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"Neuwahlen mischen die Karten immer wieder neu"

FDP-Landeschef Daniel Bahr ist zuversichtlich, dass seine Partei bei den Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen die Fünfprozenthürde überwindet. Der gescheiterten rot-grünen Koalition wies er Versagen bei der Schuldenbewältigung vor.

Daniel Bahr im Gespräch mit Bettina Klein | 15.03.2012
    Bettina Klein: Es ist schon die zweite Entscheidung aus dem Frühjahr/Sommer 2010, die sich nun zwei Jahre später als überholt erweist - beides mit einem Paukenschlag und mit mindestens interessanten politischen Konsequenzen. Die Wahl Christian Wulffs ist obsolet, am Sonntag wählen wir einen neuen Bundespräsidenten, und gestern platzte die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen, auch sie ein Produkt aus dem ersten Halbjahr 2010. Überraschende Neuwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland, das könnte auch die Agenda in Berlin noch einmal durcheinanderwirbeln. - Ich habe vor wenigen Minuten mit Daniel Bahr gesprochen, Bundesgesundheitsminister und Landeschef der FDP in Nordrhein-Westfalen. Ich habe ihn zunächst gefragt, ob es eventuell klüger gewesen wäre, keine Neuwahlen zu riskieren, denn so, wie die Dinge stehen, wird die FDP nicht mehr in den Landtag von Düsseldorf einziehen.

    Daniel Bahr: Nein, es ist nie klüger, sich nach Machtfragen zu orientieren, sondern es ist klug, sich auf seine Überzeugung zu konzentrieren, und gestern mussten wir zu unseren Überzeugungen stehen, weil es darum ging, ob Nordrhein-Westfalen weiter den Marsch in den Schuldenstaat erlebt, ob Nordrhein-Westfalen über griechische Verhältnisse diskutiert, nämlich die Verschuldungspolitik von Rot-Grün weiter fortsetzt. Das konnten wir nicht unterstützen, dafür konnten wir die Hand nicht reichen. Wir wären bereit gewesen, trotz der Kritik an einigen Punkten in dem Haushalt mit dazu beizutragen, dass ein Haushalt in Nordrhein-Westfalen zustande kommt, aber dafür wäre wichtig gewesen, dass ein wirkliches Signal von Rot-Grün gekommen wäre, einzusparen und die Verschuldung zu senken. Das kam nicht und dann muss die FDP natürlich auch einen solchen Haushalt ablehnen.

    Klein: Die SPD war offen für Gespräche und wirft Ihnen vor, Sie hätten die Tür zugeschlagen.

    Bahr: Nein! Wir haben ja bis zuletzt noch immer wieder Angebote gemacht. Erinnern Sie sich an die Debatte im Ausschuss, ob der Öffentlichkeitsetat von Frau Kraft reduziert werden soll. Da haben wir auch noch mal die Hand gereicht, indem wir gesagt haben, nein, über solche populistischen Aktionen, da denken wir nicht nach, wir wollen, dass ein Gesamtkonzept auf den Weg kommt, ein Haushalt, der wirklich das Sparen ernst nimmt, der die Verschuldung senkt. Das Signal kam von Rot-Grün nicht. Es wäre ein Leichtes gewesen, hätte Rot-Grün einfach unter dieser neuen Lage - was eine Bewertung ist, schon eine Einzeletat-Ablehnung führt zum Scheitern des gesamten Haushalts -, da hätte man ganz einfach diese Entscheidung noch mal vertagen können, hätte sich noch mal einen Tag Zeit genommen. Selbst dazu war Rot-Grün nicht in der Lage. Mein Eindruck: die spielten auf Neuwahlen, und dann braucht man auch nicht das verlängern, sondern dann muss man diese Entscheidung jetzt suchen. Jetzt entscheiden die Bürgerinnen und Bürger: Wollen sie einer gescheiterten Regierung von Frau Kraft und Frau Löhrmann, Rot-Grün weiter vertrauen, mit dem Geld umzugehen - die ist vorm Verfassungsgericht in NRW gescheitert - oder vertrauen sie den Parteien, die in Berlin beweisen, dass sie mit Geld besser umgehen können. In Berlin senken wir die Neuverschuldung, sparen wir, sorgen für solide Finanzen und nehmen uns nicht Vorbild an der Akropolis, an Griechenland oder anderen Schuldenstaaten in Europa. Deswegen bin ich auch ganz frohen Mutes, dass wir in diesem Wahlkampf auch Vertrauen bekommen.

    Klein: Herr Bahr, die FDP hätte sich ja auch enthalten können gestern. Jetzt Neuwahlen und der mögliche Verlust der Parlamentsfraktion, das ist ein sehr hoher Preis. Muss die FDP jetzt immer dieses hohe Risiko eingehen?

    Bahr: Mit einer Enthaltung hätten wir ja dem Haushalt zum Durchbruch verholfen und das konnten wir nicht. Es ist eine falsche Politik und eine falsche Politik kann die FDP nicht unterstützen. Wir wissen auch, Neuwahlen mischen die Karten immer wieder neu. Das sehen wir in anderen Ländern, wenn Sie an Hamburg denken, wenn Sie ans Saarland denken. Da ist immer eine völlig neue Situation, wenn es ernst wird mit Neuwahlen. Und in diesem Moment zeigt sich ja, die Landesregierung ist gescheitert mit ihrer Politik, das gibt uns ganz neue Chancen. Wir haben ja auch andere Themen, den Erhalt des Gymnasiums, das Thema Bevormundungsstaat in Nordrhein-Westfalen mit immer mehr Verboten, die Ladenöffnungszeiten sollen deutlich eingeschränkt werden. Das sind ja alles Themen, von denen wir als FDP auch im Wahlkampf profitieren können und wo wir zeigen können, wir wollen eine andere Richtung.

