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Neue Bildungsstreiks
Viele Probleme sind geblieben

Überfüllte Seminare, hohe Semesterbeiträge und die Unterfinanzierung der Hochschulen – Schüler und Studierende rufen zu bundesweiten Bildungsstreiks auf. Doch anders als bei der Protestbewegung 2009 wirkt die Atmosphäre weniger aufgeheizt.

Von Anke Petermann | 25.06.2014
    Thüringer Studenten demonstrieren am 11.12.2013 in Erfurt (Thüringen) und fordern mehr Geld für ihre Hochschulen. Sie halten ein Plakat in den Händen auf dem "Sie sagen: Kürzen, Wir sagen: Stürzen" steht.
    Die Forderung nach mehr Geld für den Hochschulbereich sind geblieben. (picture-alliance / ZB / Martin Schutt)
    Hörsaal-Blockaden und Besetzungen, lautstarke Demos gegen Studiengebühren, Listen mit Detailforderungen zur Entschlackung der verschulten Bachelorstudiengänge - das war der Bildungsstreik 2009/2010. Eine aufgeheizte und am Ende erfolgreiche Protestbewegung, bilanzieren Jochen Nagel, Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, und Laurien Simon Wüst vom Asta der Uni Frankfurt am Main.
    "Sie hatte zum Beispiel die positiven Auswirkungen, dass in Hessen zunächst die Studiengebühren abgeschafft wurden, und dieser von Hessen ausgehende Erfolg ist inzwischen bundesweit umgesetzt."
    "Allgemeine Studiengebühren sind 2014 jetzt auch im letzten Land Niedersachsen endlich abgeschafft. Aber nichtsdestotrotz ist der Kampf um eine selbstbestimmte Bildung, die Studierende und SchülerInnen organisieren, immer noch zu führen. Da ist noch vieles offen, weil Bildungsinstitutionen in vielen Bereichen unterfinanziert sind. Das heißt, 2009 hat gezeigt: Im Bündnis gemeinsam kann man viel erreichen, aber es heißt genauso, dass nach viel zu tun ist."
    Immer noch, so moniert Jochen Nagel von der Bildungsgewerkschaft GEW, arbeitet der Wissenschafts-Nachwuchs unter prekären Bedingungen, das sei auch eine Folge der Unterfinanzierung des Hochschulwesens,
    "Es ist bis heute praktisch die Ausnahme, dass junge WissenschaftlerInnen mit unbefristeten Verträgen beschäftigt werden. Sie werden hingehalten, sie werden mit Fristverträgen, sie werden mit Teilzeitverträgen am langen Band gehalten, das ist kein Schritt, der zur Freiheit von Wissenschaft und Lehre führt."
    Studiengebühren durch die Hintertür?
    Die Soziologie-Studentin, die nach Frankfurt zog, schockierte zu Studienbeginn der hohe Semesterbeitrag an der Goethe-Uni: 344 Euro, inklusive Semesterticket, Beitrag zum Studentenwerk und Verwaltungskostenzuschuss. Ihr erster Gedanke:
    "Sind das jetzt doch wieder Studiengebühren, also ich komme ja aus Baden-Württemberg, wo ja die Studiengebühren auch erst vor kurzem abgeschafft wurden, und dachte, Hilfe, ist das jetzt in Hessen etwa anders? Aber ich bekomme tatsächlich ein Stipendium, von daher ist es für mich machbar. Aber ich kenne auch viele Leute, die viel arbeiten müssen während der Uni, und das ist natürlich untragbar."
    Zumal die verschulten Bachelor-Studiengänge und der Zeitdruck das parallele Geldverdienen erschweren. Der Anwesenheitszwang samt der Pflicht, Namenslisten beim Prüfungsamt einzureichen, gehört allerdings der Vergangenheit an, das immerhin haben die Bildungsstreiks 2009 gebracht. Doch Probleme mit den reformierten Studiengängen gibt es nach wie vor:
    "Regelstudienzeiten, die nicht haltbar sind. Also, nach sechs Semestern wird in den wenigsten Wissenschaften der Bachelor abgeschlossen, aber nach sechs Semestern wird zum Beispiel das Bafög gestrichen."
    "Das muss sich ändern", fordert Laurien Simon Wüst, der die Proteste in Wiesbaden mit organisiert.
    "Dazu gehört, dass wir ein anderes Bafög-System haben, das eben nicht mehr an Regelstudienzeiten, die unsinnig sind, gekoppelt ist. Dazu gehört, dass wir zum Beispiel Masterplätze für alle fordern. Wie absurd ist es in dieser Bologna-Reform, dass Studierende ihren Bachelor abschließen und dann in den forschungsbezogenen Master wollen und das nicht können."
    Ein Student zeigt am 24.03.2014 in Dresden (Sachsen) seinen Ausweis. Von der Kinokarte bis zum Bus- oder Bahnticket: Studierende in Sachsen können im Alltag sparen. Das Dokument wird jedoch zunehmend für soziale Leistungen missbraucht. 
    Ärger machen auch die zum Teil sehr hohen Semesterbeiträge (picture-alliance/dpa/ Matthias Hiekel)
    Studierende zeigen sich weniger protestfreudig
    Weg mit den Beschränkungen per Numerus clausus, fordern Studierende. Besonders protestfreudig wirkten sie in letzter Zeit allerdings nicht. Drei Dutzend Demonstranten verloren sich auf dem riesigen Frankfurter Campus, als Asta-Vertreter dem neuen hessischen Wissenschaftsminister Boris Rhein, CDU, bei dessen Antrittsbesuch einen Hang zur Eliteförderung vorwarfen.
    Auch zum Auftakt der bundesweiten Bildungsstreiks wirkt die Atmosphäre wenig aufgeheizt. Die Hauptforderung "mehr Geld für die Hochschulen" hat wohl weit weniger Mobilisierungspotential als "Studiengebühren weg" vor fünf Jahren. Insofern könnten die Erfolge von 2009 mit schuld sein, wenn der Auftakt zum Bildungsstreik 2014 eher lau ausfällt. Vielleicht aber haben auch die studentische Diskussionskultur und das hochschulpolitische Engagement am Prüfungs- und Zeitdruck der reformierten Studiengänge gelitten.