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"Netztauglichkeit ist ein Kriterium für Kommunikationsfähigkeit"

In Berlin geht heute die re:publica zu Ende - die Konferenz für die digitale Gesellschaft. Jakob Augstein, Verleger des "Freitag", glaubt, dass sowohl Politiker als auch Journalisten in Sachen Netztauglichkeit "noch sehr viel zu lernen haben".

Jakob Augstein im Gespräch mit Christoph Heinemann | 15.04.2011
    Christoph Heinemann: "Klassentreffen der Internet-Szene", so hat eine Nachrichtenagentur die Veranstaltung überschrieben. Auf der re:publica treffen sich Blogger und Internet-Bewohner einmal im Jahr, um das Verhältnis zwischen Netz und Gesellschaft oder und Politik auszuloten. Die im Netz zu lesende Selbstbeschreibung der Veranstaltung, die heute in Berlin endet, darin heißt es unter anderem: "Die re:publica darf sich zurecht rühmen, Spiegel und Forum der digitalen Gesellschaft zu sein. Es gibt im europäischen Raum kein Event mit einer vergleichbaren Heterogenität und einem ähnlich weit gefassten Themenspektrum von Kunst, Medien und Kultur über Politik und Technik bis hin zu Entertainment."

    Mit von der Partie ist in Berlin Jakob Augstein, der Herausgeber und Geschäftsführer der Wochenzeitung Der Freitag. Guten Morgen!

    Jakob Augstein: Hallo! Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Augstein, was nehmen Sie von der Veranstaltung mit nach Hause, oder mit in Ihre Zeitung?

    Augstein: Mit nach Hause nehme ich die freudige Erkenntnis, dass diese Szene, diese Blogger-Szene wächst und gedeiht und keineswegs dabei ist, sich schon wieder aufzulösen. Da gab es ja zwischendurch in den letzten Monaten Zeitungsartikel, die das nahegelegt haben. Die re:publica wird jedes Jahr größer. Ich glaube, deren einziges Problem dieses Jahr war, dass so viele Leute gekommen sind, dass die in die Säle nicht mehr reinpassten.

    Heinemann: Die re:publica will unter anderem Sprachrohr für digitale Bürgerrechte sein, eine kampagnenorientierte netzpolitische Organisation. Ist das Ziel der Marsch durch die Institutionen so wie die Grünen, oder eher die Ruhestörung von außen so wie Greenpeace?

    Augstein: Ja nun, ich bin nicht der Pressesprecher der re:publica. Da müssten Sie die Kollegen selber fragen. Ich weiß auch nicht, ob es für so eine Messe - und das sind die ja in Wahrheit - sinnvoll ist, sich jetzt so weit reichende gesellschaftspolitische Ziele zu setzen. Vielleicht liegt so ein bisschen der Größenwahn in dem spielerischen Aspekt dieser digitalen Community. Was ich richtig finde, ist, wenn die sich um Netzpolitik kümmern, wenn die sich um Datenfreiheit kümmern, wenn die sich beschäftigen mit Themen wie Whistleblowing oder Wikileaks. Das sind natürlich alles Sachen, die die betreffen, und von da können die natürlich auch sehr wichtige Impulse geben in unsere Gesellschaft, die sich ja mit einigen von diesen Aspekten in Wahrheit immer noch sehr, sehr schwer tut.

    Heinemann: Die Frage nach Grünen oder Greenpeace richtete sich ein bisschen in die Vergangenheit. Ist die Internet-Thematik das, was grünes Gedankengut mal vor 30 Jahren war, nämlich das Thema der Zukunft?

    Augstein: Ja, aber auf eine andere Art und Weise. Ich glaube nicht, dass sie eine Massenbegeisterung, eine Massenbewegung hinbekommen über das Internet. Das ist eben doch kein Thema, sondern eben doch nur ein Medium. Dort entsteht eine bestimmte Kultur, da gibt es Leute, die haben bestimmte Interessen. Ich glaube aber nicht, dass das vergleichbar ist mit der grünen Bewegung, nein.

