Archiv

Neuregelung der Arbeitszeit
Vertrauen war gut, Erfassung ist besser

Eine Arbeitszeiterfassung ist für alle Arbeitsplätze in der EU künftig verbindlich vorgeschrieben. Das hat der Europäische Gerichtshof 2019 entschieden. Arbeitgeberverbände befürchten jedoch nicht nur ein bürokratisches Monster, sie stellen weitere Forderungen an die Arbeitszeitgestaltung der Zukunft.

Von Katrin Sanders |
Ein Mann sitzt abends in einem Büro an einem vollen Schreibtisch und arbeitet in Berlin.
Der Europäische Gerichtshof will Arbeitszeiten neu regeln und dadurch transparenter gestalten (picture-alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
"Wir stehen hier vor unserer Stempeluhr. Eines meiner liebsten Tools, die wir hier haben bei Sipgate. Wir erfassen unsere Arbeitszeit und die meisten Gäste, die hier sind und die sehen, sind immer sehr verwundert, weil sie meinen, ach ihr seid doch so ein hippes Digitalunternehmen und dann steht hier so eine piefige Stempeluhr. Wie passt denn das zusammen?"
Es passt bestens, findet Johanna Lange Hegermann. Sie ist Mitarbeiterin bei Sipgate in Düsseldorf. Das Unternehmen mit 200 Beschäftigten betreibt ein eigenes Mobilfunknetz, richtet Telefonanlagen für Geschäftskunden ein, bietet Softwareservice in Teamarbeit. Selbst eine "piefige" Stempeluhr funktioniert hier natürlich digital.
"Das sind so kleine Kärtchen, die von einem System erfasst werden und wenn wir reinkommen, legen wir quasi die Karte auf dieses Gerät und dann wird erfasst, wann ich komme und wenn ich abends gehe, dann lege ich die Karte wieder drauf und dann wird er fasst, wann ich gegangen bin und die Pausenzeit und so weiter, wird automatisch abgezogen.
Ich fand das toll, als ich hier vor sieben Jahren angefangen habe. Ich hatte vorher immer Vertrauensarbeitszeit, habe in Agenturen gearbeitet und definitiv immer die 60-Stunden-Woche gemacht, und mir hat diese Stempeluhr extrem viel Freiheit gegeben."
28-Stunden-Woche: Durch flexible Arbeitszeit "mehr Kapazität zur Verfügung"Zwei Jahre lang aufstocken oder reduzieren: Beim Medizinproduktehersteller Aesculap können die Mitarbeiter genau das tun. Das Unternehmen profitiere davon, sagte Vorstandschef Joachim Schulz im Dlf.
Arbeitszeit muss künftig erfasst werden
Dieses Unternehmen wird wohl nicht mehr viel tun müssen, wenn in Kürze eine neue Regelung zur Erfassung der Arbeitszeiten kommt. Die ist in Zukunft für alle Arbeitsplätze in der EU verbindlich vorgeschrieben. Das besagt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Mai 2019. Im Bundesarbeitsministerium wird zurzeit an dem Referentenentwurf zur Umsetzung gefeilt. Arbeitsminister Hubertus Heil gab Mitte Januar im Bundestag die Richtung vor:
"Das muss flexibel gehandhabt werden. Das ist auch nicht den starren Acht-Stunden-Tag, wie viele denken. Da gibt es zig Möglichkeiten in der Praxis, und wir werden darüber diskutieren, wie wir das weiterentwickeln."
Eine Frau stempelt ihre Karte an einer Stechuhr
Arbeitgeber hoffen auf moderne Lösungen, um Stechuhren in Betrieben zu vermeiden (imago / photothek)
Überstunden wären in Zukunft ausgeschlossen
Bislang gilt in vielen Büros und Betrieben Vertrauensarbeitzeit statt Stempeluhr. Die Beschäftigten sorgen selbst dafür, dass sie die vereinbarte Stundenzahl pro Woche einhalten. Doch Studien zeigen, dass sie tatsächlich mehr als das leisten und Überstunden machen. In Zukunft wäre das ausgeschlossen. Die tatsächliche Arbeitszeit soll transparent erfasst werden - und müsste dann auch bezahlt werden. Ein Arbeitnehmer aus Spanien hat das mit seiner Klage beim Europäischen Gerichtshof durchgesetzt. Bundesarbeitsminister Heil weiß, dass es hier unterschiedliche Interessen gibt
"Wir müssen gucken, dass es ein Arbeitnehmerrecht ist, ein Bürgerrecht von Beschäftigten ist, dass sie fair behandelt werden, ihre Arbeitszeiten verlässlich überprüfbar sind. Aber ich sage auch: Wir müssen gucken, dass wir dieses Recht verhältnismäßig umsetzen. Und das heißt, nicht überall die Stechuhr einführen müssen. Sondern da finden wir, glaube ich, auch etwas Moderneres miteinander; darüber werden wir reden."
