Die EU hat sich auf einen mehrjährigen Finanzrahmen und Wiederaufbau-Fonds geeinigt. Ein Mammutprojekt, in dem es um Billionen geht und viele Interessen im Spiel sind. Ein Rechtsstaatlichkeitsmechanismus wurde implementiert, der bedeutet: Wer sich nicht an die gemeinsamen Werte und Normen hält, bekommt weniger Geld. Ungarn und Polen sind damit alles andere als zufrieden. Die Einigung kam zwischen einer Verhandlungsgruppe des Parlaments und des Rates der Mitgliedsstaaten zustande, unter Leitung der deutschen Ratspräsidentschaft. Und der Finanzrahmen? 1,8 Billionen Euro gibt es insgesamt, davon sind 750 Milliarden Corona-Hilfen. Für das Europäische Parlament mitverhandelt hat Rasmus Andresen, Abgeordneter der Grünen.
Fortschritte zu einem klimagerechten Haushalt
Ann-Kathrin Büüsker: Herr Andresen, das Parlament hat zusätzliche Gelder herausverhandelt. Was war Ihnen da besonders wichtig?
Rasmus Andresen: Für uns im Europäischen Parlament ging es in den letzten Monaten in sehr harten Verhandlungen vor allem darum, den europäischen Haushalt zukunftsgerichteter und moderner zu machen. Das bedeutet, dass wir mehr Mittel erkämpfen wollten für gemeinsame europäische Ziele wie zum Beispiel Forschung, das Erasmus-Programm, aber auch das neue Gesundheitsprogramm für die EU, und wir wollten gleichzeitig auch darauf achten, dass wir in der EU nicht nur mehr über Klimaschutz und Biodiversität sprechen, sondern dass wir uns auch wirklich versichern, dass der nächste Haushalt klimagerecht und naturschutzgerecht wird. Und ich glaube, dass uns da Fortschritte gelungen sind.
Sehr komplizierte, durchaus hitzige Atmosphäre
Büüsker: Nehmen Sie uns mal bitte mit in die Runde. Wie dürfen wir uns die Verhandlungsatmosphäre dort vorstellen?
Andresen: Die Verhandlungsatmosphäre gerade zwischen der deutschen Ratspräsidentschaft und dem Europäischen Parlament war in vielen Momenten sehr kompliziert und durchaus auch hitzig. Die Mitgliedsstaaten haben sich sehr, sehr lange geweigert, auf die Vorstellungen des Europäischen Parlaments zuzugehen. Auf der anderen Seite mussten beide Seiten natürlich aber auch für ihre jeweilige Seite liefern und ja auch immer rückkoppeln mit den jeweiligen Kollegen im Parlament oder auf Ratsseite zwischen den Mitgliedsstaaten dann auch immer die Ergebnisse rückkoppeln. Das kann man sich vorstellen, das ist in der Europäischen Union eine Mammutaufgabe, die wir jetzt aber, glaube ich, ganz gut gemeistert haben.
Zusätzliche Mittel werden durch Strafzahlungen finanziert
Büüsker: Sie haben eben die Prioritäten des Parlaments benannt. Sie haben dafür noch mal zusätzliche Milliarden rausgeschlagen. Wo soll dieses zusätzliche Geld herkommen?
Andresen: Das zusätzliche Geld wird aus Strafzahlungen finanziert, die bisher an die Mitgliedsstaaten zurückfließen. Die Mitgliedsstaaten zahlen, wenn sie Verträge verletzen, beispielsweise Strafzahlungen an die Europäische Union. Bisher ist das Geld genutzt worden, um den Beitrag der Mitgliedsstaaten für den Haushalt zu reduzieren. Jetzt soll das Geld auf europäischer Ebene bleiben und ein Teil davon dazu beitragen, dass wir beispielsweise vier Milliarden Euro mehr in das Forschungsprogramm Horizon stecken oder das Gesundheitsprogramm in Zeiten einer Pandemie von 1,7 Milliarden auf 5,4 Milliarden erhöhen werden. Ich glaube, dass das bei diesen Schwerpunkten auch ganz gut eingesetzt wird.
"Die Agrarförderung wird unter Druck gesetzt"
Büüsker: Sie haben eben auch Klimaschutz und Biodiversität als Schwerpunkte benannt. Mich wundert das jetzt ein bisschen, dass Sie da so positiv gestimmt sind, da Ihre Partei, die Grünen, ja insbesondere die Neuordnung der Agrarsubventionen scharf kritisiert hat.