    Heinemann: Herr Augstein, Sie haben Wikileaks eben angesprochen. Man könnte noch weiter hinzuführen die Jasmin-Revolutionäre in der arabischen Welt, oder im nationalen Rahmen Gutten- und VroniPlag, das sind die Fußnotenjäger und -Sammler. Das sind insgesamt noch ungeordnete, aber durchaus ja schon erfolgreiche Versuche, der Geschichte ins Lenkrad zu greifen. Sehen Sie auch Risiken und Nebenwirkungen dieser Entwicklung?

    Augstein: Na ja, es gibt natürlich bei allen Neuerungen Risiken und Nebenwirkungen. Die Frage ist, ob die überwogen werden von den positiven Errungenschaften. Ich sehe das absolut, dass das Positive überwiegt. Ich halte die Veröffentlichung der State Departement Files im vergangenen Jahr durch Wikileaks für einen riesigen demokratie- und politiktheoretischen Schritt nach vorne. Ich halte es auch für einen riesigen Schritt nach vorne, dass dort die neuen und die alten Medien zusammengearbeitet haben. Viele Leute haben sich die letzten drei, vier Jahre darüber den Kopf zerbrochen, ob da nicht eine ganz schlimme Konkurrenz entsteht zwischen Netz-Journalismus, Bürger-Journalismus, Communities auf der einen Seite und den klassischen Medien auf der anderen Seite. Durch die Entscheidung von Wikileaks, die Files zu veröffentlichen, gemeinsam mit sehr renommierten internationalen Medien, hat sich ja gezeigt, dass eigentlich am besten allen gedient ist, wenn man zusammenarbeitet, und das hat ja sehr, sehr gut funktioniert. Das macht mich ehrlich gesagt für die Zukunft extrem optimistisch.

    Heinemann: Befürchten Sie nicht, dass Denunzianten ihr Mütchen kühlen könnten?

    Augstein: Das war immer so und das wird auch immer so sein. Das konnten sie auch in der Vergangenheit nicht verhindern. Dem können sie ja nur am besten vorbeugen durch einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen Daten, und deshalb sage ich ja gerade, dass Wikileaks eben diese doch sehr, sehr sensiblen und potenziell ja auch gefährlichen Daten ganz verantwortungsvoll veröffentlicht hat, in Kooperation mit Medien wie dem Guardian, dem Spiegel und der New York Times, die ja nun wirklich international die allerhöchste Reputation haben für verantwortungsvollen Umgang mit Informationen, das zeigt doch, dass die das auch erkannt haben, dass man eine Verantwortung übernimmt. Hier in Deutschland macht jetzt Daniel Domscheit-Berg, der früher bei Wikileaks gearbeitet hat, sein eigenes Leaking-Projekt, Open Leaks wird es heißen. Er hat noch mal strengere Maßgaben, ist er gerade dabei zu erarbeiten, für den verantwortungsvollen Umgang mit den Daten. Also ich glaube, dass diese Blogger- und Internet-Szene natürlich auch lernt. Ich meine, wir sind jetzt ja nicht mehr Mitte der 90er, wo die auch gedacht haben, man müsse die ganze Welt sozusagen in die Luft jagen. Ich glaube, das läuft so nicht. Ich glaube, dass die eine sehr kritische, ein sehr kritisches Element darstellen in dem öffentlichen Diskurs und dass wir sehr, sehr dankbar sein können dafür, dass es die gibt, denn die wiederbeleben auch den Journalismus, sie treten auch den Journalisten auf die Füße und sagen, hier habt ihr zu lange geschlafen, hier müsst ihr mal wieder lebendiger werden, und ich glaube, dass wir alle davon profitieren.

    Heinemann: Wird das Netz zum Ort des Politischen, so wie jetzt das Bierzelt, der Marktplatz, die Talkshow oder das Deutschlandfunk-Interview?

    Augstein: Das ist es ja längst!

    Heinemann: Danke!