Work-Life-Balance immer wichtiger
Gerade in der Kreativbranche sind einige Unternehmen experimentierfreudig. Denn es geht um die Work-Life-Balance. Dazu gehören geregelte Arbeits- und Erholungszeiten und mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten. So auch bei Sipgate in Düsseldorf. Vereinbart ist dort eine Monatsarbeitszeit. Wer über dem Soll liegt, wird elektronisch aufgefordert, sich zu schonen. Burnout soll verhindert werden. Johanna Lange Hegermann:
"Also wenn ich jetzt eine oder zwei Überstunden mache, ist das kein Problem und es geht auch nicht darum, dass man den Stift fallen lässt zu einer bestimmten Zeit und rausrennt, sondern wir haben gemerkt, dass es Sinn macht, dass wir nicht wollen, dass hier Kollegen Überstunden machen. Und dass wir wirklich eine 40-Stunden-Woche haben wollen, und dass es halt nichts bringt, wenn Leute dauerhaft zehn Stunden am Tag arbeiten oder das Überstundenkonto jeden Monat weiter anwächst.
Kann ja auch immer mal sein, dass es Kollegen gibt, die vielleicht auch nicht nein sagen können und die nehmen dann ganz viel an und machen das. In einem anderen Unternehmen würde das wahrscheinliche sehr schnell zu einem Burnout führen, weil halt niemand da reinsteigt und sagt bei Vertrauensarbeitszeit, hey, du machst zu viele Überstunden gerade."
Ende der "Flatrate-Arbeit"?
In der Debatte geht es längst um Deutungshoheit: Arbeitgeberverbände befürchten ein bürokratisches Monster, das keinen betrieblichen Nutzen bringt. Sie fordern statt minutengenauer Dokumentation des täglichen Kommens und Gehens im Unternehmen, mehr Flexibilität bei der Planung der Dienstpläne. Der Deutsche Gewerkschaftsbund dagegen begrüßt das Urteil des Europäischen Gerichtshofes, erhofft sich ein Mittel gegen unbezahlte Überstunden und ein Ende der der vom DGB sogenannten "Flatrate-Arbeit".
Ein Koch bei der Arbeit in einer Restaurantkueche, 26.07.2017, Schlepzig.
In Küchen und Hotels wird die Bereitschaft zu Überstunden erwartet (imago / photothek / Inga Kjer)
Gastronomie: Überstunden sind die Regel
Das Maritim Hotel am Kölner Heumarkt: 454 Zimmer. 270 Kolleginnen und Kollegen im Schichtdienst. Sie arbeiten täglich flexibel. Jeder Tag bringt neue Zeiten für Schichtbeginn und Schichtende. Dienstpläne werden kurzfristig mit nur vier Tagen Vorlauf ausgegeben. Und arbeiten ohne Überstunden? Das sei undenkbar in dieser Branche, sagt Thomas Klein, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Maritim-Hotel-Gesellschaft.
"Ne, in der Gastronomie werden Überstunden erwartet. Egal ob Sie in einer kleinen Gaststätte oder einem großen Hotel arbeiten. Weil wenn auf einmal der Bus kommt mit 50 Leuten, weil in Düsseldorf kein Flugzeug fliegen kann oder so, dann erwartet man von den Mitarbeitern, dass sie an diesem Tag länger arbeiten. Ob sie wollen oder nicht, ist die eine Sache. Aber man erwartet das von denen."