Andresen: Das ist richtig. Die fehlende Veränderung in der Agrarpolitik, die wir vor ein paar Wochen im Parlament abgestimmt haben, ist eine große Enttäuschung gerade für uns Grüne, aber für alle, die einen klimagerechteren Haushalt wollen. Was wir jetzt aber geschafft haben beim europäischen Haushalt ist, dass wir zum einen das "richte keinen Schaden an"-Prinzip in den Haushalt reinnehmen, was dafür sorgt, dass klimaschädliche Projekte aus dem Haushalt langfristig gestrichen werden müssen. Und wir haben es geschafft, mit einer Quote für Ausgaben an Biodiversität, für Naturschutz, für Artenvielfalt dafür zu sorgen, dass die Agrarförderung unter Druck gesetzt wird. Unser Wunsch ist, dass mit diesen Instrumenten, die wir jetzt vereinbart haben, wir auf der Strecke in den nächsten Jahren auch Veränderungen in der Agrarpolitik erkämpfen können. Richtig ist aber auch: Das sind jetzt vor allem Instrumente, die es vorher nicht gab, die uns helfen werden. Aber der Knoten ist noch nicht durchschlagen. Das Ganze ist ein Langzeitprojekt und wir werden in den nächsten Jahren mit diesen Instrumenten noch hart kämpfen müssen.
"Es geht darum, Krisenkosten fair zu verteilen"
Büüsker: Stichwort Instrumente. Es soll ja zahlreiche neue Steuern geben, unter anderem eine Digitalsteuer, eine europäische Finanztransaktionssteuer. Ist diese aktuelle Krise tatsächlich der richtige Zeitpunkt, die Wirtschaft mit neuen Steuern zu belegen?
Andresen: Es geht nicht darum, die Wirtschaft grundsätzlich mit neuen Steuern zu belegen, sondern es geht darum, die Krisenkosten fair zu verteilen. Es ist nicht einsehbar, warum bisher große Digitalkonzerne wie Google oder Amazon in der Europäischen Union prozentual weniger Steuern bezahlen als mittelständische Unternehmen oder der Buchladen bei uns im Ort. Um dort Gerechtigkeit zu schaffen, ist die Zielsetzung, eine europäische Digitalsteuer einzuführen, aus unserer Perspektive absolut richtig. Das würde die Krisenkosten fairer verteilen und große Digitalkonzerne würden endlich dazu beitragen, dass sie ihren fairen Anteil auch an der europäischen Gemeinschaft zahlen, denn sie machen viel Geld in Europa und wer viel Geld hier macht, darf auch gerne etwas mehr in den gemeinsamen Topf einzahlen.
Büüsker: Aber was, wenn diese Projekte am Ende doch nicht zustande kommen? Fehlt es dann an Geldern?
Andresen: Die Projekte werden jetzt auf den Weg gebracht werden. Jetzt wird es vor allem darauf ankommen, dass sowohl die EU-Kommission wie aber auch die Mitgliedsstaaten die Programme so ausgestalten und konkrete Konzepte dafür vorschlagen, so dass wir dann auch möglichst viele dieser Gelder in sinnvolle Zukunftsbereiche investieren können.
"Orbán wird Kompromisse machen müssen"
Büüsker: Ungarn hat ja wegen des implementierten Rechtsstaatsmechanismus angekündigt, unter Umständen ein Veto gegen den kompletten Haushalt einzulegen. Wie groß sind Ihre Sorgen diesbezüglich?
Andresen: Ich mache mir da keine großen Sorgen. Ich will aber auch ganz deutlich sagen, dass das Verhalten von dem ungarischen Regierungschef, Herrn Orbán, unverantwortlich ist. Das muss man ganz klar so sagen. Das was jetzt Gesetz werden soll ist, dass Rechtsstaatsverletzer, Regierungschefs, Regierungen, die sich nicht an die Spielregeln halten, die wir gemeinsam aufgestellt haben, dass diese nicht einfach so weitermachen dürfen, sondern dass ihnen finanzielle Sanktionen drohen. Das ist ein Prinzip, was, glaube ich, selbstverständlich sein sollte und auch beispielsweise, wenn wir uns die Bundesrepublik angucken, selbstverständlich ist. Dass Viktor Orbán jetzt nervös wird zeigt ja nur, dass das Europäische Parlament gut verhandelt hat und wir einen wirkungsvollen Rechtsstaatsmechanismus in den nächsten Wochen beschließen werden. Am Ende hoffe ich aber, dass auch Viktor Orbán versteht, dass sehr viel seiner Wirtschaftskraft auch davon abhängt, dass europäische Mittel nach Ungarn fließen, und wenn er der europäischen Wirtschaft und vor allem auch der ungarischen Wirtschaft nicht schaden will, dann wird er hier Kompromisse machen müssen. Deshalb ist meine Hoffnung, dass er nach etwas Getöse am Start dann doch zur Vernunft zurückkehrt.
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