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"Der Justizminister hätte früher reagieren müssen"

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) hat den Vorwurf des Landesverrats gegen die Betreiber des Blogs Netzpolitik.org im DLF als "lächerlich" bezeichnet. Alle Beteiligten seien politisch unsensibel gewesen - auch Justizminister Heiko Maas habe Fehler gemacht.

Gerhart Baum im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.08.2015
    Gerhart Baum wartet am 07.07.2015 im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Baden-Württemberg) auf den Beginn der mündlichen Verhandlung zum BKA-Gesetz
    Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) kritisiert das Strafverfahren in Sachen Netzpolitik.org (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    "Generalbundesanwalt Harald Range hätte die Ermittlungen überhaupt nicht aufnehmen dürfen", sagte Baum. Allerdings habe schon Verfassungsschutzpräsident Hans-Geog Maaßen mit dem Gutachten zu seiner Strafanzeige die Grundlage dafür gelegt - und könne sich nun nicht damit herausreden, seine Anzeige nur gegen Unbekannt gestellt zu haben. "Landesverrat ist ein Verbrechen, Mindeststrafe ein Jahr Haft", erklärte Baum. "Das richtet sich immer auch an die Journalisten." Bei diesem Delikt seien alle Beteiligten im Fokus der Ermittlungsbehörden.
    Insgesamt dränge sich der Verdacht auf, dass ein Exempel statuiert und kritische Journalisten eingeschüchtert werden sollten. "Das ist gehörig schief gegangen", urteilte der frühere Bundesinnenminister. "Es führt kein Weg daran vorbei: Das Verfahren muss eingestellt werden."
    Justizminister Maas hätte das Verfahren schon viel früher stoppen müssen - und noch eine weitere Botschaft an den Generalbundesanwalt richten sollen: "Ich hätte mir gewünscht, dass der Justizminister ihm mal zu verstehen gibt, dass er mal in Sachen NSA ermittelt", so Baum. "Das wäre eine politische Entscheidung, die angemessen wäre."

    Das komplette Interview:
    Christoph Heinemann: Und wie Justizminister Heiko Maas hat nun auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel Zweifel am Vorwurf des Landesverrats gegen die Journalisten. Der Justizminister habe die volle Unterstützung der Bundeskanzlerin, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz in Berlin. Unterdessen wurde bekannt, dass die Internetseite des Generalbundesanwalts von bislang unbekannten Hackern angegriffen worden sei. Derzeit sind auf der Homepage generalbundesanwalt.de keine Pressemitteilungen mehr auffindbar, dort heißt es unter dem Button "Aktuelles" lediglich: Datenbank existiert nicht. Darauf wies die Deutsche Presseagentur hin.
    - Am Telefon ist der Rechtsanwalt und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum, FDP, guten Tag!
    Gerhart Baum: Guten Tag!
    Heinemann: Herr Baum, konnte zu irgendeinem Zeitpunkt von Landesverrat die Rede sein?
    Baum: Nein, niemals. Und dazu braucht es jetzt auch keine Expertisen, das ist ja einfach lächerlich. Die Ermittlungen müssen eingestellt werden und der Justizminister hätte früher reagieren müssen. Wir haben ja jetzt ein sehr klares Wort von Herrn Maas vor einigen Tagen gehört. Er hat erkannt die Brisanz der Sache, aber das Justizministerium hatte bereits am 19. Mai Kenntnis davon, dass jetzt wegen Landesverrat ermittelt wird. Und da hätte er eingreifen müssen oder eingreifen lassen müssen. Signalisiert, es ist etwas signalisiert worden, was ist signalisiert worden, ist dem Generalbundesanwalt mit aller Deutlichkeit gesagt worden, dass hier auf keinen Fall ein Landesverrat vorliegt. Das ist uns bisher nicht dargelegt worden.
    Heinemann: Aber genau darüber berichtet ja heute die "Süddeutsche Zeitung", dass das Ministerium sehr früh signalisiert habe, man halte diesen Verdacht für falsch. Hätte der Generalbundesanwalt nicht darauf reagieren müssen?