Ohne Flexibilität gehe es im Gastgewerbe nicht, bestätigt der Hotel- und Gaststättenverband. Wenn, wie in diesem Beispiel, der Bus aus Düsseldorf überraschend kommt, vielleicht noch mit zwei Stunden Verspätung und wenn dann noch alle warm essen wollen - dann brauche es längere Arbeitstage. Der Arbeitgeberverband fordert das seit langem. Bisher sind gesetzlich höchstens zehn Stunden pro Tag und 48 pro Woche erlaubt. Den Druck und die Folgen tragen die Beschäftigten im Service, sagt Gesamtbetriebsrat Thomas Klein:
"In vielen Hotels und auch hier bei uns stellt man immer wieder fest, dass Arbeitszeit anders aufgeschrieben wird, händisch, als sie tatsächlich stattfindet. Ich würde mich über eine elektronische Zeiterfassung sehr freuen, die genau das aufnimmt, wie man auch arbeitet.
Ich denke, viele Leute machen Überstunden im Gastgewerbe, die aber nicht vergütet werden, weil sie nicht aufgeschrieben werden. Außerdem ist es in meinen Augen ein Mittel gegen die Schwarzarbeit, die in anderen gastronomischen Betrieben oftmals noch stattfindet, weil die Arbeitszeiten nicht dem Entgelt entsprechen."
Ein Mann mit Brille liegt auf dem Sofa und bedient einen Laptop.
Arbeitgeber fordern flexiblere Arbeitszeiten und eine Neuregelung der Ruhezeiten (imago images / Westend61)
Viele unbezahlte Überstunden
"Arbeit muss gemessen werden, damit man nicht umsonst arbeitet."
Hält Prof. Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Bonn fest.
"Und in der Vergangenheit war es vielleicht auch so, dass der ein oder andere Arbeitnehmer zur Vertrauensarbeitszeit gezwungen wurde, um ihm seine Überstunden nicht zahlen zu müssen. Das kann nicht sein und damit ist spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes Schluss."
Die Zahl der unbezahlten Überstunden in Deutschland ist bisher beträchtlich, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2019 ermittelte. Allein im dritten Quartal des Jahres leistete jeder Beschäftigte gut fünfeinhalb unbezahlte Überstunden. Dem Einzelnen entgeht dadurch verdienter Lohn, dem Staat entgehen Steuereinnahmen und der Sozialversicherung Beiträge für rund eine Milliarde unbezahlter Plusstunden pro Jahr. Könnten die Arbeitszeiten minutengenau erfasst werden, wäre es damit vorbei. Doch das ist durchaus knifflig, erläutert Thüsing:
"Wer Arbeitszeit messen will, muss zunächst eine Vorstellung davon haben, was Arbeit ist. Wenn ich mich jetzt auf einen Spaziergang begebe und sage: Über das Problem will ich noch mal intensiv nachdenken, damit ich endlich eine gute Lösung dafür finde. Ist das dann Arbeit? Wahrscheinlich schon. Arbeit kann ein fließender Zustand sein, das haben wir nicht nur bei der Frage des Bereitschaftsdienstes, der Rufbereitschaft – auch das ist ja ein Zwischending zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit – sondern das haben wir bei ganz bestimmten Tätigkeiten, wo eben das Private mit dem Dienstlichen vermischt wird. Ist das Arbeitsessen mit Kunden eines Außendienstmitarbeiters tatsächlich Arbeit oder fängt Freizeit erst beim Grappa an?"
Symbolfoto: Geschäftsmann mit Baby im Arm im Homeoffice 
Familie und Beruf zu vereinbaren, ist beim derzeitigen Arbeitszeitmodell für viele schwierig (imago stock&people)
Arbeit und Freizeit - fließende Übergänge
Was sich wie ein Luxusproblem anhören mag, ist tatsächlich zu einer Belastung für viele geworden: Arbeit und Freizeit gehen immer häufiger ineinander über. Manchmal ist das unvermeidlich, vermutlich aber oft unfreiwillig: mobiles Arbeiten, berufliche Mails zu Hause noch eben beantworten oder auf der abendlichen Rückfahrt im Zug nacharbeiten, was liegen geblieben ist: Ohne Arbeitszeiterfassung gehen die Extras zu Lasten der Beschäftigten, sagt Yvonne Lott. Sie ist Arbeitszeitexpertin und Referatsleiterin beim Wissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung:

"Es gibt diese Phänomene des Vorarbeitens, dass eben am Sonntagabends eben schon mal E-Mails gecheckt, To-do-Listen geschrieben werden, was dann nicht als Arbeit angesehen wird. Was als so eine Art Vorarbeit angesehen wird für die bevorstehende Arbeitswoche, was nicht als Arbeit angesehen wird, was aber letztlich Arbeit ist. Das ist ja ganz klar.