    Augstein: Das ist es natürlich längst, weil das Netz ist ein Ort der Kommunikation und ich meine, in der Kommunikation im Bierzelt, im Deutschlandfunk-Interview wird halt manchmal totaler Schwachsinn geredet und manchmal sehr kluge Sachen, und es liegt halt an uns, dafür zu sorgen, die Qualität zu steigern und uns das jeweils Gute rauszuholen. Es wäre aber falsch, einen Kommunikationsort oder ein Medium zu verteufeln, nur weil dort auch Blödsinn geredet wird. Dann müssten wir die Kommunikation ganz einstellen.

    Heinemann: Wir reden kluge Sachen mit Jakob Augstein, dem Herausgeber und Geschäftsführer der Wochenzeitung Der Freitag. - Herr Augstein, Gerhard Schröder hat sich während seiner Kanzlerschaft zu Bild, BAMS und Glotze bekannt. Ist Netztauglichkeit künftig ein Kriterium für das politische Überleben?

    Augstein: Ja, meiner Meinung nach schon. Netztauglichkeit ist ein Kriterium für Kommunikationsfähigkeit in Zukunft. Das gilt für Politiker und auch für Journalisten. Ich glaube, dass beide Gruppen da auch noch sehr viel zu lernen haben. Ich glaube, dass weder die Journalisten ausreichend darauf vorbereitet sind, mit den Netzquellen zusammenzuarbeiten, und ich glaube auch, dass die Politiker nicht darauf vorbereitet sind, im Netz Wahlkampf zu machen, um es mal klar zu sagen. Ich meine, schauen Sie sich an die wirklich verzweifelten Versuche der SPD, im Bundestagswahlkampf 2009 irgendwie einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Das war ganz schrecklich, weil die gedacht haben, man könne die hierarchischen Prinzipien, die Kontrollprinzipien, die Steuerungsprinzipien, die in so einem Apparat üblich waren bisher, auch auf das Netz übertragen, und das funktioniert nicht. Das Netz ist ein inhärent freiheitsliebendes Medium und sie müssen Kontrolle loslassen können, wenn sie sich ins Netz bewegen, und wenn sie sich das nicht trauen, weil sie Angst vor Kontrollverlust haben, dann sind sie im Netz tatsächlich falsch.

    Heinemann: Kontrolle loslassen, sagen Sie. Bisher waren Profundes und Profanes etwa im Journalismus sauber voneinander getrennt, oder jedenfalls ziemlich sauber voneinander getrennt. Das Netz ist ja beides, Philosophikum und Müllkippe. Kann diese Nachbarschaft gut gehen auf Dauer?

    Augstein: Wenn Sie finden, dass Profundes und Profanes in der Zeitung bisher sauber voneinander getrennt war, dann, finde ich, sind Sie sehr wohlmeinend gegenüber den Zeitungen. Ich glaube, ...

    Heinemann: Sagen wir mal Boulevard und das, was Sie eben als kluge Gedanken beschrieben haben. Sagen wir mal so. Das war getrennt bisher.

    Augstein: Auch da sind die Übergänge, so weit ich das überblicken kann, fließend, um es mal vorsichtig zu formulieren, aber das macht ja auch gar nichts, und das ist natürlich im Netz auch nicht anders. Schlagen Sie nicht den Boten für die Botschaft. Das Netz ist einfach nur eine Straße, da kann alles mögliche drüber rollen, da kann ein Milchwagen, ein Eiswagen und ein Panzer drüber rollen, das bedeutet erst mal gar nichts. Ich meine, die Frage ist halt, wie die Angebote funktionieren, die im Netz präsentiert werden. Spiegel Online ist ein Informations- und Boulevard-Medium gleichzeitig und damit sehr, sehr erfolgreich.

    Heinemann: Jakob Augstein, Herausgeber und Geschäftsführer der Wochenzeitung Der Freitag. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Augstein: Danke, Ihnen auch. Tschüß!

    Link zum Thema:

    Homepage der re:publica