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Niederländisches Grundsatzurteil zu Srebrenica-Massaker

Das Massaker von Srebrenica steht für das Versagen der Weltgemeinschaft. Am Freitag wird dazu das höchste niederländische Gericht, der Hoge Raad in Den Haag, ein wichtiges Grundsatzurteil fällen. Es geht um die Rolle der niederländischen Blauhelme während der Tragödie.

Von Kerstin Schweighöfer | 05.09.2013
    "Sie haben meine Mutter, meinen Vater und meinen Bruder in den sicheren Tod geschickt - vor meinen Augen. Sie wussten, dass sie sterben würden. Und trotzdem haben sie es getan, die niederländischen Blauhelme. Deshalb sind sie mitverantwortlich am Tod meiner Familie.""

    Hasan Nuhanovic über jene verhängnisvollen Tage im Juli 1995, als die Serben unter dem Kommando von General Mladic die Moslemenklave Srebrenica eroberten. Der heute 44-Jährige arbeitete damals als Dolmetscher für "Dutchbat", wie sich die niederländischen Blauhelme nennen. Sein Vater trat für die vielen Flüchtlinge als Vermittler auf.

    Beide befanden sich im Truppenlager der Dutchbatters auf dem Stützpunkt in Potocari. Auch Hasans Mutter und sein kleiner Bruder hatten dort Schutz gesucht und glaubten sich sicher.

    Aber die Niederländer schickten Mutter und Bruder nach einer Nacht wieder weg - beide mussten sich so wie Tausende andere moslemische Flüchtlinge von den Serben abführen lassen. Sie gehörten nicht zum UNO-Personal und hatten keine UNO-Ausweise, deshalb durften sie nicht auf dem Stützpunkt bleiben, auch wenn sie die Niederländer auf Knien darum flehten.

    Hasans Vater wollte Frau und Kind nicht alleine lassen, er schloss sich ihnen an. Hasan hat die drei nie wiedergesehen.

    Sieben Jahre später, 2002, beschloss er, den niederländischen Staat auf Schadenersatz zu verklagen- zusammen mit einer anderen bosnischen Familie, deren Vater damals ebenfalls vom Stützpunkt vertrieben wurde: der ehemalige Dutchbat-Elektriker Rizo Mustafic.

    Liesbeth Zegveld, die Amsterdamer Anwältin der beiden bosnischen Familien, betont:

    "Geld ist in diesem Falle Nebensache. Es würde hier sowieso nicht um Millionen gehen, sondern höchstens um vierstellige Beträge. Nein, hier geht es ums Prinzip - um das Tragen von Verantwortung. Wenn man mit ansehen muss, wie die eigene Familie dem Feind ausgeliefert wird; wenn man Weiss, dass dies das sichere Ende bedeutet - dann will man, dass diejenigen, die das getan haben, dafür zur Verantwortung gezogen werden! In Geld lässt sich das nicht ausdrücken."

    In erster Instanz haben die beiden Familien verloren. Der niederländische Staat könne für den Tod der vier Bosnier nicht verantwortlich gemacht werden, so die Begründung, weil er unter UNO-Flagge operierte. Die Vereinten Nationen wiederum genießen Immunität und können nicht vor den Gerichten einzelner Mitgliedsstaaten belangt werden. Aus diesem Grund scheiterten auch die "Mütter von Srebrenica" mit ihrer Klage: Sie hatten jahrelang versucht, die UNO zur Verantwortung ziehen, und forderten Schadenersatz sowie eine Entschuldigung.

    Aber die beiden bosnischen Familien ließen sich nicht entmutigen. Sie gingen in Berufung - und bekamen im Juni 2011 überraschend recht: Was auf dem Stützpunkt geschah, dafür sei in erster Instanz Den Haag verantwortlich, nicht die UNO. Die niederländischen Blauhelme hätten die vier Menschen nicht ausliefern dürfen und wissen müssen, dass ihr Leben außerhalb des Stützpunkts auf dem Spiel stand.

    Damir Mustafic, der Sohn des umgekommenen Dutchbat-Elektrikers, konnte es kaum glauben. Er hörte das Urteil sechs Tage, bevor die Gebeine seines Vaters aus einem Massengrab in Srebrenica umgebettet wurden:

    "Der niederländische Staat ging daraufhin seinerseits in Berufung und wandte sich an das höchste juristische Organ des Landes, den Hoge Raad: Das Auftreten der Blauhelme hätte vielleicht etwas heldenhafter sein können, so die Anwälte des Staates, aber Den Haag könne für dieses Drama nicht verantwortlich gemacht werden: Die einzig Schuldigen, das seien die bosnischen Serben. "

    Das Urteil vom Hoge Raad wird mit großer Spannung erwartet. Bislang ist Srebrenica für die Niederländer eines der düstersten Kapitel ihrer Geschichte, das sie nur allzu gerne abschließen würden, von dem sie aber immer wieder eingeholt werden. Trotz mehrerer Untersuchungen, in denen mit Kritik nicht gespart wurde: Den Haag, so hieß es, habe sich von falschem Ehrgeiz leiten lassen und seine Blauhelme - um sich auf der Weltbühne zu profilieren - völlig unvorbereitet mit einem undeutlichen Mandat auf eine unmögliche Mission geschickt.

    Dennoch wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Eingestanden haben sich die Niederländer ihr Versagen nie. Eine offizielle Entschuldigung hat es bis heute nicht gegeben.

    ""Die wäre nach all den Jahren auch nicht mehr aufrichtig. Die würde uns niemand mehr abnehmen","

    sagt Anwältin Zegveld.