Also auch da könnte wieder die Arbeitszeiterfassung helfen, wenn dann eben Beschäftigte dann wissen, okay, sie müssen diese Zeit auch erfassen. Dann sind es eben zwei Stunden Arbeit, die dann eben am Sonntag geleistet wurden."
Frau läuft über die Straße. Gegenlichtaufnahme.
Nach dem Sport nochmal an den Schreibtisch - möglich mit flexibleren Arbeitszeiten (imago / allOver-MEV)
Mobiles Arbeiten braucht Regeln
So sehen es mittlerweile auch leitende Angestellte. Das zeigt der Führungskräfteverband Chemie in einer aktuellen Umfrage unter seinen Mitgliedern. Jede Zweite wünscht sich demnach eine genaue Erfassung der Arbeitszeit und sieht darin ein Mittel gegen ausufernde Vertrauensarbeitszeit. Die Arbeit sei in den letzten zehn Jahren immer dichter geworden, sagen in dieser Umfrage fast 90 Prozent der Befragten. Und dass es häufig oder sehr häufig wegen ausufernder Arbeitszeiten zu Konflikten zwischen Beruf- und Privatleben komme, erlebt etwa die Hälfte.
Mobiles Arbeiten brauche Regeln, sagt Yvonne Lott - auch mit Blick auf das Arbeiten zuhause. Homeoffice wird gemeinhin als Chance für flexibles Arbeiten gesehen.

"Es gibt relativ viele Studien zum Homeoffice, also die Arbeit von zuhause, die zeigen. dass Beschäftigte Überstunden eher arbeiten, wenn sie im Homeoffice sind. Also nicht so sehr das Ende finden. Oder Homeoffice wird genutzt, um Arbeit nachzuholen. Also wenn die Arbeit nicht geschafft wurde, dass man sich dann noch mal zwei drei Stunden abends hinsetzt.
Ich selber habe mir auch Daten angeguckt, auch deutsche Daten und hab gefunden, dass Beschäftigte im Homeoffice auch schwieriger abschalten können. Also diese Grenzziehung zwischen Beruf und Privatleben fällt definitiv schwerer, wenn mobil gearbeitet wird."
Ständige Erreichbarkeit macht krank
Mögliche Folgen der Entgrenzung sind schleichende Überarbeitung bis hin zum Burnout. Ständige Erreichbarkeit, Mehrarbeit und häufiges Unterbrechen der Tätigkeit im Homeoffice und beim mobilen Arbeiten führen zu Stress. Besonders, wenn Beschäftigte glauben, dass die Arbeit auf Abruf von ihnen erwartet wird. Wenn man vollkommen freiwillig abends noch den Termin für den nächsten Tag bestätigt, damit der nächste Arbeitstag geschmeidig beginnt, ist das weniger belastend. Für Yvonne Lott bleiben offene Fragen:
"Also auch die Beschäftigten, die es "freiwillig" machen: da weiß man ja auch nie, was steckt wirklich dahinter. Ist es nicht vielleicht doch, dass man dem Chef zeigen möchte, also hier, ich bin ja noch da und beantworte sogar noch die Mail um acht Uhr abends - und bin eine besonders engagierte Arbeitskraft und bin es eigentlich auch wert, besser bezahlt zu werden oder befördert zu werden. Das wissen wir ja nicht, ob das dahinter steckt als Motivation.
Aber davon abgesehen fehlt mir natürlich die Zeit für Erholung und das kann, auch wenn es Beschäftigte nicht wahrnehmen, gesundheitliche Probleme mit sich ziehen."
Jutta Allmendinger: "Erwerbsarbeit ist ein gesellschaftliches Gut"
Wie kann Arbeit flexibler organisiert und gerechter bezahlt werden? "Es gibt keine Verbesserung der Lage der Frauen in einer Gesellschaft, in der Vollzeit die Männer und Teilzeit die Frauen arbeiten", sagte Jutta Allmendinger im Dlf.

"Da sind wir noch weit entfernt im Hotel- und Gaststättengewerbe, das zu optimieren, damit wir unseren Kolleginnen und Kollegen auch gerecht werden bei dem Thema, Familie und Freizeit und Arbeit zu gestalten."
