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Netzpolitik
Internetaktivist: Gesamtvision längst überfällig

Ein ständiger Bundestagsausschuss zur Netzpolitik "wäre schon mal ein Fortschritt", sagt Markus Beckedahl vom Verein "Digitale Gesellschaft". Bei einem an das Innenministerium angegliederten Internetminister sei allerdings derzeit mehr Überwachung zu befürchten.

Markus Beckedahl im Gespräch mit Mario Dobovisek | 21.11.2013
    Mario Dobovisek: Das Internet ist allgegenwärtig, E-Mails senden, Chatten, Nachrichten lesen, Reisen buchen, Einkaufen, Radio hören. Doch gibt es politischen Streit ums Netz, Beispiel Vorratsdatenspeicherung. Dann fühlt sich in der Politik entweder niemand zuständig, oder gleich alle: Innenressort, Wirtschaft, Justiz, Verbraucherschutz, Kultur und so weiter. Jeder entwickelt da so seine eigenen Internet-Strategien.
    Markus Beckedahl ist Netzaktivist, Blogger, Vorsitzender des Vereins "Digitale Gesellschaft" und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Beckedahl.
    Markus Beckedahl: Guten Morgen!
    Dobovisek: SPD und Union schlagen im Rahmen ihrer Koalitionsverhandlungen einen ständigen Bundestagsausschuss zur Netzpolitik vor. Reicht das, oder braucht die Große Koalition ein Internetministerium?
    Beckedahl: Es wäre schon mal ein Fortschritt, wenn es einen Hauptausschuss zu netzpolitischen Fragen im kommenden oder jetzigen Bundestag geben würde. Das ist übrigens eine Empfehlung der Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft, die in der letzten Legislaturperiode getagt hat. Aber ein Hauptausschuss alleine kann es doch nicht sein. Dieser sollte und muss in der Bundesregierung gespiegelt werden. Dort müsste eigentlich mal dieser Wildwuchs aufhören, dass verschiedene Ministerien, wie Sie schon angesprochen haben, sich für das Thema zuständig fühlen, aber die Koordinierung bisher fehlt.
    Dobovisek: Mit welchen Kompetenzen sollte eine Stelle in der Bundesregierung dieses realisieren?
    Beckedahl: Zuerst müsste eine solche Stelle in der Bundesregierung mal anfangen, diese ganzen Initiativen, die es ja in den Ministerien gibt, zu einer Gesamtstrategie zusammenzuführen und nach vorne zu bringen – einerseits vernetzt mit Initiativen, die es aus der Europäischen Union, von Partnerländern zu erwarten gibt, oder die schon laufen, andererseits auch mal eine Gesamtvision entwickeln, was wir in Deutschland machen.
    Dobovisek: Sprechen wir da über einen Minister, einen Staatsminister, oder vielleicht nur einen Beauftragten der Bundesregierung?
    Beckedahl: Im Moment sind verschiedene Modelle im Spiel, von einem Innenstaatssekretär über einen Staatsminister im Kanzleramt bis zu einem reinen Internetminister. Für alle diese Positionen spricht etwas und etwas spricht dagegen. Die Frage ist: ist die Bundesregierung schon so weit, jetzt aus vielen Ministerien die wichtigen Zukunftsabteilungen herauszubrechen, zu einem neuen Innenministerium zusammenzufügen, was natürlich ein schönes Signal wäre. Und die viel wichtigere Frage ist: Gibt es überhaupt jemanden, der dieses Amt auch richtig ausfüllen könnte.
    Dobovisek: Gestern hieß es kurz, im Innenministerium gäbe es entsprechende Pläne für einen Internetminister. Schnell bemühte sich der BMI-Sprecher allerdings, das zu dementieren. Die Digitalisierung sei eine Kernfrage der Innenpolitik, hieß es da. Ist der Bundesinnenminister, speziell Innenminister Friedrich die richtige Adresse für netzpolitische Fragen?
    Beckedahl: Unser Problem bestand in den letzten Jahren, dass der Innenminister sich irgendwie als Internetminister fühlte, allerdings beim Internet immer nur an Überwachung dachte. Und wir befürchten, dass ein Staatssekretär unter einem Innenminister, womöglich noch unter Herrn Friedrich, eigentlich zukünftig nur damit beschäftigt sein wird, mehr Überwachung auszubauen und eine Netzpolitik zu machen, der wir nicht trauen können.
    Dobovisek: Schauen wir uns doch mal einen Vorschlag des amtierenden Innenministers an. Friedrich plädiert für den Aufbau einer eigenen europäischen IT- und Internetstruktur, um sich von den USA und deren Geheimdiensten unabhängig zu machen, sozusagen ein Schengen-Internet. Ein realistischer Vorschlag?
