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Neue Chance für den Iran

Bei den Wahlen in vier Monaten im Iran wird der Reformer und ehemalige Präsident Mohammed Chatami gegen den jetzigen Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad antreten. Mit der Kandidatur Chatamis verbinde das Ausland große Hoffnungen, meint der Iran-Experte Tim Guldimann. Dass "tatsächliche Wahlen", mit politisch unterschiedlich ausgerichteten Kandidaten, im Iran stattfänden, würde das Ansehen Irans als weitgehend demokratischer Staat stärken.

Tim Guldimann im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: In vier Monaten wählen die Iraner einen neuen Präsidenten. Der jetzige ultrakonservative Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad wird erneut kandidieren. Er hat dafür auch die Unterstützung des obersten Geistlichen, Ayatollah Chamenei.

    Gestern wurde bekannt, dass gegen Ahmadinedschad im Juni ein alter Bekannter antreten wird, der inzwischen 65-jährige Mohammed Chatami, der von 1997 bis 2005 schon einmal Irans Präsident gewesen ist und der als reformorientiert gilt. - Am Telefon ist ein profunder Kenner Irans, Professor Tim Guldimann. Guten Tag, Herr Guldimann.

    Tim Guldimann: Guten Tag.

    Spengler: Mohammed Chatami gilt gemeinhin als Reformer. Hat er sich diesen Ruf wirklich verdient?

    Guldimann: In jedem Fall. Damals, 1997, ist er mit großen Hoffnungen angetreten und hat versucht, im Rahmen des Systems Reformen einzuleiten, die Demokratie voranzutreiben, auch im Menschenrechtsbereich Verbesserungen zu erzielen. Das ist ihm nur teilweise gelungen. Die Absichten von Chatami waren klar, und dafür steht er heute noch.

    Spengler: Was hat er denn wirklich an Reformen seinerzeit durchgesetzt?

    Guldimann: Erstens: Die ganze Atmosphäre hat sich geändert, vor allem im Lichte dieser großen Hoffnungen, die von der Bevölkerung an ihn gestellt worden sind. Zweitens hat sich auch konkret die Rechtsstaatlichkeit in dem Sinne verbessert, als der Staat und die Verwaltung, sagen wir mal, regelorientierter organisiert wurden.

    Was blieb ist die Justiz, die weiterhin unter der Kontrolle der Konservativen blieb, aber immerhin die gesamte Entwicklung dieser Zeit war vor allem in den ersten Jahren sehr hoffnungsvoll. Danach in dem Sinne nicht mehr als eine eigentliche Reform, das heißt die Frage der Macht und die Vormachtstellung des Klerus wurde in dem Sinne nicht gebrochen, als weiterhin der oberste religiöse Führer und mit ihm die entsprechenden Kreise die Kontrolle im Staat aufrecht erhielten.

    Spengler: Aber ich kann mich noch gut erinnern, dass am Ende viele von Chatami enttäuscht waren.

    Guldimann: Das stimmt, aber das ist die Grundschwierigkeit, nämlich die Frage, dass gemäß der Verfassung Irans sowohl der demokratische Aspekt als auch der religiöse Aspekt gleichzeitig verbunden werden, so dass die Demokratie nicht wirklich die Macht bestimmen kann, wenn es darum ginge, dass abgestimmt wird und die Leute etwas anderes wollen.

    Konkret: Die Kandidaten werden untersucht vom Wächterrat und es gibt eine Reihe von Kandidaten, die ausgeschlossen wurden in Parlamentswahlen. Bis zu 30 Prozent der Kandidaten wurden gar nicht zu den Wahlen zugelassen. In dem Sinne große Einschränkungen des demokratischen Systems, aber ein demokratisches System, das zumindest auch jetzt die Frage offen lässt, wer wird Präsident in diesen Wahlen, und das ist eine Ausnahme für die gesamte Region.

    Spengler: Wird es sich der konservative Wächterrat leisten können, Chatami möglicherweise nicht zuzulassen?

    Guldimann: Das glaube ich nicht.

    Spengler: Dadurch, dass er jetzt kandidiert, hat das schon Auswirkungen in Iran?

    Guldimann: In jedem Fall, sowohl im Iran als auch im Ausland. Im Iran in dem Sinne, dass es jetzt scheint, wenn diese beiden Kandidaten die wichtigsten Kandidaten sein werden, dann gibt es wirklich eine Auswahl. Es ist nicht so, dass das System Ahmadinedschad oder allenfalls noch einen Konservativen mit ähnlichem Profil zulässt zu den Wahlen, sondern dass jetzt wirklich zwei Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichem Profil antreten und die Frage der Wahl offen ist.

    Spengler: Würde er bei dem starken konservativen Establishment in Iran eine Chance haben?

    Guldimann: Er hat in jedem Fall eine Chance, gewählt zu werden. Das Problem, was sich stellt, ist danach. Das heißt, er wird wieder in die Situation kommen, dass er konfrontiert ist mit Machtstrukturen, über die er selbst als Präsident nicht die Kontrolle hat, weil die Verfassung es vorsieht, dass die oberste Macht in den Händen des religiösen Führers ist und mit ihm verbunden ist auch eine konservative Justiz.

    Das heißt, der Staat ist nicht voll unter Kontrolle des Präsidenten. Er hat lediglich die Verwaltung. In diesem Doppelcharakter besteht nicht so sehr das Problem der Wahl selbst, für den Fall, dass Chatami gewählt wird, was kann er durchsetzen gegenüber diesen anderen Machtträgern.

    Spengler: Herr Guldimann, was bedeutet es, wenn Chatami gewählt würde und Ahmadinedschad nicht mehr Präsident wäre? Was bedeutete es für die internationalen Beziehungen?

    Guldimann: Es bedeutet in erster Linie zuerst mal das Ansehen Irans als sagen wir mal demokratischer oder halb demokratischer Staat, dass hier Wahlen stattfinden, die eine tatsächliche Wahl ermöglichen.

    Damit verbinden sich sicher im Ausland große Hoffnungen an Chatami. Da muss man noch zusätzlich sagen, er wäre dann, wenn er gewählt wird, mit riesigen ökonomischen Problemen konfrontiert, denn Ahmadinedschad hatte riesige Öleinnahmen mit einem Ölpreis von 150 Dollar zur Verfügung. Heute ist der Ölpreis wieder zurück auf 45 Dollar und das bedingt massive Probleme, mit denen Chatami dann konfrontiert wäre, wenn er gewählt wird, und wo dann auch die Opposition ihm noch zusätzliche Schwierigkeiten in den Weg legen kann.

    Spengler: Professor Tim Guldimann, danke für das Gespräch.