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Neu im Kino
In anderen Kreisen unterwegs

Eine junge Frau ergattert einen Job in einem sektenähnlichen Internetkonzern. Ein Verkehrspilot wird zum CIA-Spitzel. Und zwei Österreicher geben sich für eine TV-Sendung als Zuwanderer aus. Zwei Hollywoodproduktionen und eine österreichische Filmsatire über Menschen, die in neue Rollen schlüpfen.

Von Jörg Albrecht | 06.09.2017
    Szenenfoto: Mae (Emma Watson) sitzt in einem tristen Großraumbüro
    In "The Circle" stellt sich Regisseur James Ponsoldt die Frage, wie gläsern der Mensch sein darf (Universum Film)
    "Qualität oder Bequemlichkeit?" - "Schließt sich nicht gegenseitig aus." - "Das Wohl des Einzelnen oder das Wohl der Gesellschaft?" - "Ist beides wichtig." - "Am meisten fürchtest Du?" - "Nicht genutztes Potenzial."
    Der Fragenkatalog richtet sich an Mae, eine junge Frau, die sich für einen Job bei einem riesigen IT-Unternehmen vorstellt. Circle heißt die Firma, deren von Tom Hanks gespielter Chef eine schöne neue Welt propagiert. In dieser Welt ist jeder Mensch gläsern, dank des sogenannten SeeChange-Programms.
    "Wir werden alles sehen. Weil etwas zu wissen, ist gut. Aber alles zu wissen, ist besser."
    Gut gemeint und unfreiwillig komisch
    Wenn die Masse den Phrasen von der totalen Überwachung und der völligen Aufgabe der Privatsphäre zujubelt, wird die holzschnittartige Anlage der Geschichte wie auch der Figuren überdeutlich. Plump und bemitleidenswert naiv arbeitet sich der von James Ponsoldt geschriebene und inszenierte Film an großen Fragen unserer Zeit ab. Wie viel Freiheit geben wir für unsere Sicherheit auf? Wie viele Daten dürfen Unternehmen von uns speichern?
    "Ab heute trage ich zu jeder Zeit eine modifizierte SeeChange-Kamera. Und das ohne Ausnahme. Es gibt nichts, was Ihr nicht sehen werdet."
    Kaum überraschend wird sich die anfangs arglose Mae im Verlauf des Films gegen das Unternehmen und seinen Boss stellen. Aber weder als dystopischer Thriller noch als Satire funktioniert "The Circle". Die modernisierte "Big Brother"-Version ist eher ein gut gemeintes und gerade darum oft unfreiwillig komisches Drama, das der Komplexität seines Themas nie gerecht wird. Regisseur Ponsoldt hat Bekanntschaft gemacht mit der Quadratur des Kreises.
    "The Circle": enttäuschend
    Szenenbild aus "Barry Seal - Only in America": Barry Seal (Tom Cruise) trifft sich mit Manuel Noriega (Alberto Ospina).
    In "Barry Seal - Only in America" trifft der Protagonist auf Agenten, Diktatoren und Kartellchefs (imago stock&people / Universal Pictures)
    "Gehört die der CIA?" - "Nein. Der Independent Aviation Consultance." - "IAC?" - "Ja."
    Ähnlichkeiten zwischen IAC und CIA sind natürlich nicht zufällig. Barry Seal - Tom Cruise - ist von staatlicher Seite ein Angebot gemacht worden, für das er seinen Job als Verkehrspilot aufgibt. Mit einem Kleinflugzeug soll er zu Aufklärungsflügen in Lateinamerika starten, um dort Fotos von militärischen Ausbildungscamps zu schießen.
    "Und das ist alles legal?" - "Solange man es für die Guten macht. Ja."
    Wahre Begebenheiten und absurde Verwicklungen
    Dass es gar keine Guten gibt, sondern nur viele Institutionen und Geschäftemacher mit eigenen Interessen, ist die aufschlussreiche wie amüsante Erkenntnis in dieser hanebüchenen Geschichte, die erstaunlicherweise auf wahren Begebenheiten basiert. Der echte Barry Seal hat seit den späten 1970er-Jahren nicht nur für die CIA spioniert. Er hat auch für Pablo Escobar und das Medellin-Kartell Drogen in die USA transportiert.
    "Hier spricht die amerikanische Drogenbehörde! Wir fordern Sie auf, sofort zu landen." - "Alles klar Jungs, wir landen." - "Was macht der?"
    Noch interessanter als die sympathisch gezeichnete, aber amoralische Titelfigur, die von Tom Cruise mit Zahnpastalächeln verkörpert wird, ist der Streifzug durch die amerikanische Außenpolitik der Carter-und-Reagan-Ära. Es sind die absurdesten Verwicklungen zwischen staatlichen Organen und kriminellen Organisationen, die diesen flirrenden Film würzen. So ist der Name Barry Seal zum Beispiel eng mit der Aufklärung der Iran-Contra-Affäre verbunden.
    "Barry Seal - Only in America": empfehlenswert
    Benny (Faris Rahoma) und Marko (Aleksandar Petrovic) gestikulieren wild in einer Filmszene aus "Die Migrantigen"
    Die Protagonisten aus "Die Migrantigen" geben sich als Migranten aus (CAMINO Filmverleih)
    "Ich verstehe nicht, warum Du Dich so ärgerst. Du willst ja Schauspieler sein. Da muss man eh nehmen, was man kriegen kann. Spielst du halt den arabischen Taxifahrer." - "Wohnt Ihr hier? Wir suchen für eine Doku Leute aus dem Viertel mit Migrationshintergrund. Und den habt Ihr ja, oder?" - "Ja, sicher. Migrationshintergrund. Leider."
    Mit Hilfe eines Stuhls wurde Jürgen Vogel in Sönke Wortmanns "Kleine Haie" vom Tellerwäscher zum Schauspielschüler. Eine Couch ist es jetzt in "Die Migrantigen", die den arbeitslosen Wienern Marko und Benny unverhofft zu einem Job verhilft. Ein Fernsehteam hält die beiden, die das Sofa gerade aus einem Hochhaus getragen haben, in dem viele Ausländer wohnen, für Migranten. Marko und Benny spielen mit, suchen sich aber, damit sie in der TV-Doku auch überzeugen, professionelle Hilfe.
    Bissige Satire ohne Klamauk
    "Also was wollt Ihr?" - "Wir sind neu im Viertel. Und wir würden gern wieder mehr so sein wie Ausländer halt sind." - "Wollt Ihr mich verarschen? Ist das 'Versteckte Kamera'?" - "Er möchte zu seinen Wurzeln zurückfinden." - "Wie soll das gehen?"
    Zum Glück ist die Köpenickiade nicht im Klamaukstil von Schweiger und Schweighöfer inszeniert. In den Händen des Österreichers Arman T. Riahi, der die Geschichte von Marko und Benny entwickelt und gedreht hat, wird daraus eine streckenweise bissige Satire. Vor allem in der ersten Hälfte ist der Film ein vergnügliches und entlarvendes Spiel mit Klischees und Vorurteilen, bei dem auch die Medien ihre Portion Häme abkriegen.
    "Die Migrantigen": empfehlenswert