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Neue WDR-Online-Strategie
"Ich wollte nicht warten, bis der WDR verklagt wird"

Der WDR will sein Online-Angebot multimedialer gestalten - und Texte stark reduzieren. Damit wolle er ein Signal an die Verleger setzen, sagte der WDR-Intendant Tom Buhrow im Dlf: "Wir wollen uns nicht die ganze Zeit vor Gericht oder anderswo die Köpfe einschlagen."

Tom Buhrow im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 11.12.2017
    Tom Buhrow, Intendant des WDR.
    Tom Buhrow, Intendant des WDR. (picture alliance / Rolf Vennenbernd / dpa)
    Stefan Koldehoff: Nachdem die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger seit langem fordern, die Websites von öffentlich-rechtlichen Sendern dürften nicht "zeitungsähnlich" sein - und das heißt für sie: vor allem Text und Bild -, hat der Chef des größten Senders nun Konsequenzen gezogen. WDR-Intendant Tom Buhrow verkündete per Pressemitteilung, künftig gebe es aus Köln weniger Text und mehr Video und Audio. Das wollten wir genauer wissen, und deshalb habe ich Tom Buhrow mal erst gefragt, wie er denn auf dem Weg ins Büro heute Morgen die neuesten Informationen konsumiert hat: als Text, als Audio oder als Video?
    Tom Buhrow: Also ich bin mit dem Auto gefahren, deshalb habe ich im Auto keinen Text gelesen, aber bei mir fängt es eigentlich schon fast im Schlafzimmer an: Das erste, was ich jeden Morgen kriege und lese ist ein WhatsApp-Service von unserem Internetportal, von wdr.de, das sind aber ganz knapp nur die vier wichtigsten Themen, die am Tag kommen und die in der Nacht passiert sind, und dann gehe ich auf ein Portal eines Verlages - ich sage jetzt nicht welches, da sieht man aber schon dran, dass ich die Verlage gar nicht fürchten müsste eigentlich -, und dann im Auto höre ich dann WDR 2.
    "Ein Signal setzen"
    Koldehoff: Ganz knapp, haben Sie gerade gesagt - das ist unser Stichwort: Pressemitteilung Ende letzter Woche, der WDR verstärkt ab sofort seinen Schwerpunkt auf Video- und Audioformate in seinem Onlineportal wdr.de, zu jedem Thema auf der Startseite gibt es Videos und Audios, die wesentlichen nachrichtlichen Fakten werden textlich nur noch knapp zusammengefasst - wörtliches Zitat. Warum diese Entscheidung?
    Buhrow: Verschiedene Gründe. Also einmal, wir haben eben ein Urteil. Es gibt ein Urteil, ab das sich alle Landesrundfunkanstalten der ARD halten müssen, übrigens ZDF auch, eigentlich alle Öffentlich-Rechtlichen. Ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben: Radio Bremen hat gerade nach einer Klage, die eingegangen war gegen Radio Bremen, eine Unterlassungserklärung abgegeben.
    Ich wollte einfach nicht warten, bis der WDR verklagt wird, sondern wollte ein Signal setzen, hier ist ein Urteil, wir haben das verstanden. Ob ich damit inhaltlich einer Meinung bin oder nicht, spielt gar keine Rolle. Wir halten uns daran und werden uns so ausrichten, und natürlich will ich damit auch ein Signal setzen. Ich will ein Signal an die Verleger setzen. Wir wollen nicht die ganze Zeit uns vor Gericht oder anderswo die Köpfe einschlagen, auch in der Zeitung, sondern lass uns gucken, dass wir auskömmlich miteinander auskommen. Wir werden noch weiter Text haben, ja, es wird aber weniger sein.
    Wo bleibt die seriöse Debatte? Die Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist aufgeheizt: Verleger argumentieren mit Schlagwörtern wie "Staatspresse" - Rundfunkredakteure werfen manchen Zeitungskollegen eine Nähe zu Rechtspopulisten vor. - Zum Beitrag von Stefan Fries
    Koldehoff: Haben Sie denn konkret im Moment Drohpapiere auf dem Schreibtisch liegen, drohen weitere Urteile?
