Mittwoch, 15. Mai 2024

Archiv

NBA
Bedroht Technik die Faszination Basketball?

Die NBA hat als erste Liga ihr komplettes Archiv mit allen spielstatistischen Daten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das passt in die Zeit. Millionen von Fans spielen Basketball am Computer, wo die Spieler anhand von Korbtreffern, Rebounds und anderen Kennzahlen bewertet werden. Eine Dimension geht dabei verloren: das spontane Geniale.

Von Jürgen Kalwa | 01.01.2015
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    Eine Weiterentwicklung des Basketballs sollte nicht "in Richtung Roboter" gehen, findet Dirk Nowitzkis Trainer Holger Geschwindner. (dpa/Larry W)
    In seinen besten Momenten hat Basketball etwas Tänzerisches. Rhythmisches. Kreatives. Und lebt von der Kunst der Improvisation. Wie sich das anfänglich eher steife, statische Spiel dahin entwickelt hat, haben Kulturhistoriker häufig beschrieben. Die Wurzeln fürs spontane Geniale liegen dort, wo auch der Jazz herkam – im schwarzen Amerika in der Mitte des 20. Jahrhunderts.
    Die stilprägenden Interpreten dieses Spiels wie "Dr. J.", Earl "the Pearl" Monroe, Magic Johnson, Michael Jordan waren allesamt schwarze Amerikaner. Sie mischten Sprungkraft, Ballfertigkeit, schnelle Reflexe, Sinn für den Nebenmann mit einer besonderen Lust daran, das alles äußerst showgerecht vorzuführen. Sehr zum Vergnügen des Publikums.
    Basketball als Analysepool
    Parallel dazu hat sich Basketball wie kaum eine andere Sportart zu einem Laboratorium für etwas völlig Unsinnliches entwickelt: für auf lauter Zahlen basierende Analysen und Erklärungsmuster. Zu Jazz mit akademischem Anstrich. Je mehr Afro-Amerikaner das Spiel dominierten, desto mehr. Hauptverantwortliche: Die Trainer. Weiße Trainer, besorgt um ihre Rolle als Autoritätsfiguren gegenüber jungen, selbstbewussten, schwarzen Spielern.
    Ihr Hilfsmittel: Kolonnen aus Datensätzen. Korbtreffer, Wurfversuche, Rebounds, Vorlagen, Blocks, Ballverluste, alles wird ermittelt. Es wird addiert und dividiert. Auf Kernaussagen reduziert. Ein Nebeneffekt: Das Kreative am Spiel wird trivialisiert.
    Kurioserweise interessiert sich vor allem in den USA auch das Publikum inzwischen in wachsendem Maße für diese scheinbar objektiven Informationen. Es passt zu der Perspektive, die man entwickelt, wenn man Sport auf der Playstation spielt. Von einem Jazz-Gefühl ist dort nichts mehr zu spüren.
    Datenbank für Freunde der Statistik
    Da ist es nur konsequent, dass die NBA unlängst einen leistungsfähigen Software-Entwickler anheuerte. Der erarbeitete eine spezielle Webseite, auf der sich alle Daten bis zurück auf die Anfänge der Liga in den vierziger Jahren abgreifen lassen. Und wo alle neuen Informationen fünf Minuten nach jedem Spiel zur Verfügung stehen. Für Trainer, für die Statistik-Experten in den Teams und für die Anhänger der Liga.
    Frank Wheeler vom amerikanischen Ableger der deutschen Firma SAP, die diese anspruchsvolle Statistik-Plattform erstellte und mit Multimedia-Möglichkeiten vernetzte:
    "Sie muss in der Lage sein, zehntausende von Nutzern gleichzeitig zu bedienen. Was sie bietet, sind nicht nur 4,6 Billiarden verschiedene Datenkombinationen. Ein sogenannter Video-Boxscore gibt die Möglichkeit, die Zahlen eines aktuellen Spielers anzuklicken. Man bekommt dann dessen Index mit allen Korbwürfen der gesamten Saison. Und dazu Videos von jedem dieser Würfe."
    Grenzen der Weiterentwicklung
    Woraus das Genusserlebnis besteht? Sicher nicht aus dem Reiz des Unberechenbaren, wie er im Jazz steckt. Weshalb dort wohl auch noch niemand versucht hat, alle Noten zu zählen, die ein John Coltrane gespielt hat. Oder die, bei denen er daneben lag.
    Mag sein, dass Trainer aus solchen Datensätzen etwas ziehen, was sie in der Vorbereitung ihren Spielern eintrichtern können. Doch was diese Datenflut dem großen Publikum wirklich bringt, ist nicht klar. Der gelernte Mathematiker und Physiker Holger Geschwindner, Entdecker und Trainer von Dirk Nowitzki, der sich seit Jahren mit wissenschaftlichen Trainingsmethoden beschäftigt und wegen seiner unkonventionellen Ideen früher jedenfalls belächelt wurde, ist durchaus am Einsatz von Software und Computern im Sport interessiert. Doch die Frage bleibt immer auch? Zu welchem Zweck:
    "Unser Konzept war ja 'B-ball ist Jazz'. Meine Grundüberlegung geht nach wie vor dahin, wenn sich die Sportart überhaupt weiterentwickeln soll, dann kann das nicht in Richtung Roboter gehen, sondern in Richtung von "Let's dance the game". Wenn das irgendwann schöner und kunstvoller werden soll, dann muss es eine Kombination geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es spannend wird für Zuschauer, wenn Roboter programmiert analytisch sauber Schach spielen. Wenn 'Big Blue' auftaucht, geht die Faszination vom Sport verloren."