich schwer vor.
    Doch irgendwann kommt er mit Wucht, der Charme. Hinter Lyon, im Süden, wird die Landschaft schöner, die N7 schlängelt sich an der Rhône entlang durch die Weinanbaugebiete und dann kommen die Provence, die Côte d’Azur. Da gibt es natürlich auch Industriegebiete, aber in weiten Teilen ist das eine wirklich wunderschöne Strecke.
    Aber, das war dann häufig für uns auch ein Problem: Wer Autobahn gewöhnt ist, vergisst allerdings, wie lange man auf der Landstraße für die 1.000 Kilometer unterwegs sein muss, um anzukommen. Da ist dann eher der Weg das Ziel.