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NATO und die Türkei
Mitgliedschaft steht nicht in Frage

NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat die Türkei ermahnt, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu respektieren. Ein Vorgehen der NATO gegen das Mitgliedsland Türkei ist innerhalb des Bündnisses allerdings kein Thema. Im Gegensatz zur Europäischen Union fehlen der Militärallianz dafür die Sanktionsinstrumente.

Von Kai Küstner | 21.07.2016
    Stoltenberg spricht und gestikuliert im Nato-Presseraum. Im Hintergrund sieht man unscharf den "NATO"-Schriftzug.
    NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat erklärt, die Türkei müsse den vollen Respekt vor der Demokratie und ihren Institutionen sicherstellen. (DPA / EPA / OLIVIER HOSLET)
    Mit herausstechend scharfen Tönen gegenüber der Türkei ist die NATO bislang nicht aufgefallen. Auch eine Stellungnahme nach der Verkündung des Ausnahmezustands durch Präsident Erdogan gibt es bislang nicht. Aber mit der Behauptung, die NATO versiegle ihre Lippen und schweige zu den Vorgängen in ihrem Mitglieds-Land Türkei, täte man der Allianz auch Unrecht. Der NATO-Generalsekretär hatte am Montag mit Präsident Erdogan telefoniert und verschickte anschließend eine schriftliche Erklärung - kurz nachdem die EU eine deutliche Warnung in Richtung Ankara ausgesandt hatte. Der Zeitpunkt dürfte kein Zufall gewesen sein - die meisten EU-Staaten sind zugleich Mitglied in der Militär-Allianz:
    "Die Türkei ist Teil einer Werte-Gemeinschaft. Es ist entscheidend, dass die Türkei – wie alle Alliierten – den vollen Respekt vor der Demokratie und ihren Institutionen sicherstellt. Den Respekt vor der Verfassung, dem Rechtsstaat und den Grundfreiheiten."
    Heißt es in der Erklärung von Jens Stoltenberg. Dass den mahnenden Worten auch in irgendeiner Form Taten folgen, ist indes so gut wie ausgeschlossen. "Die Türkei ist ein wichtiger Alliierter, die Mitgliedschaft steht nicht in Frage", sagte jetzt ein NATO-Offizieller dem ARD-Hörfunk.
    Rauswurf der Türkei steht nicht zur Debatte
    Zum einen gilt, unausgesprochen, zwischen den NATO-Partnern das Prinzip der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten. Zum anderen fehlen dem Militär-Bündnis - anders als der EU, die etwa mit einem Abbruch der Beitritts-Verhandlungen drohen kann - die Sanktions-Instrumente. Weshalb diese Worte von US-Außenminister John Kerry wohl kaum als versteckte Rauswurf-Drohung missverstanden werden dürfen:
    "Auch in der NATO gibt es Vorgaben mit Blick auf die Demokratie. Die NATO wird in der Tat sehr genau bewerten, was passiert."
    So Kerry am Montag in Brüssel. Bereits vier Mal hat das Militär in der Türkei geputscht, seit das Land NATO-Mitglied ist – drei Mal übernahm es tatsächlich die Macht, am vergangenen Wochenende scheiterte es. Infrage gestellt wurde eine Mitgliedschaft der Türkei im Militär-Bündnis in keinem der Fälle ernsthaft. Auch jetzt wird das nicht passieren. Was nichts daran ändert, dass man mit größter Sorge in Richtung Bosporus blickt. Sowohl für die NATO als auch für die EU ist die Türkei von strategisch extrem großer Bedeutung. Sie ist nun einmal gleichzeitig europäischer und syrischer Nachbar. Auch wenn der deutsche Außenminister Steinmeier von gegenseitiger Abhängigkeit spricht:
    "Der Blick auf die Landkarte lehrt uns: Da ist nicht nur Syrien, da ist auch der Irak. Und die Türkei wird wissen, dass man hier nicht nur die USA, sondern auch die Europäer braucht, wenn man zu Fortschritten kommen will."
    Strafaktionen sind ausgeschlossen
    Trotz der Untätigkeit - bei der NATO würde man in jedem Fall bestreiten, dass sie nicht genug Wert auf die Einhaltung demokratischer Prinzipien in ihren Mitgliedsstaaten legt. Im Vorwort zur Gründungs-Akte der NATO, dem Nordatlantik-Vertrag, ist schwarz auf weiß festgehalten, dass sich die Allianz der Demokratie verpflichtet sieht. Als der polnische Präsident Duda im Januar zu Gast im NATO-Hauptquartier war, erinnerte Generalsekretär Stoltenberg ihn und sein Land auch genau daran:
    "Die Grundwerte der NATO, Demokratie, individuelle Freiheit und Rechtsstaat, sind wichtig für alle Alliierten. Und sie sind wichtig für die gesamte Allianz."
    Bei der Aufnahme von Neu-Mitgliedern spielt es durchaus eine entscheidende Rolle, in welcher demokratischen Verfassung ein Land ist. Bei NATO-Mitgliedern, die es mit der Demokratie nicht mehr so ernst nehmen, ist die Lage verzwickter: Einen in den Verträgen vorgesehenen Strafmechanismus oder gar den, sich von so einem Land zu trennen, gibt es nämlich schlicht nicht. Und ist im Falle der Türkei, wie ein Offizieller sich ausdrückt, ohnehin "vollkommen hypothetisch".