Ergänzt Thomas Klein. Als Gesamtbetriebsrat der Maritim-Kette macht er dennoch vor, wie es gehen kann. Die Arbeitszeitkonten der 270 Beschäftigten werden vom Betriebsrat kontrolliert. Ein Ampelsystem sorgt dafür, dass niemand bis ans Limit geht, denn Überstunden sind nicht erwünscht. Wer zu viele ansammelt, bekommt einen Abbauplan, damit das Stundenkonto bald wieder auf "Normal" steht. Auch dafür ist Zeiterfassung hilfreich.
Das verändert zwar nicht die Nöte der Arbeitgeber im Gastgewerbe, weiß Thomas Klein.
"Ne, aber wenn ich ne Zeiterfassung hab, habe ich auch den Effekt, dass ich vielleicht mehr Arbeitsplätze in dem Haus schaffen kann. Weil ja genau abgezählt wird, wie viel Stunden arbeiten die und dann kann man sagen: Okay, ich brauch mehr Personal, damit ich nicht zu viele Überstunden mache. Und auch wenn die Arbeitnehmer sagen, nee, ich mach jetzt keine Überstunden, ich hab hier einen Dienstplan, der ist verbindlich, Start und Ende. Und ich geh jetzt nach Hause."
Viele Anforderungen an die Neuregelung
Eine neue Regelung zur Arbeitszeit-Erfassung, wie sie zurzeit vom Bundesarbeitsministerium ausgearbeitet wird, muss die Quadratur des Kreises schaffen: Einerseits Arbeitnehmerschutz, andererseits das Recht auf verbindliche arbeitsfreie Zonen. Hinzu kommt noch der Wunsch der Unternehmen nach mehr Flexibilität.
Ein erstes Rechtsgutachten dazu deutet die Richtung an: Die tägliche Arbeitszeit müsse künftig mit Beginn, Ende und Dauer aufgezeichnet werden, heißt es im Gutachten, das Prof. Frank Bayreuther für das Bundesarbeitsministerium erstellt hat. Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing liest das Urteil anders:
"Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ist von Verschiedenen dahin interpretiert worden, dass zukünftig ALLE Arbeit gemessen werden muss und aufgezeichnet. Ich sehe das nicht so. Die Richter aus Luxemburg betonen ausdrücklich, dass der Arbeitgeber ein System bereitstellen muss, in dem Arbeitszeit verlässlich gemessen werden KANN. Die Richter sprechen ausdrücklich von gemessen werden kann.
Die Entscheidung der Richter versteht Thüsing so, dass es auch in Zukunft noch Vertrauensarbeitszeit geben könne, wenn es Arbeitnehmer und Arbeitgeber einstimmig so wollen. Ein völlig neues Arbeitszeitgesetz bräuchte es dann gar nicht. Eine einfache Ergänzung des alten Gesetzes um einen Passus würde genügen:
"Wenn der Arbeitnehmer also nicht Vertrauensarbeitszeit leisten will, sondern sagen will, "Ich möchte meine Arbeitsstunden dem Arbeitgeber verbindlich entgegen halten", dann muss er die Möglichkeit haben und das ist ein eindeutiger Spruch der luxemburgischen Richter und das ist auch sinnvoll. Wenn aber der Arbeitgeber ein solches System zur Verfügung stellt und Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam sagen "Wir wollen weiterhin Vertrauensarbeitszeit arbeiten", dann ist das meines Erachtens mit dem luxemburgischen Richterspruch vereinbar und die richtige gute Regelung."
Gut genug - allerdings nicht aus Sicht aller Betriebe.
Ein Termin im Personalbüro bei Chemion in Leverkusen. Chemion ist ein Logistik- Dienstleister für die chemische Industrie mit etwa 1.000 Arbeitsplätzen im Hafen, im Service oder in der Silologistik. Die Beschäftigten arbeiten hier in Gleitzeit, im Bereitschafts- oder Schichtdienst. Georg Fabian ist Personalleiter:
"Das Arbeitszeitgesetz in der heutigen Form - betrifft nicht nur die reine Arbeitszeiterfassung - entspricht nicht immer den betrieblichen Gegebenheiten, aber auch den Wünschen und Interessen der Arbeitnehmer."
Arbeit wird sich verändern
Für seine Belegschaft erwartet er von einer zukunftsweisenden Arbeitszeit-Regelung mehr als nur eine Ergänzung des bestehenden.