    Baum: Natürlich, alle Beteiligten waren politisch unsensibel. Natürlich hätte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen überhaupt gar nicht aufnehmen müssen. Aber es ist etwas passiert, was bisher im Hintergrund ist, aber eben schon von Frau Geuther genannt worden ist: Am 5. Mai hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Weichen umgestellt auf Landesverrat. Ein Gutachten ist vorgelegt worden, Landesverrat. Das heißt, eine Veröffentlichung, die einen schweren Nachteil für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nach sich zieht. Ich möchte dieses Gutachten mal sehen. Warum lernen wir das Gutachten nicht kennen? Wer hat es gehabt, hat es das Justizministerium gehabt, der Innenminister gehabt? Also, wenn Herr Maaßen sich herausreden will, dann kann er das nicht. Landesverrat ist ein Verbrechen, Mindeststrafe ein Jahr Haft. Das richtet sich immer auch gegen die Journalisten, also nicht gegen unbekannt. Er hat gezündelt und der Generalbundesanwalt hat das aufgenommen. Das hätte ich an seiner Stelle niemals gemacht.
    Heinemann: Aber Herr Maaßen verteidigt sich damit, es sei einzig und alleine Sache der Strafverfolgungsbehörden zu entscheiden, ob sich Ermittlungen nun gegen Durchstecher – also die Quellen der Information – oder auch gegen die Personen, die zur Veröffentlichung beitragen, also gegen die Journalisten richten. Das ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden!
    Baum: Nein, das stimmt nicht. Wenn es Landesverrat ist, und das hat Herr Maaßen unterstrichen mit einem Gutachten, Herr Range hat ja ein Gutachten angefordert, hat noch mal nachgefragt, ist es ein Dienstgeheimnis oder ein Staatsgeheimnis. Dann hat Herr Maaßen gesagt, das ist Landesverrat, und damit waren die Weichen gestellt. Und damit waren die Journalisten voll im Fokus. Dann gab es überhaupt keine Alternative. Alle sind bei diesem Delikt im Fokus der Verfolgungsbehörden. Also, ich frage auch, ist die Aufsicht richtig wahrgenommen worden vom Bundesjustizministerium, hat der Bundesjustizminister sich berichten lassen von Herrn Range, wie die Sache steht, ist er informiert worden, bevor Herr Range das veröffentlicht hat? Alles dies ist im Dunkeln. Und im Grunde ist es unzumutbar, dass wir hier herumstochern und keine klare Auskunft bekommen! Wenn ich im Bundestag wäre, würde ich beide Minister, die Ausschüsse des Bundestags einladen und sie bitten, genauer Auskunft zu geben!
    Heinemann: Entschuldigung, noch mal zur Ursache: Das Bundesamt für Verfassungsschutz sagt, die in Rede stehende Strafanzeige habe sich jedenfalls in jedem Fall gegen unbekannt gerichtet, also nicht gegen Namen und auch nicht gegen ein konkretes Strafmaß. Die Arbeitsteilung ist doch wohl so, dass – gegen einen konkreten Verdacht –, die Arbeitsteilung ist doch so, dass darüber dann tatsächlich Karlsruhe entscheiden muss?
    Baum: Ja, aber die Arbeitsteilung ist so, dass das Bundesamt diese Veröffentlichung bewerten kann mit den Kenntnissen, die nur das Bundesamt hat. Das ist ja die Behörde, der Nachrichtendienst, den die ganze Umstände kennt. Also, die Weichen sind am 5. Mai von Herrn Maaßen in Richtung auf Landesverrat, das heißt auch in Richtung auf die Journalisten gestellt worden, und da geht kein Weg dran vorbei.
    Heinemann: Aber was blieb dem Verfassungsschutzpräsidenten dann übrig, diesen Verdacht zur Anzeige zu bringen?
    Baum: Er hat ja die Anzeige geändert. Er hat ja am Anfang nicht auf Landesverrat gesetzt, er hat das ja nachgeschoben. Dass er eine Strafanzeige in die Wege leitet, ist eine Sache, das hätte er meines Erachtens auch hier nicht tun können. Und die Veröffentlichungen sind ja schon früh im Jahr durch andere Zeitungen erfolgt. Also, es drängt sich auf, dass hier ein Exempel statuiert werden sollte, ein Einschüchterungsversuch gemacht worden ist. Und das ist gröblichst schiefgegangen. Und es geht wirklich nichts dran vorbei an der Entscheidung vorbei, die jetzt getroffen werden muss, jetzt getroffen werden muss, das Verfahren muss eingestellt werden.
    Heinemann: Und der Generalbundesanwalt hat dabei mitgemacht, ein Exempel zu statuieren!
