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Abgründiges Polen, düsteres L. A. und die Macht des Geldes

Polen zwischen Tradition und Moderne steht im Mittelpunkt des Films "Die Maske". Nicole Kidman spielt eine traumatisierte Polizistin in "Destroyer". Und im Film"Triple Frontier" gebiert die Gier nach Geld verrückte Bilder.

Von Hartwig Tegeler | 13.03.2019
Schauspieler Ben Affleck in dem Film "Triple Frontier" von J.C. Chandor
Um Gier geht es in dem Film "Triple Frontier", in dem Ben Affleck in der Rolle eines Diebes merkt, wie schwer gestohlenes Geld tatsächlich wiegt. (www.imago-images.de )
Das erste Bild ist ein Schock. Winterschlussverkauf, im Kaufhaus gibt es große Flachbildfernseher zum Sonderpreis. Doch die Horden, die in den Laden stürmen, müssen sich, um dieses Schnäppchen ergattern, vorher ausziehen. Entblößen. Und sie tun es! Drastischer kann man Konsumterror nicht darstellen.
Auf der anderen Seite der Katholizismus in Polen, die große Jesus-Statue, die, größer als die in Rio, in der Provinz gebaut wird. Der Blick, den Malgorzata Szumowska mit ihrem Film "Die Maske" auf Polen wirft, auf eine Gesellschaft zwischen Tradition, Kirche, Bigotterie und kapitalistischer Moderne, ist böse, sehr böse. Jacek, lange Haare, Heavy-Metal-Fan, hat einen der Flachbildschirme abbekommen. In seinem Dorf ist er der Außenseiter; will eigentlich weg; schafft es aber nicht. Die Szenen am Küchentisch zu Hause mit der Familie transportieren die gleiche Gewalt wie das Kaufhausbild.
"Ich weiß, warum du die Kohle nicht rausrückst, weil du dich verdrücken willst, Klugscheißer. Du willst nach London, häh? Du bist ein Pole, und ein Pole gehört nach Polen. Bist du Pole?"
Ein düsteres Gesellschaftsbild Polens
Trotz aller Anfeindungen arbeitet Jacek an der gigantischen Jesus-Statue mit. Doch als er einen schweren Unfall auf der Baustelle erleidet und nach vielen Hauttransplantationen im Gesicht in sein Heimatdorf zurückkehrt, ist er für die anderen nur noch ein Monster. Er wird gemieden und verhöhnt. Die Bigotterie, die sich hinter der Jesus-Statuen-Begeisterung und auf den feuchtfröhlichen Dorffesten noch verbarg, nun zeigt sie ihre hässliche Fratze. Regisseurin Malgorzata Szumowska kontrastiert die mit Bildern einer friedlichen Landschaft, was den Eindruck von Gewalt nur noch steigert. "Die Maske" ist ein düsteres Bild des zeitgenössische Polen, und mag Jacek am Ende seinen Ausweg finden: Hoffnung für eine Gesellschaft sieht anders aus.
"Die Maske" von Malgorzata Szumowska: herausragend
Sie ist die Meisterin der Wandlungsfähigkeit. Vor kurzem spielte sie die atlantische Königin, kurz danach die melancholische Mutter einen schwulen Sohnes, jetzt in Karyn Kusumas Film "Destroyer" ist Nicole Kidman eine traumatisierte Polizistin. Vor Jahren arbeitete Erin als verdeckte Ermittlerin; nun schleicht sie wie eine Halbtote durch die Straßen von L.A.: "Ich bin hier diejenige, die schlecht ist." Und sie wird mit dem Albtraum eines Falles von vor 17 Jahren konfrontiert. Dämonen der Vergangenheit: "Ich habe gelogen, gestohlen und noch Schlimmeres getan."
Nicole Kidman brilliert
Nicole Kidman gibt der Zerstörung dieser Frau, deren Gesicht gleich im ersten Bild des Films wie das einer Leiche wirkt, einen verstörenden Ausdruck. Was in den düsteren Cop-Filmen bisher vor allem die männlichen, kaputten Helden zeigten - das Gebrochene -, das können auch heruntergekommene, weibliche Cops präsentieren. Nicole Kidman beweist es bravourös. Dass die Geschichte von "Destroyer" am Ende wenig überraschend wirkt, das überdeckt Nicole Kidmans heftige Darstellung dieser Polizistin.
"Destroyer" von Karyn Kasuma: empfehlenswert
"Nach dieser Nacht wird in euren Leben nichts mehr normal sein!"
J. C. Chandor hat in "Der große Crash - Margin Call", seinem Film über die Finanzmaschine Wall Street, wie auch in "A Most Violent Year" von 2014 erzählt, welche Auswirkungen Geld und Gier auf die Menschen im Kapitalismus haben. Beide Filme waren Charakterstudien. Die Geschichte von "Triple Frontier" im neuen Film von J. C. Chandor wirkt auf den ersten Blick jedoch wie von der Stange. Fünf ehemalige Mitglieder von Spezialeinheiten, die sagen: "Wir haben uns nie Geld genommen!", wollen endlich Geld machen.
"Die Frage lautet: Können wir unsere Fähigkeiten endlich zu unserem Vorteil nutzen?"
Redfly und die anderen Vier beschließen, im Dschungel-Dreiländereck von Paraguay, Brasilien und Argentinien einem Drogenboss, das Geld zu rauben. Soweit die eher normale Genrekost mit – ohne Frage - prägnanten Darstellern: Ben Affleck, Oscar Isaac, Charlie Hannam, Garret Hedlund und Pedro Pascal. Aber Regisseur J. C. Chandor macht aus "Triple Frontier" mehr. Denn die Dschungel-Residenz des Kartellbosses ist – wörtlich zu nehmen - ein Haus aus Geld, hinter dem Putz und in allen Zwischenräumen vollgestopft mit Dollars.
B-Picture-Variante einer griechischen Tragödie
Diese gigantischen Mengen wirken surreal und wie eine Metapher auf "Gier und Geld". Beides aber ist nicht zu beherrschen. Konkret: Die Probleme sind in "Triple Frontier" nicht die Killer der Kartelle, sondern logistische. Wie diese Massen von Geld wegschaffen? In dieser B-Picture-Variante einer griechischen Tragödie verwandelt sich bei J. C. Chandor der Traum vom großen Coup in einen Albtraum.
Sisyphos musste die Frustration ertragen, dass der Stein wieder und wieder den Berg herunterrollt. Redfly und seine Kumpels in "Triple Frontier" müssen ihrerseits lernen, dass der Transport von Hunderte Millionen in Dollarscheinen zu einem unüberwindlichen Problem wird. Das Schöne ist, das wir die Verzweiflung der fünf Helden in "Triple Frontier" gut verstehen können, weil wir natürlich auch von Reisetaschen voller Geld träumen.
"Triple Frontier" von J. C. Chandor – ab heute gestreamt auf Netflix: empfehlenswert