"Ja, wir müssen ja nicht nur an die Arbeit von heute nur denken. Wir denken an das Zukunftsfeld Digitalisierung, und dergleichen. Die Arbeit wird sich verändern. Insofern denke ich auch, dass da die Anforderungen der Zukunft andere sind. Um mal ein Gefühl zu geben: 560 Mitarbeiter von 1.000 arbeiten in Gleitzeit. Und wir haben bewusst keine Kernarbeitszeit vorgegeben. Sondern sie sollen entsprechend den betrieblichen Bedürfnissen und in Abstimmung mit den Vorgesetzten und ihren persönlichen Wünschen ihre Arbeitszeit weitestgehend dann auch so regulieren, wie sie es können. Das heißt wir sind gerade so in dem Modell, das weiter aufzubrechen und in Sachen mobiles Arbeiten in eine andere Welt reinzukommen."
Wichtig: Flexibilität bei der Arbeitszeit
Ein starres Muster, wie es früher in der chemischen Industrie üblich war - sieben Uhr Arbeitsbeginn in der Produktion und acht Uhr in der Verwaltung, das genüge den Beschäftigten heute nicht mehr: Wo immer sie arbeiten im Werk, am Kran oder Kohlebagger im Leverkusener Hafen: Persönliche Flexibilität bei den Arbeitszeiten, so der Personalleiter, sei vielen wichtig:

"Ich kann das nur sagen, dass die persönlichen Wünsche der neuen Generation darauf auch abzielen, sein Wohlbefinden, die Arbeitszeit autonom bestimmen zu dürfen. Das ist ein ganz großer Punkt, der auch immer wieder zutage kommt in "Mitarbeiterzufriedenheit", in Bewerbungsgesprächen. Nehmen wir mal ein Beispiel: Ich hab ein kleines Kind, hol das Kind aus der Kita um 15 Uhr ab, und schalte mich später vielleicht noch mal auf, bekomme Mails. Und das ist dann ja umstritten dann die Fragestellung, was ist dann Arbeitszeit, wenn ich da noch eine Terminierung mache. Und diese Flexibilität wird ja dann auch genommen durch das Thema, was damit einhergeht mit den Ruhezeiten."
Ruhezeitenregelung muss geändert werden
Schon eine E-Mail am Abend unterbricht dem aktuellen Arbeitszeitgesetz nach die vorgeschriebene Pause und stellt die Pausenuhr wieder auf Null. Für die Arbeitgeber ist es deshalb unumgänglich, die Ruhezeiten-Regelung zu ändern. Es ist ein sensibles Thema für viele, sichert es doch das Recht zwischen zwei Schichten elf Stunden Pause zu haben. Auch Georg Fabian findet das nicht mehr zeitgemäß im digitalen Leben:
"Es gibt natürlich viele, viele Jobs, die brauchen absolut die Ruhezeit. Wir halten die elf Stunden auch ein. Das ist unstrittig. Aber es gibt sicherlich auch Jobs, wo wir eine Win-win-Situation schaffen könnten für beide: für den Mitarbeiter, der sich durchaus vorstellen kann, nachmittags um 16 Uhr Squash zu spielen und sagt, nachdem er gut geduscht ist: um 18 bis 19 Uhr würde ich noch mal gerne arbeiten. Das geht aber unter den jetzigen Bedingungen nicht - obwohl er am nächsten Tag seine Arbeitsstunden selber bestimmen kann."
In wohl allen Unternehmen, bei denen Betriebsräte an Bord sind, gehören solche Fragen zur Arbeitszeitbewertung aktuell zu den wichtigen Themen der betrieblichen Mitbestimmung. Wo es jedoch keine Möglichkeit gibt, Betriebsvereinbarungen abzuschließen, sind Beschäftigte auf einen verlässlichen gesetzlichen Rahmen angewiesen.

"Mir wäre sehr wohl, wenn man diese anderen Themen, die ich eben angedeutet habe, versucht, ein Stück mehr zu beantworten. Das Thema ist uns jetzt vor die Tür gelegt worden, Arbeitszeiterfassung, EU-Recht umzusetzen. Da bin ich ganz gespannt auf den Referentenentwurf, aber ich fordere auch, dass es etwas mehr Freiheit lässt für den Arbeitgeber in der Gestaltung, somit auch für den Arbeitnehmer. Wäre mir das sehr wohl."
Offen ist derzeit noch, wie umfangreich die gesetzlichen Änderungen sein werden. Die Bundesregierung könnte sich an einem großen Wurf versuchen oder eben nur das Nötigste ändern.