    Baum: Natürlich hat er mitgemacht, meine Vorwürfe richten sich auch gegen ihn, er hätte es gar nicht aufnehmen müssen. Warum noch eine Expertise? Also, dass dieser Tatbestand nie und nimmer erfüllt war, das war klar. Und Herr Maaßen hat es ja vor einigen Tagen deutlich zum Ausdruck gebracht, nur hätte er es früher in dieser Deutlichkeit Herrn Range müssen. Dazu hat er bisher nichts erklärt.
    Heinemann: Herr Baum, wenn der Bundesjustizminister – was zu erwarten ist in dieser Woche – erklären sollte, dass es sich im Fall netzpolitik.org jetzt eben nicht um Landesverrat handelt – haben Sie ja auch selber gerade gesagt –, wäre der Generalbundesanwalt dann komplett desavouiert?
    Baum: Natürlich, er ist schon desavouiert worden durch die Erklärung, die Herr Maas vor zwei Tagen abgegeben hat, wo er gesagt hat, er sieht den Tatbestand als nicht erfüllt an. Desavouiert ist Herr Range auf jeden Fall. Er hat nicht politisch sensibel gehandelt. Herr Maaßen hat nicht politisch sensibel gehandelt. Und die Ministerien, ist mein Eindruck, haben die Brisanz der Angelegenheit nicht erkannt oder wollten es gar.
    Heinemann: Ist der Generalbundesanwalt überfordert?
    Baum: Das weiß ich nicht, ob der überfordert ist. Also, ich hätte mir gewünscht, dass der Justizminister ihm mal zu verstehen gibt, dass er – der Generalbundesanwalt – jetzt in Sachen NSA ermittelt. Das wäre eine Sache gewesen, die eine politische Entscheidung der Regierung hätte sein müssen. Offenbar ist das nicht geschehen. Da hätte der Generalbundesanwalt angehalten werden müssen, in dieser Richtung zu ermitteln.
    Heinemann: Herr Baum, jetzt haben wir in fünf Minuten schon zwei schwere Fehler des Herrn Range herausgearbeitet. Sollte er zurücktreten?
    Baum: Nein, ich bin kein Freund von Rücktrittsforderungen. Ich habe in meinem Leben so viele Rücktrittsforderungen erlebt. Ich möchte mich mit der Sache auseinandersetzen und ich möchte jetzt endlich wissen, was schiefgelaufen ist.
    Heinemann: Entschuldigung, würden Sie das auch sagen, wenn Herr Range kein FDP-Parteifreund von Ihnen wäre?
    Baum: Das spielt für mich überhaupt keine Rolle. Das, wirklich spielt überhaupt keine Rolle. Wissen Sie, in meinen Presseäußerungen der letzten Jahre habe ich auf die FDP wenig Rücksicht genommen, wenn sie kritikwürdig war.
    Heinemann: Wir haben ja eben schon herausgearbeitet und die "SZ" schreibt das heute auch noch mal, warum sich alle Beteiligten derart verheddert haben, ist völlig unklar. Können Sie das erklären?
    Baum: Sie haben die Brisanz der Angelegenheit nicht erkannt und haben eben das einfach laufen lassen. Also, es ist eine Kette von Fehlern, die da passiert sind, von allen Beteiligten.
    Heinemann: Und was sollten alle Beteiligten aus diesem Verfahren lernen?
    Baum: Sie sollten jetzt erst mal uns informieren, damit wir klar wissen, was passiert ist. Und dann sollten sie in solchen Fällen supervorsichtig sein. Es geht schließlich um die Pressefreiheit, es geht um die Pressefreiheit! Und wir würden uns ja alle nicht so aufregen, wenn das nicht der Fall wäre. Hier sollte ein Blog – den ich im Übrigen selbst abonniert habe – eingeschüchtert werden, ein Blog, der wertvolle Informationen liefert für die politische Diskussion, der Informationen liefert über die Fehler der Nachrichtendienste, so etwas brauchen wir. Und die Demokratie wäre ärmer, wenn wir diese Diskussion nicht aufgrund von klaren Fakten führen könnten.
    Heinemann: Ist die Institution Generalbundesanwaltschaft beschädigt?
    Baum: Das glaube ich nicht. Aber was beschädigt ist, ist das Vertrauen in den Verfassungsschutz. Ich war ja selber mal zuständig für den Verfassungsschutz. Das wichtigste Kapital für den Verfassungsschutz ist das Vertrauen, das er genießt und genießen muss in der Öffentlichkeit. Und das ist jetzt aufs Spiel gesetzt worden.
    Heinemann: Der Rechtsanwalt und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum, FDP, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Baum: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.