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Neue Generation von Kernkraftwerken
Atomkraftanlage EPR geht in China ans Netz

In China wurde ein neuartiger Atomreaktor in Betrieb genommen. Der sogenannte EPR sei eine Weiterentwicklung der modernsten deutschen und französischen Anlagen, erklärte Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich im Dlf. Unter anderem soll ein stärkerer Sicherheitsbehälter mehr Schutz gegen Flugzeugabstürze bieten.

Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Ralf Krauter | 02.07.2018
    Im Inneren von Olkiluoto 3 wird ein Metallbehälter von einer großen Maschine angehoben.
    In Finnland wird das neue Kernkraftwerk vom Typ EPR mit mindestens elf Jahren Verspätung anlaufen. (dpa picture alliance / Lehtikuva)
    Ralf Krauter: Obwohl das Konzept aus Europa stammt, ging der weltweit erste kommerzielle EPR jetzt in China ans Netz. Wo steht dieses Atomkraftwerk?
    Dagmar Röhrlich: Wie eigentlich zu erwarten war, ging der Reaktor Taishan 1 als erster ans Netz - und zwar am vergangenen Freitag um 17.59 Uhr Ortszeit. Der Reaktor liegt rund 140 Kilometer westlich von Hongkong, Baubeginn war 2009. Er war die Nummer drei nach den beiden Anlagen im finnischen Olkiluoto und dem französischen Flamanville, die beide hoffnungslos hinter allen Zeitplänen zurückliegen. In Olkiluoto wird die Verspätung - wenn es bei dem derzeit anvisierten Termin im kommenden Jahr bleibt - elf Jahre betragen, in Frankreich lässt sich da nichts halbwegs Definitives sagen. In China geht der Betreiber derzeit davon aus, dass auch der zweite EPR am Standort im kommenden Jahr ans Netz gehen wird.
    Mehr Schutz gegen Flugzeugabstürze
    Krauter: Was ist das Besondere an diesem neuen Typ von Reaktor?
    Röhrlich: Der EPR ist ein evolutionäres Reaktorkonzept, baut also frühere aus. In diesem Fall eine erweiterte Neuauflage der modernsten deutschen und französischen Anlagen. So soll ein stärkerer Sicherheitsbehälter mehr Schutz gegen Flugzeugabstürze bieten, und vor allem gibt es einen Core-Catcher - also wenn man so will eine Schüssel, die in Ernstfall den geschmolzenen Reaktorkern auffängt und zurückhält, damit die Folgen auf die Anlage beschränkt bleiben - so die Hoffnung.
    Krauter: Warum waren die Chinesen jetzt so viel schneller als die Finnen und Franzosen?
    Röhrlich: Zum einen haben sie beim Bau ganz klar von den Erfahrungen der beiden anderen profitiert. Und dann erklären Experten, dass die chinesische Seite sehr pragmatisch und zielstrebig an die Sache herangehe. Außerdem hat es auf den anderen Baustellen etliche mehr oder weniger hausgemachte Schwierigkeiten gegeben. In Finnland beispielsweise gab es unter anderem Probleme mit der Qualität des Betons. In Flamanville mit Stahl, Schweißnähten und mangelnder Qualitätskontrolle. Dort verlangt die Atomaufsicht inzwischen eine striktere Kontrolle des Unternehmens, dass die Gieß- und Schmiedearbeiten durchführt. Und auch der aus Japan zugelieferte Stahl hatte Qualitätsmängel. Und dann gibt es noch einen weiteren Zeitfaktor: In Finnland und Frankreich wurde während der Bauzeit das Regelwerk geändert - und dann muss ein in Bau befindlicher Reaktor an die neuen Normen angepasst werden.
    Krauter: Wie lief es nun in China?
    Röhrlich: Nachdem am 10. April 2018 alle Vorarbeiten und Tests abgeschlossen waren, erhielt der Betreiber die Genehmigung, den Reaktor zu beladen. Am 6. Juni lief die erste Kettenreaktion und am vergangenen Freitag wurde der Reaktor ans Netz angeschlossen. Derzeit laufen noch weitere Tests, und dann soll er - in einigen Wochen - die volle Leistung von 1660 MWe bringen. Das ging alles sehr schnell.
    Probleme bei der Reaktorüberwachung
    Krauter: Klingt nach einer Erfolgsmeldung. Aber sind in China denn wirklich alle damit glücklich?
    Röhrlich: Nicht unbedingt. Einem Bericht der chinesischen crowdfunding-Nachrichtenagentur FactWire zufolge, hatte eine Inspektion durch die Aufsichtsbehörde Ende Mai noch mehrere Probleme ergeben - unter anderem in der Reaktorüberwachung und beim Training des Personals. Es waren Dinge, die gelöst werden sollten, bevor es ernst wird - und die Frage ist, ob das in den vergangenen 4 Wochen alles passiert sein kann. Diese Tests während der Inbetriebnahmephase sind immens wichtig, weil sie nachweisen sollen, dass alles funktioniert. Bei allen Kernkraftwerken hat es während dieser Phase Probleme gegeben, man hat gelernt und noch das eine oder nachgebessert, was sich im Betrieb nur noch schwerer oder schwer nachholen lässt. So ist in Finnland in dieser Testphase der Beginn der Stromproduktion erneut verschoben worden, auf den September 2019, weil bei Instrumentierung und Kontrollsystemen einige updates laufen müssen und weil in Teilen des Kühlsystems Vibrationen aufgetreten waren. Im Januar 2019 soll der Reaktor beladen werden.
    Krauter: Und wie sieht es auf der vierten EPR-Baustelle in England aus?
    Röhrlich: Im britischen Hinkley-Point - da ist der chinesische Betreiber von Taishan auch beteiligt - ist man noch am Anfang, die Erdarbeiten haben begonnen. Die Anlage dort soll baugleich mit den chinesischen in Taishan sein. Und danach wird es in Indien los gehen. Dort sind jetzt sechs EPR bestellt worden. Die Frage ist, wie dieses Bautempo durchgehalten werden kann, denn es gibt nur noch wenige Produzenten, die die großen Anlagenteile in der erforderlichen Qualität liefern können. Siehe Flamanville.