    Klein: Sie setzen darauf, dass Sie den Zuspruch bei den Wählern binnen zwei Monaten um das Doppelte erreichen können, also verdoppeln können? Sie liegen jetzt bei zwei bis drei Prozent und Sie müssen das sozusagen ja verdoppeln, um wieder in den Landtag einzuziehen. Was macht Sie denn sicher, dass Sie da reinkommen?

    Bahr: Ich glaube, dass die FDP in ihrer Geschichte schon häufig genug bewiesen hat, dass, wenn es darauf ankommt, sie auch steht und den Zuspruch der Bevölkerung erhalten kann. Wir haben in Nordrhein-Westfalen einen wirklich starken Landesverband mit vielen Persönlichkeiten. Wir haben in Nordrhein-Westfalen erfolgreich regiert in der Landesregierung. All das ist den Menschen ja auch noch in Erinnerung und das sehen sie. Das heißt, wir können es schaffen, auch in dieser kurzen Zeit, in dieser zugespitzten Zeit, wo es darauf ankommt, welchen Parteien vertraut man, die Verschuldung senken zu können, welche Partei hat den Mut auch wirklich zu Einsparungen, das heißt auch im Bereich der Verwaltung, nicht wie Rot-Grün es gemacht hat, Verwaltung aufzublähen, neue Behörden zu schaffen, neue Stellen zu schaffen, sondern auch den Mut zu haben, bei sich selbst zu sparen, und das hat die FDP in der Regierungszeit bewiesen. Deswegen werden wir auch dort das Vertrauen wieder zurückgewinnen.

    Klein: Aber die Bürger vertrauen Ihnen ja gerade nicht. Das haben ja die vergangenen Landtagswahlen durchaus bewiesen.

    Bahr: Das waren ja ganz andere Situationen. Sehen Sie, wir haben ja in Nordrhein-Westfalen eine andere Situation als bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, in Berlin oder Bremen. Wir haben hier eine starke parlamentarische FDP. Wir haben ein Thema, wo die FDP klare Kompetenz hat, wo wir uns unterscheiden von den anderen Parteien. Insofern bin ich wirklich sehr frohen Mutes, dass wir das packen werden. Wir zeigen ja auch in Berlin, dass wir mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger besser umgehen können.

    Klein: Ihnen ging es doch eigentlich immer um Steuersenkungen. Die müssen ja finanziert werden. Das ist etwas anderes als Sparen, womit Sie jetzt in Nordrhein-Westfalen in den Wahlkampf gehen wollen.

    Bahr: Wir haben ja beides gemacht. Wir haben ja zu Beginn der Legislaturperiode in Berlin die Familien und den Mittelstand um 20 Milliarden Euro entlastet und trotzdem steigen die Steuereinnahmen. Das heißt, es geht beides. Wir sagen aber klare Priorität für Haushaltskonsolidierung, Entlastung nur dort, wo wir auch Wachstumseffekte erzielen, nur dort, wo wir es uns wirklich leisten können. Natürlich sind wir in einer ganz besonderen Situation, die Verschuldungspolitik auch von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen, aber natürlich auch der vielen Staaten in Europa haben uns allen die Augen geöffnet. Wir müssen jetzt als Erstes die Haushaltskonsolidierung voranbringen. Alles, was an Entlastung möglich ist, um Arbeitsplätze zu generieren, um Wachstum und Beschäftigung zu unterstützen, kann dabei helfen, weil es Steuermehreinnahmen mit sich bringt. So hat es sich ja auch im Bund jetzt gezeigt. Aber im Mittelpunkt steht für uns selbstverständlich die Haushaltskonsolidierung.

    Klein: Herr Bahr, Sie sind Landesvorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen. Werden Sie auch Spitzenkandidat sein?

    Bahr: Wir werden heute in den Gremien darüber beraten. Ich werde mit dem Fraktionsvorsitzenden Gerhard Papke einen gemeinsamen Vorschlag für die Spitzenkandidatur machen. Wir haben viele Persönlichkeiten in Nordrhein-Westfalen bei der FDP, die bekannt sind, die profiliert sind, die es könnten. Aber natürlich werde ich als Landesvorsitzender meinen vollen Einsatz haben für diesen Wahlkampf. Über die Spitzenkandidatur wird jetzt aber zunächst in den Gremien auch entschieden.

    Klein: Und wovon hängt die Entscheidung ab?

    Bahr: Wir beraten jetzt erst mal über diese Lage, die sich ja gestern neu ergeben hat. Wer hat die besten Chancen für die FDP, wer kann der FDP das Profil geben und das Vertrauen schenken, und da haben wir viele Persönlichkeiten, die das können. Ich will meinen Beitrag dazu leisten, aber jetzt beraten wir zunächst einmal in den Gremien. Noch hatte die Partei ja gar nicht Gelegenheit, über diese Lage auch wirklich in einem Gremium, im Landesvorstand zu beraten.

    Klein: Daniel Bahr, Landesvorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen und Bundesgesundheitsminister. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Bahr.

    Bahr: Vielen Dank, Frau Klein.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.