    Buhrow: Nein. Das nicht. Also es ist ein Schritt, den ich alleine in freier Willensäußerung vollziehe, aber es wäre keine Überraschung, wenn es Klagen gegeben hätte oder vielleicht sogar noch geben würde. Ich sehe uns jetzt natürlich besser gewappnet mit den Schritten, die wir da tun. Es war ja klar: die Verleger haben ihren Standpunkt, und es ist nicht das erste Mal, dass wir vor Gericht gezogen waren, und das war klar, dass dann nicht auf einzelne Landesrundfunkanstalten beschränkt bleibt.
    "Unser Auftrag ist nicht der spezielle Ausspielweg"
    Koldehoff: Und trotzdem lauteten, als Ihre Pressemitteilung kam, die ersten Reaktionen, jetzt hat der der Döpfner gewonnen mit seiner Kampagne gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
    Buhrow: Ja, das bleibt nicht aus, einmal, dass die andere Seite dann das aufnimmt - mehr oder weniger triumphierend oder mit Genugtuung -, und das andere an der Seitenlinie ist dann so kommentieren.
    Das ist ganz klar, aber ich sage: Was ist denn unsere Mission, was ist unser Auftrag? Unser Auftrag ist ja nicht der spezielle Ausspielweg oder das Wie, wie wir die Kunden erreichen, sondern was wir machen, und das Was, der Auftrag ist für mich, ich will jeden Tag jedem in Nordrhein-Westfalen etwas Wertvolles bieten. Wir wollen die Leute bereichern. Was können wir am besten? Bisher Audio und Video, und wenn wir das verstärkt tun, dann deckt sich das auch einigermaßen mit dem, wie die Leute konsumieren, nämlich morgens im Mobiltelefon.
    "Wir brauchen Text"
    Koldehoff: Aber trotzdem, Herr Buhrow, braucht man den Text ja auch, um auffindbar zu sein. Suchmaschinen, Google und andere quantifizieren die Zahl der Einträge nach dem, was an Schlagworten zu finden ist.
    Buhrow: Ja, absolut, und deshalb sage ich auch, wir brauchen Text. Wir können nicht nur Netflix oder nur Mediathek oder Audiothek sein, und ich bin auch der Meinung - nach wie vor, da hat sich gar nix geändert -, ich glaube, dass die Verleger sich irren. Ich glaube, dass auch eine Textreduktion bei uns kein bisschen ändert an ihren Schwierigkeiten. Die haben ja auch ihre Versäumnisse in den letzten Jahrzehnten gehabt, was die Einschätzung des Internets angeht.
    Ich glaube, es wird sich gar nichts ändern, aber trotzdem muss ich mich natürlich nach dem richten, was Rechtslage ist. Ich bewege mich übrigens wirklich innerhalb des Geleitzuges der ARD. Gucken Sie sich das an: eigentlich, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, gehen wir ja alle diesen Weg innerhalb dessen, was Recht und Gesetz vorschreiben.
    Präzedenzentscheidung?
    Koldehoff: Und Sie haben da ja wahrscheinlich dann jetzt auch eine Präzedenzentscheidung gefällt, denn in der "taz" war schon zu lesen, wenn es der WDR macht, dann können die anderen eigentlich auch nicht mehr anders.
    Buhrow: Also gut, interessant, dass uns so viel Gewicht beigemessen wird, das ist auf der einen Seite schmeichelhaft, es wird aber auf der anderen Seite auch wieder Widerstand hervorrufen, aber im Ernst: Ich befinde mich im Geleitzug der ARD. Ich schreibe der ARD nichts vor. Mir wurde gesagt, gut, einige andere Landesrundfunkanstalten haben jetzt schon weniger Text als der WDR - nicht alle -, und insofern mache ich etwas, ohne den anderen etwas zur vorschreiben, und ich bewege mich auch nicht aus dem heraus, was wir als gemeinsame Linie in der ARD verabredet haben.
    Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue "Nicht der Streit stört mich, sondern dass der Streit so ohne Dialog stattfindet, dass beide Seiten lustig vor sich hin ballern", sagte Raue im Dlf über den Streit zwischen öffentlich-Rechtlichen Sendern und Verlegern. - Zum kompletten Interview mit Stefan Raue
    "Ich selber mache keine Zeichenvorgaben"
    Koldehoff: Presseähnlich heißt das böse Wort, das die Verleger immer wieder als Argument ins Feld führen. Die wünschen sich, dass höchstens noch ein Drittel des Inhalts auf Startseiten tatsächlich aus Text besteht. Im WDR gibt es Mails an Mitarbeiter, da steht drin: nachrichtliche Seiten maximal 1.500 Zeichen inklusive Leerzeichen, Hintergrundberichte maximal 2.500 Zeichen. Lässt sich das eigentlich alles so genau quantifizieren, braucht man nicht für die neue Aktion von Herrn Trump viel mehr als für das Fußballergebnis in der dritten Liga?
    Buhrow: Also die Mail kenne ich nicht. Ich selber mache keine Zeichenvorgaben. Ich werde nicht jetzt anfangen, Erbsen zu zählen, nur es wird weniger Text geben, das ist ganz klar, und eins weiß ich aber von meinem eigenen Nutzerverhalten, Sie haben mich ja am Anfang gefragt, wie ich mich morgens informiere. Ich will erst mal einen Überblick haben. Ich will gar nicht die ganz lange schriftliche Analyse lesen. Ich will Text, und zwar hauptsächlich erst mal Text, um einzusteigen und einen Überblick zu haben. Das kann erst mal eine Schlagzeile sein, und dann kann es etwas mehr sein, aber ich lese keine langen Analysen, und insofern glaube ich, dieses ganze Presseähnlichkeit, das soll der Nutzer letzten Endes entscheiden.
    Einen Satz aber noch dazu: Ich glaube, dass die Presse irrt, wenn Sie glaubt, alles, was Text ist, ist Presse. Also das Internet ist was ganz, ganz Neues, und man kann nicht einfach seine Fahne auf den Mond stellen und sagen, das ist jetzt mein Planet, sondern das Internet gehört allen Menschen, und die Nutzer werden entscheiden, wie sie es nutzen wollen und was sie von uns allen haben wollen, aber wir wollen die Verleger in ihrem schwierigen Überlebenskampf natürlich nicht noch mehr beschweren, und innerhalb dessen, was wir in der ARD verabredet haben, wolle ich jetzt zügig und schleunigst das umsetzen, was für uns die nächsten Schritte sind, und dann wird die Politik das ja auch noch alles flankieren. Da gibt es ja auch noch Verhandlungen - das wissen Sie - hinter den Kulissen. Da wird in den nächsten sechs bis zwölf Monaten ja auch noch einiges entschieden werden.
    Koldehoff: Also kein Einknicken vor den Forderungen der Verleger, haben Sie gesagt. Hat Herr Döpfner denn heute schon angerufen?
    Buhrow: Nein! Das ist auch nicht so, dass ich jetzt das wegen der Verleger alleine gemacht habe. Ich habe ja anfangs gesagt, es gibt ein Urteil, nach dem müssen wir uns sowieso richten. Ich wollte nicht warten, bis wir verklagt werden. Ich will aber auch ein Zeichen setzen und sagen, wir müssen uns ja nicht unbedingt in der Presse beschimpfen, über unsere Sendungen beschimpfen, vor Gericht streiten. Wir kriegen es doch hin, dass wir in Deutschland so miteinander klarkommen, dass wir uns den wahren Gegnern zuwenden, nämlich denen, die von Übersee kommen und unsere Inhalte kannibalisieren und einfach, sei es senden oder sei es abdrucken, ohne dass sie dafür irgendwas bezahlen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.