    Beckedahl: Das ist zumindest ein Vorschlag, der in der vergangenen Woche von der Deutschen Telekom gemacht wurde, und sagen wir mal aus Datenschutzsicht spricht einiges für die Idee, dass wir jetzt erst mal nicht unsere ganzen Datenpakete über die ganze Welt schicken und zahlreiche Geheimdienste diese abfangen. Allerdings wir wissen immer noch nicht, wie unser eigener Bundesnachrichtendienst, aber auch die Geheimdienste unserer Nachbarländer in das NSA-System verflochten sind. Es steht zu befürchten, dass so ein Schengen-Netz beim eigentlichen Ziel, nämlich ein Abgreifen der NSA und ihrer Partnergeheimdienste zu verhindern, nichts bringen wird, wenn dafür dann zukünftig in den Niederlanden oder in Dänemark oder in Schweden oder in Frankreich unsere Daten abgegriffen werden.
    Dobovisek: Unsere Daten werden ja vor allen Dingen auch in den USA selbst abgegriffen, dort wo wir nämlich freiwillig unsere Daten hinschicken: zum Beispiel über E-Mail-Dienste wie GMail oder auch die Social Media Dinge wie Facebook zum Beispiel. Die sitzen ja alle in den USA. Was brächte diese Überlegung überhaupt?
    Beckedahl: Diese Überlegung brächte erst mal, dass wir wahrscheinlich europäische, deutsche Unternehmen stärken würden, die als Qualifikation, als Verkaufsargument eine vertrauenswürdigere Verbindung anbieten könnten, ohne dass der Datenverkehr explizit in andere Länder geleitet wird. Ob das so auch klappen wird, muss man sehen. Vor allen Dingen haben wir noch nicht über die ganzen Kollateralschäden, die möglicherweise zu erwarten sind, in anderen netzpolitischen Debatten wie der Netzneutralität ausreichend geredet. Insofern ist dieser Vorschlag eines Deutschland-Netzes, eines Schengen-Netzes erst mal da. Ich würde ihn aber noch nicht als Gott gegeben ansehen.
    Dobovisek: Bleiben wir doch einen Moment bei dem Stichwort Netzneutralität, also der Frage, ob alle Nutzer im Internet gleich behandelt werden müssen, in Deutschland vor allem bekannt durch die Diskussion um die Drosselpläne der Telekom. Hier hatte bereits die schwarz-gelbe Bundesregierung ein Versprechen abgegeben und nicht gehalten. Wo könnte die Reise jetzt hingehen?
    Beckedahl: Ja das wissen wir noch nicht so genau. Es gibt einen ausführlichen Text in der Unterarbeitsgruppe Digitale Agenda, die im Rahmen der Koalitionsverhandlungen tagt und Netzpolitik diskutiert, zum Thema Netzneutralität. Und wenn man diesen Text genau liest, könnte man nach einem ganzen langen Absatz zu dem Entschluss kommen, eigentlich steht dadrin, dass es so weiterlaufen soll wie bisher. Da steht zwar drin, dass man die Netzneutralität achten möchte, aber so viel steht zwischen den Zeilen, dass das auch wieder das genaue Gegenteil bedeuten könnte. Insofern muss man mal abwarten, wie ernst es diese kommende Regierung wirklich meint, wer Wirtschaftsminister wird und was letztendlich zum Schluss dabei herauskommt.
    Dobovisek: Wie ernst es die verhandelnden Partner meinen, sehen wir auch beim Stichwort Datenschutz, das wir vorhin schon kurz angesprochen haben. Das SWIFT- und das Safe Harbor Abkommen regeln den Austausch von Daten mit den USA. Und ursprünglich hieß es angesichts der NSA-Affäre in der Arbeitsgruppe, die Bundesregierung solle in der EU darauf drängen, die Abkommen auszusetzen. Jetzt heißt es offenbar bloß noch, die Bundesregierung soll auf Nachverhandlungen drängen. Hat Union und SPD der Mut verlassen?
    Beckedahl: Ja, hier hat man eindeutig den verlassenen Mut gesehen in dieser Umformulierung. Die Hauptherausforderung mit diesen Datentransfer-Verträgen ist ja, dass sie unter vollkommen falschen Voraussetzungen abgeschlossen worden sind. Damals haben die USA Europa versprochen, dass selbstverständlich unser europäischer Datenschutz gewährleistet wird beim Verarbeiten der Daten in den USA. Nur unter dieser Voraussetzung sind diese Verträge geschlossen worden. Mittlerweile wissen wir, wir sind komplett angelogen worden, und das sollte doch die Hauptvoraussetzung sein, diese Verträge erst mal zu kündigen, und dann kann man immer noch nachverhandeln. Ich glaube, das wäre auf jeden Fall die bessere Verhandlungsposition, wenn man sich erst mal hinstellt und sagt, das geht nicht und dann können wir neu darüber reden, anstatt zu sagen, können wir jetzt vielleicht mal ein bisschen nachverhandeln.
    Dobovisek: ... , sagt der Netzaktivist und Blogger Markus Beckedahl, Vorsitzender des Vereins "Digitale Gesellschaft", zu den netzpolitischen Plänen von Union und SPD. Ich danke Ihnen! – Und die Homepage, wo wir beim Thema sind, vom Deutschlandfunk ist eine neue seit Montag, und die erreichen Sie unter www.deutschlandfunk.de.
    Markus Beckedahl, geboren 1976. Netzpolitischer Aktivist aus Berlin. 2002 gründete er netzpolitik.org.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.